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Beit noch keine übermäßige Anziehungskraft in Berlin ausübte. lebhaft unterhielt, der so starken Eindruck gemacht hatte, hieß nämlich Das mäßig große Lotal war am Festabend ziemlich gut besucht, Ignaz Auer. aber durchaus nicht überfüllt. Bon bürgerlichen Reportern feine Spur. Nur Socialisten und einige bürgerliche Demokraten bildeten das Publikum.

Ich war mit einigen gleichaltrigen Freunden, die ebenso wie ich schon innerlich der Socialdemokratie gewonnen waren, hinaus­gepilgert und ganz glückselig, Bebel persönlich kennen zu lernen. Im Verlaufe des Festes machte ich auch die Bekanntschaft zweier Schrift sezer. Sie forderten mich auf, dem Demokratischen Arbeiterverein beizutreten, was ich ohne weiteres versprach, und der eine stellte sich mir als Vertrauensmann der Eisenacher Partei vor.

Wie stark ist wohl die Partei in Berlin jetzt?" fragte ich. Der Gefragte dachte einen Augenblick nach, wie menn man Zahlen im Kopf überschlägt, und sagte dann:

Nun, wir sind jetzt so ungefähr Dreihundert."

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Auer war um jene Zeit als Sattlergeselle nach Berlin ge­kommen, hatte hier Arbeit gefunden und nun die Partei aufgesucht, der er schon in Süddeutschland beigetreten war. Der Name Demokratischer Arbeiterverein" hatte ihn dabei zunächst irregeführt. Als Süddeutscher mußte er annehmen, es handle sich in ihm um einen Nachläufer der bürgerlichen Demokratie. Ich weiß nicht, ob es auf seine Beschwerden hin geschah, die er in der erwähnten Versammlung zur Sprache gebracht hatte, oder ob ein zufälliges Zusammentreffen vorlag- kurz in der nächsten Versammlung des Demokratischen Arbeitervereins stand ein Antrag zur Ver handlung, den Namen des Vereins in Socialdemokratischen Arbeiterverein" umzuwandeln.

Was

Um diesen Antrag entwickelte sich ein wahrhaft homerischer Kampf, auch hier ein Kampf der Alten und der Jungen. Auf der Es war eine ganz schamlose Lüge. Aber sie kam aus dem einen Seite stand der bisherige Vorstand des Vereins samt An­ehrlichsten Herzen . Niemals hat August Heinsch denn kein hang, geführt vom Vorsitzenden Theodor Megner. andrer war es es fertig bekommen, in diesen Dingen die Wahr- Mehner der Arbeiterbewegung gewesen, braucht hier nicht erzählt heit zu sagen. Es war ihm ein Bedürfnis, in Parteisachen auf- zu werden. Daß er ein Hartkopf war, hatte er schon im All­zuschneiden, weil er es für ein unerläßliches Mittel der Ermutigung gemeinen Deutschen Arbeiterverein bewiesen, zu deffen Mit­hielt. Jahre später, nachdem wir schon eine sehr intensive und ich begründern er gehört hatte. Er war ein Formalist nach dem fann hinzufügen, wahrhaft innige Kampfgemeinschaft hinter uns Buche und fonnte über die untergeordnetsten Fragen der Geschäfts­hatten, machte er es noch ganz ebenso. Es war im Winter 1876 ordnung stundenlange Debatten entfeffeln. In demselben bis 1877. Die Berliner Freie Presse" war von uns als erstes Geiste führte er hier den Kampf. Er wolle sich, erklärte er, täglich in Berlin erscheinendes Organ der Socialdemokratie ins nicht principiell gegen eine Namensänderung sperren, aber zu Leben gerufen worden und kämpfte schwer, sich in dieser Eigenschaft Socialdemokratischer Arbeiterverein könne er sich nicht verstehen, denn zu behaupten. Ich traf eines Abends Heinsch auf der Straße, als das sei ein Bleonasmus. Wolle man den Arbeiter im Titel, so er gerade aus der Druckerei fam. müsse es beim Alten bleiben. Nenne man fich aber socialdemo kratisch, dann sei der Zusatz Arbeiter" eine überflüssige Häufung und müsse fortfallen.

Nun, wie steh'n wir jetzt mit dem Blatt?" fragte ich ihn. phierend.

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Das paßte nun aber uns Jungen" ganz und gar nicht. Ich darf sagen" uns", da ich mich sofort mit Leib und Seele der von Auer, Heinsch, May Kayser, Mielte geführten neuen

Siebentausendzweihundert," antwortete er, quafi trium­August," erwiderte ich ihm, mich brauchst Du doch wahrhaftig nicht zu animieren. Jetzt fag' mir mal die richtige Zahl." " Na Dir will ich's fagen, wir bruden jetzt fünftausendfieben- Richtung anschloß, die beides im Titel haben wollte: das Social

hundert."

Am Tag darauf erfuhr ich von Frit Mielke, der eine führende Stellung in der Druckerei bekleidete, daß die Auflage nicht fünf tausendfiebenhundert, sondern nur erst viertausendzweihundert war. Es war für Heinsch einfach ein Ding der Unmöglichkeit, die etwas niederdrückende Wahrheit herauszubringen. Seinem jovialen Wesen war es Bedürfnis, die Dinge rofig darzustellen. Unzählige Male hat er so sich und andre belogen immer von dem Wunsch beseelt, die Partei zu fördern, in welchem Vorhaben er überhaupt eine wahrhaft unerschöpfliche Kombinationsgabe entfaltete.

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demokratisch" und den Arbeiter", und die Meßners Sprachäfthetik Namen in Anspruch nahm, weiß ich nicht mehr genau, aber sicher ist, als Zopftum bekämpfte. Wie viele Sigungen dieser Kampf um den daß es ihrer mehrere waren. Wenn ich ihn mir in die Erinnerung zurüdrufe, so werden mir die Kämpfe im alten Byzanz um Wort endete mit einem Sieg der Jungen, der die Form einer ganzen begriffe verständlich, so heftig wurde bei uns gestritten. Der Streit Umwälzung im Verein annahm. Kaum hatte die Abstimmung die An­Amt niederlege, und die übrigen Vorstandsmitglieder folgten ihm. nahme des neuen Namens ergeben, so erklärte Metzner, daß er se'n Ein neuer Vorstand wurde gewählt, und in diesem neuen Ministerium erhielt auch ich ein Amt. Es fiel mir die Würde des stellvertretenden Kassierers zu, und so klein der Verein war, so wenig sich sonst irgend eine Seele in Berlin um ihn fümmerte, so muß ich doch sagen, daß mir das bedeutungslose Amt wie eine ganz unverdiente Ehre vor tam, kraft deren ich nunmehr ein Stück Weltgeschichte repräsentierte. Uebrigens war der Wechsel wirklich eine Revolution im fleinen.

Die Eisenacher hatten zu der Zeit, von der ich spreche, einen besonders schweren Stand in Berlin . Auf der einen Seite fiel das Odium, das überhaupt der Socialdemokratie zu teil wurde, im vollen Maße auf sie. Ja, es wurde noch häufig durch die Erinnerung an Bebels und Liebknechts Haltung zum deutsch - französischen Krieg verschärft. Auf der andern Seite aber hatten sie die übergroße Masse der socialistischen Arbeiterschaft Berlins zu erbitterten Gegnern. Mit dem neuen Vorstand zog ein neuer Geist in die Führung des Sobald fie es wagten, statt fleinen Mitgliederversammlungen öffent- Bereins ein. Wir wollten um jeden Preis Berlin erobern. Häufiger liche Versammlungen einzuberufen, wurden diese mit Sicherheit von als bisher wurden Borträge politischer Natur veranstaltet, und den Lassalleanern gesprengt, und das hatte neben andren Unannehm- statt hinter verschlossenen Thüren zu tagen, wagten wir uns immer lichkeiten auch die Wirkung, daß die erschreckten Wirte sich weigerten, von neuem an die Deffentlichkeit, d. h. ließen es auf die Sprengung ihr Lokal ein zweites Mal zu überlassen. Da war nun unser August Heinsch unerschöpflich in Manövern, Wirte, bei denen er ein durch die Lassalleaner ankommen, die denn auch selten ausblieb. geeignetes Lotal aufgestöbert hatte, zur Hergabe desselben zu be wegen. Einer seiner Tricks war der, daß er eines Tages die be treffende Wirtschaft aufsuchte, in der Nähe des Stammtisches Platz nahm und bei der ersten passenden Gelegenheit in das Tischgespräch eingriff. Sein zutrauliches Wesen und sein Mutterwit brachten es bald dahin, daß man ihn einlud, sich an den Stammtisch zu setzen. Dazu ließ er sich nicht lange nötigen und wußte bald wirt und Stammgäste immer mehr für sich einzunehmen. Wenn dann die Gäste sich entfernten, und der Wirt womöglich schon etwas über den Durst getrumten hatte, legte Heinsch mit seinem Anfinnen los. Hört mal, Ihr müßt uns Euren Saal zu einer Versammlung geben-"

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Heinsch bekam es schwer über sich, das Sie zu gebrauchen. Was soll denn das für eine Versammlung sein?" Ach, eine politische Versammlung. Lauter Freunde von mir, alle so gemütliche Kerle wie ich. Trinken auch alle so viel, wie ich." Wollte der Wirt nicht mehr wissen, dann hatten wir wenigstens für einmal sein Lokal gesichert.-

Bur ersten Mitgliederversammlung der Eisenacher, die ich besuchte, fonnte ich infolge geschäftlicher Abhaltung erst gegen Schluß kommen, so daß ich den größten Teil der Debatte nicht mit angehört hatte. Als alles vorüber war, schloß ich mich einigen Teilnehmern auf dem Heimwege an. Unterwegs wurden die Verhandlungen noch einmal durchgegangen, und die Rede kam auf einen Arbeiter, der zum ersten­mal die Mitgliedschaft besucht und in der Debatte das Wort ge­nommen hatte. In dem steckt etwas drin", meinte einer. Stimmt", sagte ein andrer, er hat zwar gefagt, er fei vom Lande und habe bloß eine erbärmliche Dorfschule besucht, aber der weiß' ne ganze Maffe." Baßt mal auf, in dem friegen wir noch einen ordent­lichen Redner," prophezeite ein dritter. Seine Ankündigung sollte nicht Lügen gestraft werden. Der Neue, über den man sich so

( Schluß folgt.)

Kleines feuilleton.

kl. Am Hafen. Der Kleine Hafen einer hinterpommerschen Kreisstadt. Täglich läuft wohl ein halbes Dutzend jener kleinen Barken und Schooner aus und ein, welche den Handel zwischen dieser Küste und Schweden vermitteln. Hier laden sie Korn, an dem Pommern so reich ist; in Säden wird es vom Speicher gebracht und in den Bauch des Schiffes ges schüttet; an der Lute fizt ein halbwüchsiger Bursche und läßt das hinabfließende gelbe Korn durch seine Finger gleiten, wobei er von jedem Sack eine Probe für den Händler in einen bereitgehaltenen Sack thut. An Land, in einer Art Schilderhaus, sigt der Boll beamte und bucht gewissenhaft jeden hineingeschütteten Sad. Drüben, im fornarmen, aber an Holz und Steinen reichen Schweden , laden sie Holz und Steine, Steine für Brot!

Aber auch Dampfschiffe vermitteln den Handel, sogenannte Küstendampfer, welche zwischen diesem hinterpommerschen Hafen und den vorpommerschen Häfen, je einmal in der Woche hin und zurück, verkehren.

Da liegt so einer im Hafen, flein und schmuck, wie ein Riesen spielzeug , aber doch feft gefügt, denn auch die Ostsee hat ihre Nücken und Tücken, und der Ostseebär, jener orfanartige Sturm, der die Wogen stockhoch peitscht, hat schon manches wackere und starke Fahr zeug auf den Grund gerungen.

Die Löscharbeiten sind beendet, die letzte Tonne Portland­Cement" rollt, von Frauenhänden geschoben, an Land, und schon find andre Frauen bereit, ganze Waggonladungen zolldicker Bretter auf ihren schmalen, durch Lappenpolster geschützten Schultern dem Dampfer zuzutragen.