Sie empfanden es als die höchste Beleidigung. Aber die Wittes sollten nur ihre Thüren verschließen, man wußte trotz- dem, wie man dran war. Diese Rücksichtslosigkeit gegen Leute, die ihnen die Ware auf's Büchel gegeben, sollte ihnen teuer zu stehen kommen. Niemand wird sich weiter um sie bekümmern, niemand ihnen Hilfe leihen. Jede von ihnen addierte eiligst zusammen, was die Wittes ihnen noch schuldig waren und schickte die Rechnung hinüber. Jetzt sollten sie nur kommen� die schlechten, Pflicht- vergessenen Mädeln, die ihre totkranke Mutter verlassen konnten, um ihrem Vergnügen nachzujagen, man wird ihnen seine Verachtung zu bezeichnen wissen. Nicht für eine Semmel sollten sie mehr Kredit haben. Man erwartete indes mit Ungeduld ihr Erscheinen, aber es zeigte sich niemand, Luise lag auf dem Sofa, unfähig, sich zu erheben, von Krämpfen durchschüttelt. Hie und da hebt sie die Hände empor, ruft nach der Mutter, nach ihrer Mutter, um sofort wieder kraftlos zurück- zusinken, und den Kopf tiefer in die Kissen zu wühlen. Ihr Jammer zerreißt Gusti das Herz, sie will sie auf- richten, sie trösten und ist selbst untröstlich und hat nur Schluchzen und Thränen. Grenzenlos, wie ihre Sorglosigkeit gewesen, war nun der Schmerz dieser Kinder. Sie hatten nie ernstlich daran gedacht, daß die Mutter ihnen entrissen werden, daß sie sterben könnte nun liegt sie starr und entseelt ein unbegreiflicher Vorgang. In heißer Sehnsucht und Reue wollen sie die Teure um- fassen, aber der Tod, den sie noch nie gesehen, dessen Furchtbar- keit sie nicht geahnt, erfüllt sie mit Grauen und Entsetzen, treibt sie hinweg. Der Vater geht in der kalten Stube auf und nieder, seine nervösen Finger streichen unaufhörlich den Bart zurecht. Er sucht sich zu fassen, sich Mut einzureden, er will stark sein. Herrgott, wenn auch er noch den Kopf verlöre, was sollte aus ihnen werden. Aber schließlich läßt er sich in den Stuhl sinken, schlägt die Hände vor das Gesicht und weint. Er war der Situation, mit ihren von allen Seiten heran- drängenden Forderungen, nicht gewachsen: er war unfähig, etwas zu thun, unfähig, auch nur das Nächste und Notwendigste zu veranlassen. Glücklicherweise war Fritz da. Er war unentbehrlich ge- worden. Er war diesen Morgen nicht in die Arbeit gegangen, und Witte, der zuerst nur zagende Blicke auf ihn geworfen, atmete auf, als er ihn bereit fand, ihm beizustehen, die nötigsten Gänge zu machen, das Dringendste in Ordnung zu bringen. Der kann es leicht thun," dachte Witte,der ist ruhig und gefaßt dem geht es nicht zu nahe, wenngleich sie seine Wohlthäterin gewesen war aber diese Menschen sind eben härter veranlagt. Es niag ihm immerhin einigen Trost ge- währen, sich der Verehrten nach ihrem Tode dankbar erweisen zu können." Fritz ging aus dem Hause, kaufte den Sarg, holte die Leichenfrau, meldete den Todesfall und bestellte das Begräbnis, das einfachste Arme Leut'-Begräbnis. Witte geriet außer sich, als er davon erfuhr. Wie, seine Gattin sollte keinen Kondukt, nicht einmal ein eignes Grab haben? Was war dem Menschen nur eingefallen? Mit weinenden Augen stellte er ihm vor, daß das nicht vngehe, Fritz müsse doch einsehen, daß das unmöglich sei. Dieser zuckte die Achseln und nannte die Summe, welche im andern Falle sofort erlegt werden müsse. Zahlen, sofort zahlen oder ein Schachtengrab. Witte, vor diese Alternative gestellt, rang verzweifelt die Hände. Er hätte seiner Elise so gern die letzten Ehren erwiesen, sie weich und sanft für den langen Schlaf gebettet, und nun sollte er zugeben, daß er bebte zurück vor dem bloßen Gedanken. Arme, arme Frau wie häßlich, wie ihrer unwürdig!" ßfritz sah ihn an mit einem düstern Blick. Es ist wohl gleich, wie einer begraben wird ihr thut jetzt nichts mehr wehe." lFortsetzung folgt. 1Z (Nachdruck verboten.) Oalc, ftfcrw doch!" Eine westfälische Dorfgeschichte von Peter Hille . Es ist ein sonderbares Nest, dieses Holzhausen, worin ich meine Kinderjahre verlebte. Es zählt zwar nur gegen siebzig Häuser, kann aber nach Ansicht maßgebender Gelehrter auf einen Bestand von achthundert Jahren Anspruch erheben. Denn die Namen mit .hausen" folgen an zweiter Stelle hinter.kloster",Münster " und born". Es besitzt eine Kirche, eine Schule, einen Hof und einen unverkennbaren Hang zu Branntwein und Holzdiebstähleu. Dieser ausgesprochenen Physiognomie entspricht ein ganz außer- gewöhnliches Gliederungsbedürfnis. Da giebt es ein oberes Dorf mit Kirche, Schule und einem Dutzend Häuser. Dann kommt als glänzender Mittelpunkt der Hof mit Schloß- garten und Wirtschaftsgebäuden, endlich die große Masse des unteren Dorfes. Früher hatte das Unterdorf gegenüber dem geistigen Uebergewicht des Oberen noch die Salzgerechtsame: der Vorsteher wurde meistens von hier gewählt, nun aber ist das Uebergewicht ganz verschoben, das kleine geistliche Oberdorf hat nun auch noch das Vorfteheramt, dies bürgerliche Ansehen. Nun geben sich Landräte in ihren Mußestunden, wie es einem gebildeten Adligen zukommt, meistens standesgemäß mit Kreis- geschichte ab und bestimmen aus der Blutmischung zwischen ange- sessenen Sachsen und eingedrungenen Franken, ob der sittliche Stand des Ortes ein guter oder weniger günstiger ist, denn am besten da- ran sind die Berge, da sind die erobernden Franken nicht hin- gekommen und haben sich nicht mit den Sachsen gekreuzt. Als ob es dem Eroberer, der doch einmal so weit hergekommen, nur noch auf einer Höhe von hundert bis zweihundert Fuß hätte an- kommen können! Holzhausen liegt in der Ebene, am Fuße eines Hügels, ist also weniger gut veranlagt. find doch hat es die Erschütterungen, die die letzten dreißig Jahre auch in die fernsten Erdenwinkel trugen, glücklich überstanden, es bekam einen Spritzer Kultur nach dem andern und zuckte nicht. Die alten Männer mit ihren roten Westen, Kniehosen, Schnallenschuhen und buntgestreifter Zipfelmütze und die Frauen mit ihren enganliegenden Goldborthauben, dem besten Kopstchmuck ihrer ehelichen Würde, die immer langsam, an Krücken zuletzt, des Alltags morgens zur Kirche kamen, da des Tages Arbeit sie nicht mehr in Anspruch nahm, dieser gemeinsame Ehrenstand der immer wußte, wann wieder mal die Welt untergehen sollte und sich tröstete, sie würden's nicht mehr erleben, wo ist er geblieben? So still, so friedlich, so elementar sind sie geschieden, fast wie das Wild des Waldes. Auf eimnal waren sie nicht mehr da, und das Nachgeschlecht trug ihr Erbe nicht ans. Spinnrad und Flachsbrechen schwanden, statt Silbergroschen und Käßmännchcn einhalb und zwei Silbergroschen, der roten auf den Umschlägen sitzenden Marken kam erst der deutsche Bund und dann das Deutsche Reich mit seinen Marken und Reichs- geld, die Bahnen mehrten sich, man sprach durch den Draht, Hüte erschienen, Ueberzieher, zur Schule trägt man Mützen und die Rangen derBesseren" gar Ranzen. Die Ver- koppelung hat das Antlitz der Gemarkung umgewandelt, Zeitungen erscheinen und der Briefträger ist keine Seltenheit mehr, ja kommt nun zweimal ins Dorf. Vielleicht bringt nmn's noch zu einem Fahrrad. DenLutterschen", Juden, Bettlern, Blödsinnigen und Trunkenen ruft man nicht mehr so nach, ja schon die Hunde wagen ein mehr gelassenes, vieler Veränderungen gewohntes Wesen zur Schau. Die Rüböllampe mit ihrem birnenartigen Aufsatz ward ersetzt durch die erst maschinenmäßig umständliche, mit ihrer Stülpvorrichtnng aufs Explodieren berechneten messingenen Solar- öllampe, der dann die Platt- und Rundbrenner mit eisernen Kuppeln folgten. Leuchter, glatt grün oder kraus schwarz, früher der Stolz eines vornehmeren Hauses, sieht man nicht mehr. Der Kulturkampf zog vorüber, sperrte die Dorfkirche und zwang die Einwohner Sonntags in das nahe Städtchen. Dadurch aber stieg auch der Schnapsverbranch dort, und unten im Turm, wo sich die armen Sünder so um die Zeit der Predigt einfanden, duftete es nicht nach Weihrauch. Predigten, auch wenn sie noch so persönlich zugespitzt werden, verfangen nicht mehr, auch dies letzte Mittel der Kanzel erweist sich unwirftam. Wenn das Obst reif wird und fein Spitz so bellt, dann kann sich der Pastor überzeugen, daß die alten Sitten noch fortbestehen. und von seinem Obst der Zehnte genommen wird; kommen aber noch später oder früher am Sonntag oder Montag die jungen Burschen von der Stadt zurück, und ist am Vormittag eine recht scharfe Predigt ergangen, nun so schleichen sie sich nicht vorbei wiedie Johanns, die Johanns, die können was vertragen", sie schweigen nicht und lächeln dummpfiffig und treiben es weiter wie die, sondern bestätigen grölend, wie sie sich die Worte ihres Seelen- Hirten zu Herzen genommen. Und die Messediener! Ja, da waren neulich nur Kupferstücke im Klingelbeutel, als Pastors Haushälterin sich entsann, daß sie doch sünf Pfennig ge- geben.