Nnterhallungsblatt des Horwärls Nr. 130. Dienstag, den 5. IM. 1904 (Nachdruck verboten.) 25] Im Vaterkaule. Socialer Roman von Minna Kautsky . Der Diener meldete Herrn Paul Brandt, der gleich darauf eintrat, ein kleines Päckchen in der Hand. Betti stieß einen Freudenschrei aus und bewillkommt ihn mit ausgebreiteten Annen. Das war der richtige. Der Baron und der Ferdl waren arme Schlucker im Vergleich zu diesem da. Er tvar der Chef der Firma, den die Wiener Gesellschaft als einen ihrer ricllards bezeichnete, von dessen rapid sich mehrendem Reichtum man fabelhaftes erzählte und übertrieb. vielleicht weil er, in Gegensah zu Vater und Bruder, sich in absichtliches Dunkel hüllte und sich vornehm von der Oefsent- lichkeit zurückzog. Seine Erscheinung war die eines Grand Seigneurs. Groß, schlank, schön von Antlitz, einfach aber von tadelloser Eleganz in der Haltung. Auch der ironische Zug um den Mund, der selten schwand, verriet Ueberlegenheit. Im ganzen eine ge- winnende Persönlichkeit, eine Intelligenz. Er hatte Betti stets imponiert. Sie reichte ihm die Hand, die er nur scheinbar an die Lippen führte. Er machte ihr ein Kompliment über ihr gutes Aussehen und daß er sich freue, daß sie sich mit den Menern wieder versöhnen wolle. Es ging das Gerücht, die Betti sei miselsüchtig geworden und wolle in ein Kloster gehen," fügte er spottend hinzu. Wenn die Wiener mich giften, dann thu' ich's auch," sagte sie lachend und schielte dabei auf das Päckchen in rosa Seidenpapier:gehört das vielleicht mir?" Er überreichte es ihr galant:Ich hoffe einem innigen Wunsche damit entsprochen zu haben." Nein, sind Sie aber lieb!" Sie war entzückt, und zu sich selbst sagte sie triumphierend:ich hab's ja gewußt." In fiebernder Erwartung hatte sie die Hülle entfernt. Sie hielt das Gnadenbild der Maria aus Mariazell in reizender Nach- bildung in einem Rähmchen aus Gold und Silber in der Hand, die zu zittern begann. Ein guter Gedanke, der mich geleitet hat, nicht wahr?" fragte Paul.Es ist vom Bischof geweiht." Ein Lächeln zeigte sich auf allen Gesichtern. Sie erriet die dämonische Bosheit, die das eingegeben; immer noch starrte sie auf das Bild. Jhll allererster Gedanke, er sei ein Schmutzian, hatte abergläubischen Vorstellungen Platz gemacht. Es war ein Gnadenbild, mit Ehrfurcht mußte es empfangen werdenes wär' sonst a Sünd', und dann die Straf!" Sie war sronun, mit dem Himmel wollte sie sich's nicht verderben. Sie hätten mir keine größere Freud' machen könilen," stammelte sie. Plötzlich preßte sie es an die Lippen und küßte es inbrünstig. Fräulein Schönbrunner," meldete der Diener. Ich habe Besuch," sagte Reich abweisend. Sämtliche Herren legten ihr Veto ein. So ein netter Kerl, warum sollte sie nicht hier bleiben. Reich neigte sich zu Betti:Eine Schülerin von mir, wenn Du erlaubst?" Nur herein mit ihr," rief sie, in ihren früheren munteren Ton verfallend.A jung's Madel, des gibt a Hetz." Tini machte einen tiefen Knix, als Reich sie der einst ge feierten Soubrette vorstellte. Fall nit um, bei Dein' Buckerl," sagte Betti heiter und reichte dem jungen Mädchen die Hand, die diese küßte. Betti schien von dieser Huldigung angenehm berührt und tätschelte sie auf die Wange. Nun rede mein Kind, wie erging es Dir?" fragte Reich, der seine Schülerin, die ihm gegenüber Platz genommen, wohl gefällig betrachtete, während der Diener ihr den Thee servierte. Reich bot ihr selbst die Konfitüren. Brandts drangen nun auch mit neugierigen Fragen auf sie ein:Wie war die Probe? gut ausgefallen? Beifall gefunden?" Tini setzte eine ungezwungene Miene auf und log. Sehr ich hab's auch gleich getroffm." Siehst es, da hast es, ein Genie in den Windeln," spöttelte Betti. Reich hob seine schöne weiße Hand und drohte mit dem Finger. Mach uns keinen Pflanz vor, Mädel, ich Hab schon er- fahren, was sich da alles ereignet hat." Und zu seinen Gästen gewendet, lachend: Sie betrat das Kampffeld in einem kritischen Augenblick. Lotte hatte von der Direktion den verlangten Urlaub nicht er- halten daher ihre große Gereiztheit, und nun hält dieser Unglückswurm durch seine Ungeschicktheit die Probe auf, darob große Empörung, Streik von der einen, wütende Tyrannis von der andern Seite. Lotte bekommt ihre Wein- krämpfe, man mußte sie laben" Wie wer wo ah köstlich," riefen die Herren, mächtig interessiert, wie von einem Vorkommnis von höchster Bedeutung.. Man wollte nun alles wissen und jetzt berichtete Tini ge- wissenhaft, was sich bei dieser Probe ereignet. Als sie merkte, daß sie auch Betti zu amüsieren verstand, befeuerte es sie zu immer lebendigerer Darstellung. Tini kopierte Lotte vortrefflich. Sie ahmte ihre Krämpfe nach, ihre Seufzer und Zuckungen und endlich den schönen Augen- aufschlag und das melodische Girren, als ihr der besorgte Direktor, den sie ebenfalls drastisch kopierte, den Urlaub be- willigte. Bis dahin hatte Betti gelacht, daß ihr die Thränen kamen, jetzt schnellte sie empor, ihre Augen funkelten zornig: Da legst Di' nieder jetzt hat sie's richtig durchgesetzt das Luder! sixt es," wendete sie sich an Tini,so muß man's machen, mit solchen elenden Faxen, mit solchen Komödien kann man den gewichtesten Direktor um den Daumen drehen." O, ich habe viel, sehr viel dabei gelernt," versicherte Tini. Sie haben Dich ordentlich gezaust, armes Mädel," sagte Reich. Ach was, das schad't ihr nix, das is so einem jungen Pinscherl ganz g'sund," entgegnete Betti mit erbarmungsloser Härte. Tini machte ein Mäulchen und schluckte tapfer die auf- steigenden Thränen hinunter. O, als wir dann noch einmal die Scene machten, ging sie vortrefflich, sie konnten mit mir zufrieden sein, aber niemand hat mir ein gutes Wort gegeben, niemand hat mich ermutigt, bis auf" sie stockte. Bis auf wen?" fragte Reich scharf. Der Baron und Ferdinand hingen an ihrem Munde. Sie senkte den Kopf und kaute an ihrer Lippe. Aha. ist vielleicht schon der Tröster erschienen?" lachte Betti,gesteh." Bis auf den Theatersekrctär," sagte Tini leichthin. Vor diesem Herrn wirst Du Dich in acht zu nehmen haben," malmte Reich und sah jetzt plötzlich ganz ernst aus. Auch die Betti nahm eine fast feierliche Miene an, auch ihr war es ernst damit. Fang nur keine Liebschaft mit Leuten vom Theater an, nur das nicht. Aber da is eine wie die andre, immer kommen's zuerst an den Unrechten... Wie oft Hab ich den Mädeln gepredigt" Hört, hört," rief Reich lachend,Betti predigt Moral. Da giebt's gar nix zum lachen," rief sie aufgebracht. Jede, um die ich mich ang'nommen Hab', könnt' sich dazu nur gratulieren, in Sitten da bin ich streng, da kenn ich kein Spaß. Aber die dummen Mädeln nehmen nicht leicht Vernunft an. Ihr müßt's auf Euch halten, Hab ich ihnen g'sagt Du kannst Dir das auch hinter die Ohren schreiben," wendete sie sich an Tini. Ihr müßt's Respekt vor Euch haben, Ihr dürft's Euch nicht wegwerfen... stolz muß a Mädel sein Ihr müßt's Euch einen suchen, der was hat, der Euch a Position schaffen kann, der Euch versorgt, wenn's aus is... Und nur ka Liebschaft daneben, nur das nit, das geht nie gut aus aber ob's folgen möchten die Urscheln" Das ist halt schwer, meine lieb e Betti," erklärte Reich mit einem malitiösen Blinzeln.