Nnterhattlmgsvlatt des Horwärts Nr. 194. Sonntag, den 2. Oktober. 1904 39] Die flucht. (Nachdruck verboten.) Von K. Bagrynowski. Ärkanoff wurde unruhig. Es handelt sich hier nicht um meine Person. jEs handelt sich ums Gelingen, und auch darauf müssen wir achten, daß wir der revolutionären Partei Ruhm einbringen und ihr keine Blöße geben." Sie neigten alle bejahend den Kopf. Ja, darum handelt sich's eben, ob wir das Gelingen durch einen Aufschub vereiteln oder nicht! Am besten wäre es freilich, ein Dampfboot zu bestellen, aber das geht nicht. Wir müssen also berechnen, wieviel Geld wir bekommen können und ob das reicht," schloß Alerandroff spöttisch den Streit. Die Berechnung ergab, daß die Verbannten der kargen Mittel wegen, über die sie verfügten, von vielen Dingen würden absehen müssen, die ihnen die Amerikaner als unumgänglich nötig angegeben hatten? daß sie auch ihre Ausgaben bis aufs äußerste einschränken müßten. Ihre Gesichter waren beim Rechnen sehr lang geworden. Aber als es zur Abstimmung kam, wurde Arkanoffs Vorschlag einmütig zurückgewiesen. Selbst seine Frau stimmte gegen ihn. Er nahm nicht mehr teil an den Beratungen und hörte verdrießlich zu, wie sie über die Mittel verfügten, die hauptsächlich aus seiner Tasche kamen, wie sie Ersparnisse anordneten, die ihn der einfachsten Bequem- lichkeit berauben sollten. Das ist alles sehr schön, wenn wir nur vor der Flucht nicht krank werden, oder toll vor Erschöpfung und schlechter Laune," sagte er auf dem Heimwege zu Eugenien. Das wird ja nur ein halbes Jahr dauern, Arth , nur ein halbes Jahr." Bah, Kleinigkeit! Ist das eüva eine so kurze Zeit? Nun jedoch, was Du willst. Nur eins bedinge ich mir aus auf einen Wohnungswechsel geh' ich nicht ein." Und doch würden wir damit sehr viel sparen. Du hast ja selbst gesagt, es läge Dir daran, daß die Flucht gelingt. Da ist also jeder Groschen von Wert. Und außerdem, wenn wir zu ihnen zögen, dann wäre auch der öftere Verkehr leichter zu be- mänteln, den die nötigen Arbeiten mit sich bringen müssen. Wir brauchten uns nicht so oft in der Stadt zu zeigen und der Polizei unter die Augen zu kommen." Wie ich seh', liegt Dir sehr viel daran! Ich muß mich wundern, wo Deine weibliche Schamhaftigkeit hin ist. Wo könnten sie uns lassen, möchte ich wissen i In dem Winkel, in dem wir die erste Nacht zugebracht haben? Ich muß gestehen, dies Opfer geht denn doch zu weit. Ebensogut könnten sie ver­langen, daß wir nackt gehen um zu sparen." sagte er grob. Peinlich berührt schwieg Eugcnie, obgleich sie sich sagte, daß nichts Besonderes dabei wäre, wenn Arkanoff dieses halbe Jahr hindurch mit den Genossen im großen Zimmer schliefe und sie in Arkanoffs Kammer allein wohnte. Es müßte eine Thür gemacht werden, ober immerhin würden sie einige hundert Rubel sparen. Sie nahm sich vor, eine passende Gelegenheit wahrzunehmen, um ihrem Manne diesen Plan plausibel zu machen, wollte aber jetzt, da sie seine Erregung sah, nicht länger mit ihm streiten. Am andern Morgen jedoch konnte sie es nicht über sich ge Winnen, ihrem Gatten so heiter zu begegnen, wie gewöhnlich, und erst als sie beide in Alexandroffs Jurte waren und an den dort unausgesetzt stattfindenden Beratungen und Arbeiten teil nahmen, hellten sich ihre Gesichter wieder auf. Alles mußten sie eigenhändig machen von den See karten an, die sie ihren Landkarten nachzeichneten bis zu den Seilen, die gedreht werden mußten, da die Eingeborenen ausschließlich Riemen zum Hissen ihrer Segel benutzten.?lbcr zwei Dinge waren es vor allen, die sie plagten: erstens der Ge- danke, daß ihr Plan entdeckt werden könnte, und zweitens die Furcht, nicht reckstzeitig mit ihren Vorbereitungen fertig zu werden. Tie Herstellung des Bootes und das Dörren des Fleisches besonders verursachten ihnen viel Kopfzerbrechen. Es war mitten im Winter. Die Bäume im Walde waren hart wie Stein. Die Aeste sprangen wie Glas, wenn sie draufschlugen. Es war ihnen unmöglich, das nötige Bauholz eigenhändig zu fällen und an Ort und Stelle zu bringen. Sie mußten Acnde rungen am Bauplan des Bootes vornehmen und kürzere Planken bei den Jakuten bestellen. Indessen suchten Jan und Alerandroff in den benachbarten Forsten nach krummen Stämmen und Aesten, aus denen das Bootgerippe hergestellt werden sollte, und fällten sie mühselig, indem sie große Feuer anmachten, um die gefrorenen Stämme zu erwärmen. Auch eine schöne, verdörrte Lärche fanden sie, mit gewundenem Geäder, die einen Kiel abgeben konnte. Es kostete viele Mühe, ehe sie den Stamm anf dem Hofe hatten. Die Verbannten, die im Städtchen geblieben, waren in- dessen fieberhaft thätig, um die kleine Badestube, die mittels eines überdachten Ganges mit Alexandroffs Jurte verbunden war, in eine Dörrkammer zu verwandeln. Tschojou, der einzige öpfer in Dschurdschnj, setzte unter Krassuskis Anleitung einen zweiten Ofen. Glicksberg und Pjetroff schlössen Kontrakte mit den Fleischlieferanten und boten ihre diplomatischen Talente anf, um Tas zu bewegen, ihnen Kredit zu geben. Geld," rief Niehorski alle Tage voller Verzweiflung, ein Königreich um eine anständige Summe Geld." Woronin, den der Wunsch, neue Mttel zu finden, aus seiner Stumpfheit aufgerüttelt hatte, saß den ganzen Tag über chemischen Büchern und stellte Versuche mit den Mineralien an, mit denen Jan ihn versah. In einer solchen Probe hatte er sogar einen bedeutenden Prozentsatz Silber gefunden, aber all das erheischte Zeit. Sie war ihnen aber knapp zugemessen, während das Geld sofort nötig war. Wenn ihr Unternehmen auch nur einige Aussicht auf Er- folg haben sollte, mußten sie, den Anweisungen der Ameri- kaner zufolge, mindestens auf zwei Monate hinaus mit Lebens- Mitteln versorgt sein. Für zehn Flüchtlinge betrug das wenn nur ein Pfund Fleischkonserven und ein halbes Pfund Zwieback pro Mann und Tag gerechnet wurde neunhundert Pfund sorgfältig zubereiteter und verpackter Vorräte. Sie hofften mit dem Zwieback leichter fertig zu werden. In Alexandroffs Jurte, wo der Wärme halber jeden Tag ein großer Backofen geheizt wurde, konnten täglich zwanzig Pfund geröstet werden. In den Regierungsmagazinen waren un- begrenzte Mengen von Roggenmehl vorhanden, nach und nach konnte davon gekauft werden. Das Fleisch mußte im Voraus bei den in der Umgegend wohnenden jakutischen Zwischen- Händlern bestellt werden? infolge des Aufenthalts der Ameri- kaner war der Preis von zweieinhalb Rubel bis auf drei Rubel das Pud emporgeschnellt. Zu den Konserven aber durfte nur das beste Fleisch genommen werden. Von Fett und Sehnen befreit, in feine Streifen geschnitten und bei einer Temperatur von fünfzig bis sechzig Grad Celsius gedörrt, lieferten zwölf Pfund frisches Fleisch kaum ein Pfund Pulver. Dies Fleisch- Pulver Pemmikan genannt wurde zur Hälfte mit� Talg vermischt und in großen Blechkasten verlötet. Um also die umüngänglich nötigen sechshundert Pfund Konserven zu er- langen, mußten die Verbannten in kurzer Zeit dreitausend- sechshundert Pfund Fleisch verarbeiten, eine für Dschurdschnjer Verhältnisse unerhörte Quantität. Sie mußten eilen, die größeren Lasten noch zu Schlitten ans andre Ufer zu bringen und sie in der Nähe der Bucht zu verbergen, von der aus sie die Reise antreten wollten. Und das alles mußte unbemerkt geschehen, denn es durfte nicht auffallen, daß sie Fleisch auf- kauften und Konserven machten. In Alexandroffs Kammer wurde über das Wie und Was geratschlagt, während KrassuskiS Stimme und das Dröhnen der Hämmer, von denen die Ziegel bearbeitet wurden, aus dem Flur herüberdraug. Geld und wieder Geld! Wir müssen den Zwischen- Händlern im Voraus zahlen und gut zahlen, um ihnen einen festen Kontrakt mit harten Bedingungen abzuzwingen? es darf ihnen nicht in den Sinn kommen, uns zu betrügen oder das Fleisch nicht rechtzeitig zu liefern. Das kostet alles Geld. Für Fleisch, Mehl und die ersten Ausgaben brauchen wir mindestens fünfhundert Rubel!" sprach Niehorski, indem er Arkanoff von der Seite ansah. Dieser that, als hörte er nichts und kritzelte Verschiedeire Zeichen auf ein Blatt Papier . Ich habe dreihundert," sagte er endlich nach langem Be- sinnen._.. Das ist immer etwas. Wir müssen das Pferd verkaufen, eine Anleihe bei Tas machen und schließlich unsre persönlichen Ausgaben einschränken."_,~* Sie beschlossen einmütig, fürderhin weder Zucker noc.)