Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 193.
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Die flucht.
Freitag, den 30. September.
( Nachdruck verboten.)
Von K. Bagrynowski.
Jan zeigte ihnen einen schönen Bergkrystall und mehrere Stücke Piryth.
"
Das hat gar keinen Wert!" antwortete Niehorski bestimmt, indem er die Mineralien besah. ,, Wo stammen sie her?" Jans Frau schenkte ihnen Thee ein, den sie aus gedörrten Weidenblättern bereitet hatte, und folgte der Unterhaltung mit der größten Aufmerksamkeit. Jan that so, als hätte er die Frage überhört und legte die Mineralien in eine Schachtel.
Wenn das auch vielleicht feinen Wert hat, so zeigt es doch, daß dort was sein muß. Wer weiß, Alte, wir werden am Ende doch noch reich. Vielleicht kommen noch mal alle Deine Feinde und machen Dir einen Kraßfuß. Weißt Du, Krassuski, wir wollen mal in den Wald gehen und Erde waschen. Ich hab' hier schon solch ein Thal aufgestöbert, es sieht gerade so aus, wie die in den Goldgruben."
Seine Frau lächelte.
,, Gott gebe nur, daß wir bis dahin nicht verhungern." Red' feine Dummheiten, Alte! Gleich soll sie verhungern! Was, Ihr wollt schon fort?"
" Ja. Wir wollten Euch nur einen kurzen Besuch abstatten, Jan, und Euch bitten, zu uns zu kommen, denn wir haben Arbeit für Euch!"
Was für Arbeit?" Er sah sie fragend an.
Kommt nur, dann sollt Ihr's erfahren. Schicken Sie ihn zu uns, Frau Janowa!"
" Ja, das will ich thun. Vielleicht gebt Ihr ihm etwas. Seit drei Tagen haben wir nichts im Munde gehabt." Jan geleitete sie bis an die Pforte.
"
Ach, ach!" murmelte er, ich seh', Ihr könnt den Gedanken nicht los werden. Aber auf mich rechnet nur nicht. Ich werde kommen, warum solft' ich nicht kommen? Bin schon lange nicht im Städtchen gewefen. Es war gar zu falt! Wollt Ihr mir nicht sagen, was Ihr vorhabt?"
Sie lächelten, sagten aber nichts. Beim Abschied jedoch Tente ihm Niehorski die Hand auf die Schulter und sagte:
Wer weiß, diesmal willigst Du doch vielleicht ein." Das Gesicht des alten Powstanjeb"*) verdüsterte sich; er drückte ihnen schweigend die Hand. Sie waren schon weit fort, und immer noch stand er vor seinem Hause und schaute ihnen nach, und lauschte dem Wimmern des hungrigen Kindes in der Hütte, bis seine Frau heraussah und ihm zurief:
Komm' doch herein, Du wirst ja ganz erfrieren bei der Kälte mit Deinem hungrigen Magen."
Er seufzte, trat ein, sah sich in der Stube um, setzte sich ans Feuer und dachte lange schweigend nach. Aber das Weinen des Kindes und das Brummen der Frau störten ihn bei seinem Brüten, und auch seine Gedanken waren unstät, und nichts Fröhliches war darin; um ihnen also aus dem Wege zu gehen, legte er sich so schnell wie möglich schlafen.
Als ihm die Verbannten am folgenden Tage ihr Vorhaben auseinandersetzten, zuckte es bald traurig, bald begeistert über sein Gesicht. Der Plan war sehr einfach: sie wollten ein Boot bauen, Fleisch dörren, Zwieback vorbereiten und den Fluß hinab ans Meer schiffen, um dann zur See die Küste entlang an die Beringstraße zu gelangen. Sie rechneten darauf, dort Wallfischfahrer anzutreffen, die vom Fange heimkehren würden. Sollten sie aber keine Schiffe vorfinden, dann würden sie nach Amerika übersetzen und dem Ufer entlang nach Alaska segeln. „ Und die Amerikaner sind wirklich der Meinung, daß dieser Plan ausführbar ist?" fragte Jan vorsichtig. ,, Sie haben uns selbst darauf gebracht." Jan schwieg lange und rieb sich den kahlen Scheitel. Und was wollt Ihr eigentlich von mir haben?" " Oh, wenn Du wolltest, dann könntest Du uns in vielen Dingen behilflich sein: Du kennst die Sprache der Jakuten, hast Verbindungen mit ihnen, wohnst jenseits des Flusses in einer Gegend, wo es sehr gute Buchten giebt, in denen das Boot verstedt werden kann, wenn es fertig ist. Du bist verheiratet und weckst daher keinen Verdacht. Wenn Du man einwilligen wolltest, dann wären wir des Erfolges sicher."
*) Insurgenten.
Wollt Ihr alle fort?"
1904
" Ja, alle. Nur Mußja und Tscherewin bleiben hier." " Ich sehe keinen Grund, Mußja hier zu lassen," mischten sich Pietroff und Glicksberg ins Gespräch. Krassuski war auch ihrer Meinung.
Davon ist jetzt nicht die Rede; vor allem handelt sich's um Herrn Jan," unterbrach Alexandroff die Streitenden. Und Sie?" fragte Jan Eugenien.
"
„ Oh, ich gehe wir gehen!" wiederholte Frau Arkanoff errötend. Ihr Mann nickte schweigend.
,, Wir gehen alle. Vielleicht läßt sich auch Tscherewin im legten Augenblick überreden!" fügte Niehorsti hinzu. Jan versank wieder in Gedanken und strich sich verlegen über die Glaze.
„ Und, und... meine Alte mit dem Kleinzeug?" " Die bleibt hier. Aber von Amerika aus schicken wir ihr Geld und sie kommt nach."
,, Und wenn sie sie nicht fortlassen?"
,, Sie werden sie fortlassen. Und wenn sie was dagegen haben sollten, fordern wir auf offiziellem Wege, daß sie freigegeben wird, als Ihre Frau, Jan. Mister Morley wird uns helfen. Uebrigens wird uns unsre Reise populär machen! Die Yankees lieben fühne Leute. Sie werden uns helfen. Sie fühlen immer mit denen, die um die Freiheit kämpfen und helfen ihnen gern!" antwortete Nichorski mit vollster Ueberzeugung.
,, Vor allem müssen Sie gleich anfangen, Bauholz zu faufen," sagte Alerandroff. Die Planken müssen bei den Jakuten bestellt werden und 25 Fuß lang sein."
"
,, Der Kiel soll doppelt sein, aus einem Stamm mit verschlungenem Geäder; solch einen Baum müssen Sie in der Tajga aufsuchen. Und außerdem werden wir uns nach krummen Stämmen und Aesten umsehen, aus denen die Rippen des Bootes hergestellt werden. Ich werde zu Ihnen ziehen, Jan, und wir gehen dann selbander in den Wald," fuhr Alexandroff mit seiner bestimmten, ruhigen Stimme fort, als wäre Jan schon auf alles eingegangen.
„ Na, Ihr seid ja über mich hergefallen, wie die Zigeuner. Wartet ein bißchen. Morgen geb' ich Euch Antwort.
Er fragte noch nach den Einzelheiten, saß nachdenklich und verstimmt da und machte sich gleich nach Mittag auf den Heimweg. Eugenie folgte ihm in den Flur.
" Ich habe gehört, Herr Jan, Sie seien augenblicklich in Verlegenheit. Nehmen Sie diese Kleinigkeit an von mir, wie von einem Genossen wie von einem Bruder."
Hand.
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Sie drückte ihm ein Bündelchen und etwas Geld in die
Was soll das heißen: wollt Ihr mich bestechen?" wirklich nicht, Sie brauchen keine Angst zu haben," rief sie, als „ Das hat nichts mit der Flucht zu schaffen. Nein, nein, er das Bündel zurückstieß und zur Seite wich.
Jan traten die Thränen in die Augen.
„ Ech! gute Seele!" flüsterte er, ihre weichen Finger zwischen seinen schwieligen Händen festhaltend. Ich hab' keine thun werde? Ich weiß genau, was ich thun werde, aber ich Angst niemals. Und meinen Sie, ich wüßte nicht, was ich will's mir überlegen, das ist immer anständiger. Wer hat hnen aber von meinen Sorgen erzählt? Gewiß war's Niehorski; wenn der sich was in den Kopf setzt, dann kümmert ihn niemand mehr. Ich will ihm aber gehörig den Kopf waschen."
,, Nein, nein... ich versichere Sie, er war es nicht," bemerkte Eugenie.
ihn an, wie flink der ist! Man sollte meinen, er kann nicht drei zählen, aber zu Ihnen, seh' ich, redet er frei von der Leber weg, als hätt er Brüderschaft mit Ihnen getrunken."
„ Na, dann war's der Grünschnabel, der Krassuski. Schaut
Eugenie schwieg und zog sich in den dunkelsten Winkel zurück, denn sie war ganz verlegen geworden und fühlte wie ihr eine heiße Blutwelle in die Wangen stieg.
,, Und' s ist gar nichts Absonderliches geschehen," fuhr der alte Schwäger fort.„ Ein paar Tage lang sind keine Hafen in die Schlingen gegangen, und da wird gleich' n großer Tratsch draus gemacht. Aber' s ist wahrhaftig nichts dabei, wir sind schon dran gewöhnt. Nur Ihr gelehrten Leute bildet Euch ein: wenn der Mensch mal' n bißchen hungern muß, dann ist gleich alles zum Teufel und die Welt muß dabei zu Grunde gehen.