Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 216.
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Mittwoch, den 2. November.
( Nachdrud verboten.)
Der Alte vom Berge.
Die Gemüter erhitzten sich, doch mehr oder minder willig führten alle die ihnen auferlegten dummen Bußen aus. Der Flötist mußte mit einem Besen tanzen und machte gute Miene dazu; er erhielt seine Flöte wieder und glaubte fertig zu sein, als Paska ausrief:
Wem gehört diese Birne?" und mit spizzen Fingern den furzen Stiel einer prächtigen Birne emporhielt.
" Bum Teufel!" rief der Flötenspieler und betastete seine Taschen. Die gehört mir! hr habt sie mir gestohlen!"
Wie? Sie führen Lebensmittel in Ihren Taschen mit fich? Was haben Sie noch? Brot? Käse? Lassen Sie doch einmal sehen, Sie Idealist!"
,,, Sie gehört mir! Nein, mir! Gib sie mir, Paska Carta, gib sie mir!" riefen die Buben.
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Der junge Mann wurde rot aber nun gerade wollte er seine Birne wieder haben und unterwarf sich deshalb der ihm zuerkannten Strafe. Er mußte hininieen und ein langer junger Mensch schrieb ihm einen Brief" auf den Rücken: allerlei Schimpfworte, zu denen kräftige Büffe die Interpunktion bildeten.
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Wäre ich doch an seiner Stelle!" dachte Melchior. Aber warum läßt er sich knuffen? Und in den ist die Närrin verliebt? Ist denn nicht mein Ziegenbock besser als der da? Und find meine Ziegen nicht verständiger als dieser ganze Haufen Narren?"
Die Birne wird hiermit ihrem Eigentümer wieder zugestellt," sprach Pasta feierlich, als der junge Mann aufstand und sich die schmerzenden Schultern rieb.
Aber inzwischen hatten zwei junge Damen die Birne geteilt und verspeist.
Er machte zu dem allen eine gleichgültige Miene, doch zog ein Schatten über sein Gesicht, und obgleich man dagegen protestierte, fing er von neuem an, grausam seine Flöte zu blasen.
Wem gehört dieser Fingerhut?" Ein silberner Fingerhut glänzte auf dem kleinen Finger des jungen Mannes in Hemdsärmeln.
,, Es ist der meine!" sagte Baska.
,, Es ist der meine," dachte Melchior und erkannte traurig feine letzte zärtliche Gabe. Jene Erinnerungen und die Demütigung, sein Geschenk in den Händen derer zu sehen, die ihn so unglücklich machten, brachten ihn von neuem auf.
„ Wenn Du ihn wiederhaben willst, schöne Paska, so erzähle uns eine Geschichte."
Eine Geschichte? Welche?" sagte sie für sich und erhob ihre Arme, um sich das Kopftuch zurechtzurücken. Bei dieser Bewegung erschien ihre Büste wundervoll modelliert durch das Hemdchen und das rotsamtene Mieder, und in die Gefühle, welche Melchior bestürmten, mischte sich jetzt noch das sehnende Verlangen, die schmiegsame Gestalt, die er als ihr Verlobter so oft mit Entzücken im Arm gehalten hatte, wieder zu umfassen.
Wer trennte sie jetzt? Wer hinderte ihn, hervorzuspringen, zu ihr zu eilen und Paskas frohes Herz wieder mit der alten Hingabe an dem seinigen schlagen und ihren frischen Mund auf seinen Lippen zu fühlen? Wer hatte sie getrennt? Die lächerlichen, albernen Menschen, die da um das Feuer schwirrten wie Nachtfalter um das Licht! Er fühlte Kraft und Mut, sie alle zusammen in die Flamme zu werfen, daß sie hoch aufschlüge und nur noch ihm und Paska leuchte, an die er triumpierend die Frage richten würde: Und nun?
„ Erzähle uns die Geschichte von der Henne," sagte Efisio, Basta am Kleide ziehend.
,, Nein, die vom Hahn, der kein Ei gelegt hatte." ,, Lieber die von der Henne, die ein Ei gelegt hatte." „ Nein," sagte Paska, und ihre klare Stimme übertönte den Lärm, ich will die Geschichte vom Zauberer erzählen." Sie begann:„ Es war einmal ein Knabe mit Namen Antoneddu," sagte der kauftische Stimme ihres Herrn. Nein, so nicht, sondern..
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Melchior?"
1904
Melchior erbebte beim Klang seines Namens. Wer hatte ihn genannt? Wer spottete seiner? Steiner von denen, die dort standen; die Stimme kam von einem der am Boden liegenden Männer, die er nicht sehen konnte.
,, Nun ja, Melchior," sagte Pasta mit herausforderndem Blick. Er
Das ist zu arg," sagte der Hirt bei sich, und das Feuer schien ihm blutiger rot. ,, Er trug eines Tages Holz vom Berge hinunter Wie denn? War er nicht ein Hirt?" fragte die Stimme von vorhin.
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,, Ach was, Hirt! Es war ein Knabe, ein Bauer. Da begegnete ihm die böse Orca. Der Knabe fürchtete sich. „ Das will ich glauben!"
,, Wie sah die Orca aus?" fragte Efisio leise, der, an Pastas nie geklammert, aufmerksam lauschte: Hatte sie auch Zähne?"
,, Und was für welche! Zähne so lang wie Spieße, und so lange Augenwimpern, daß sie sie mit Stöcken in die Höhe halten mußte!" Armer Melchior!
„ Meine Ahnung sagt mir, daß in dieser Geschichte Schlüssel vorkommen," sagte die näfelnde Stimme.
Und immerjort erklang die Flöte dazwischen.
,, Wohin gehst Du, mein Schäfchen?" fragte die böse Orca. Wenn Du mit mir kommst und mir dieses Holz verkaufst, so gebe ich Dir einen Korb Brot, der immer voll bleibt, soviel Du auch daraus nimmst." Der arme Junge, der immer Hunger hatte, ließ sich verlocken und ging, unter der Last seines Holzbündels gebückt, hinter ihr her. Die böse Orca schritt schnell dahin und fegte den Boden mit ihren Augenwimpern.
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" Jetzt höre aber einmal auf mit Deinem Zweig; siehst Du nicht, daß Du mir allen Rauch in die Augen treibst?" rief Pasta, schloß die Augen und wandte das Gesicht ab.
" Der Rauch zieht immer zu den Schönen und Braven," fagte ihr Herr.
emand faßte den Knaben, drängte ihn fort, und Paska erzählte weiter.
Also, die Orca trottete weiter und endlich kam sie an ihr Haus. Da nahm sie den Knaben und sperrte ihn in eine Kiste. Sie wollte ihn mästen und dann essen. Alle Tage befahl sie ihm, seinen Finger durch ein Loch zu stecken; aber der Knabe zeigte ihr einen Mäuseschwanz, den er in der Kiste gefunden hatte."
„ Aber... was bekam er denn zu essen?" fragte Efisio leise und zupfte Paska am Kleide. Und konnte die Orca ihn nicht sehen, wenn sie die Kiste aufmachte?"
„ Ach, laß mich, das weiß ich nicht. Also als die Orca sah, daß er gar nicht dicker wurde, holte sie ihn aus der Kiste heraus und befahl ihm, die Arbeit für sie zu tun. Sie übergab ihm hundert und einen Schlüssel
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Der Herr lachte laut und sagte:„ Habe ich nicht gesagt, daß Schlüssel darin vorkommen
Lassen Sie mich doch erzählen, Herr! Also sie übergab ihm hundert und einen Schlüssel und sagte: Siehst Du diese Schlüssel? Deffne alle Türen, die. Du mit diesen hundert Schlüsseln aufschließen kannst, aber hüte Dich, die zu öffnen, zu der
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Der hundertunderste paßt! Was schloß denn dieser hundertunderste auf?" rief es von verschiedenen Seiten, und Pfeifen, Lachen und dreiste Scherze erklangen.
Melchior kniff die Augen zusammen, um Paska deutlicher zu sehen, und es schien ihm, daß sie errötete, vielleicht weil er selbst rot wurde. Ein wilder Grimm schnürte ihm die Kehle zu gegen alle die, ihn fern glaubend, ihn feige verspotteten, aber auch gegen Paska, die das duldete.
Fit Deine dumme Geschichte noch nicht zu Ende?" stöhnte Ich werde sie aber zu Ende bringen, und das noch diese Nacht, Du Kröte, Du Schlange!"
er.
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Also der Junge nahm die Schlüssel und öffnete jene Tür nie. Aber er mußte immer an das denken, was dahinter verborgen sein könnte, und von Tag zu Tag wuchs seine Neugier Endlich konnte er nicht mehr widerstehen und schloß die Tür auf; doch bleich vor Schrecken stürzte er fort, denn das Bimmer war ganz voll von Menschen, welche die Orca abgenagt