Unterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 117. Donnerstag, den 16. Juni. 1904 (Nachdruck verbalen.) isz Im Vaterkau se. Socialer Roman von Minna Kautsky . Gott sei Dank, frohlockte Elise, er hat die Kraftprobe be- standen, er hat seine Elasticität sich bewahrt, nach der jähre- langen Unterdrückung sich wieder gefunden. Er hatte in der That die Waffe, die man ihm gegen seinen Willen in die Hand gedrückt, die er drei Jahre zu putzen hatte, und nichts als das, wie ein ausgedientes Spielzeug weggeworfen, um, wie ein junger Siegfried, zu dem selbstgeschmiedeten Schwerte zu greifen. Dieser Brief war ein einziger Jubelruf, der darin gipfelte: Ich bin kein Soldat mehr, ich bin wieder ein Mensch und leb' unter Menschen! Von Fritz, gelt?" fragte Gusti, die den freudig bewegten Ausdruck im Gesicht der Mutter während des Lesens bemerkt hatte., Diese hielt ihr den Brief mit einem stolzen Lächeln ent- gegen:Lies!" Gusti las aufmerksam und schüttelte den Kopf, als sie des schwarzen Gesellen, ihres einstigen Spielkameraden, gedachte: Er schrieb wie ein Mann. Plötzlich fiel sie der Mutter um den Hals und halb lachend, halb weinend flüsterte sie ihr zu: Ach, Mutti, es ist mir schon immer so vorgekommen, als ob Dein Soldat viel netter wär', als der meine." VIII. Kapitel. Joseph Schönbrunner kandidierte für den Gemeinderat. Er ließ seine Wähler nicht im Zweifel, wer er sei und was sie von ihm zu erwarten hätten: einfach die Rettung Wiens. Er war keinStudierter", keingelehrter Mauschel", keinöder Geistesprotz", Gott sei Dank, er gehörte, wie er selbst versicherte, zu jenen gescheiten und praktischen Männern, die vom Leben was verstehen, weil sie selbst im Leben was durchg'macht haben. Heut kannst D' mich an allen Ecken ang'schlagen seh'n," verkündete er eines Tages stolz seiner Gattin, und befahl Tini, auf die Straße zu gehen, sich vor die Plakate zu stellen, um zu hören, wie die Leute zu seiner Kandidatur sich verhalten. Tini war diesem Wunsch schon zuvorgekommen. Nur keine Liberalen, sagen s', ein Antisemit is uns lieber." Schönbrunner rieb sich die Hände. Is ihnen lieber... viel lieber... Ich glaub's das Liebere können sie haben, meine Wiener , ich stehe ihnen zu Diensten." Die Wiener hatten ihn. Schönbrunner wurde mit großer Mehrheit zum Ge- meinderat gewählt und zählte von nun an zu den Vätern der Stadt. Er gehörte jetzt zu den hohen Persönlichkeiten, wie er seiner Frau und Tochter erklärte und sie ermahnte, sich ihrer- seits danach zu benehmen. Da die letzten Gemeindewahlen den Antisemiten einen ansehnlichen Zuschuß gebracht, konnten sie daran denken, ihren geliebten Führer, ihr geistiges Ober- Haupt, Dr. Karl Lueger , auf den ersten Platz zu stellen, ihn als Bürgermeister zu kandidieren. Eine leidenschaftliche, bisher unerhörte Agitation wurde ins Werk gesetzt, um dieses Ziel zu erreichen, und Schönbrunner hatte Gelegenheit, alle seine Gaben dabei zu entfalten und all den Eifer eines Neugewählten. Als es am 30. Oktober zur Bürgermeisterwahl kam, war Lueger der Gewählte. Niemand war darüber mehr erstaunt, als die Anti- semiten selbst. Sie waren kräftiger unterstützt worden, als sie erwartet, sie waren viel mächtiger, als sie geahnt hatten. Sie konnten es gar nicht begreifen. Aber sie waren berauscht von dem Erfolg. Der Jubel wuchs immer höher, und schon waren in allen Bezirken die Vorbereitungen zu glänzenden Siegesfeierlichkeiten im Gange. Da ereignete sich etwas ganz Merkwürdiges; die Krone ver- sagte die Bestätigung des Gewählten. Da paßte es den Antisemiten, einmal die freiheitliche Seite herauszukehren, ein Princip zu verteidigen. Es handle sich gar nicht darum, ob Lueger Bürgermeister werde, sondern vielmehr, ob der Wille der Majorität eines Repräsentativ» körpers resepektiert, ob die Volksstimme gehört werden müsse. Diese Nichtbestätigung war eine eklatante Rechtsverletzung. Aber sie wußten auch den Lokalpatriotismus zu stacheln, die Wiener waren als Wiener beleidigt, die ganze Wiener Stadt war damit ins Gesicht geschlagen, das autonome Recht der Bürgerschaft, sich seinen Bürgermeister selbst zu wählen, auf das gröblichste verletzt, das dürfe man sich nicht gefallen lassen. Ein Geist des Widerstandes war allerorten rege geworden und im Parlament verlangten nun alle Parteien der Linken Rechenschast von der Regierung. Die Minister verschanzten sich hinter der Krone: dem Kaiser stand das Recht zu, die Be- stätigung zu versagen. Gut, also nochmalige Wahl. Sie ward für den 13. November angesetzt. Schönbrunner zeigte sich am Tage der Entscheidung sehr aufgeregt. Die Sitzung im Rathause sollte um zehn Uhr be- ginnen. Er nahm frische Manschetten, verlangte aber den alten Hut. Man kann nicht wissen, es kann zu was kommen," sagte er düster. Vater!" rief Frau Anna besorgt. Das Militär ist in den Kasernen konsigniert, scharfe Patronen sind ausgeteilt worden." Um Gottes willen, Vater!" Sie schlug entsetzt die Hände zusammen. Nutzt alles nichts, wir wählen ihn wieder." Aber, Vater" Er reckte sich höher:Heute blickt ganz Europa auf uns, wir können nicht anders." Er setzte seinen Hut auf und ging. Tini aber lief zu Wittes hinüber, um die Mädeln auszukitten, mit ihr nach dem Rathause zu gehen. Alle christlichen Frauen und Mädchen würden sich dort an diesem Vormittag zusammenfinden, um das Resultat der Abstimmung zu erwarten. Elise erlaubte es gern; ein kleiner Spaziergang wird ihren Kindern sehr wohl thun. Auf dem weiten Rathausplatz, der sich mit seiner park- artigen Anlage, von breiten Straßen umgeben, bis zur Ring- straße erstreckt, drängte und schob sich um diese Zeit eine sich stetig verdichtende Menge, die immer aufs neue den Versuch machte, sich dem Rathause zu nähern, das in einem großen Umkreis von Wachleuten cerniert und von jedem Verkehr ab- gesperrt war. Die Menge murrte darüber. Wie, war dieses Haus nicht aus dem Gelde der Bürgerschaft erbaut und erhalten? War dieses Haus der Kommune nicht ihr Haus? Und zu diesem wurde ihnen der Zutritt verwehrt während eines Ereignisses, das ihre eigensten Interessen berührte. Von jeder Kom- munikation mit dem Rathause und seinen Räten waren sie ausgeschlossen und sie, die steuerzahlenden Bürger, standen davor wie Feinde vor einer Festung, der sie in weitem Um- kreise fern zu bleiben hatten, wollten sie nicht sofort mit der bewaffneten Macht in Konflikt geraten. In dieser leichtbeweglichen, zuwartenden Menge wurden dumpfe Töne des Mißvergnügens laut, so oft die Wache ihr barschesZurück!" ertönen ließ und gleich selbst Hand anlegte. uni diesem Befehl Nachdruck zu geben. Manch zorniges Wort ließ sich vernehmen. Aber da waren auch schon die Angstmeier und Beschwichtigungshofräte da und mahnten zur Ruhe und Ordnung, und die Spaßvögel machten Witze und erzählten mit Vorliebe Anekdoten, bei denen die Polizei den Kürzeren zog. Das gefiel, man lachte, man erheiterte sich. Schließlich war es doch gescheiter und gemütlicher, sich die Zeit mit allerhand Ulk zu vertreiben, als sich über etwas zu ärgern, das man nicht ändern konnte. Einige Heißsporne hatten auf jener Seite des Rathauses, die dem Parlament zunächst lag, einen schwachen Punkt aus- gespäht und rieten, dort einen Vorstoß zu wagen, aber schon waren die Bartenstein - und die Reichsratstraße ebenfalls ab» gesperrt und Postenketten gezogen worden. Auch Wachleute zu Pferde erschienen und stellten sich in bestimmten Distanzen von einander auf. Mit der vorrückenden