Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 221.

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Mittwoch, den 9. November.

( Nachdruck verboten.)

Der Alte vom Berge.

Roman von Grazia Deledda .

Weiter! Was liegt mir daran?"

,, Nein, hört doch noch etwas merkwürdiges. Der, der in dem Netz lag, nahm ein Hölzchen und warf es einer der Karten spielenden Damen an den Hals; diese glaubte, daß ein anderer geworfen hätte, nahm einen Stein und warf damit einen der auf dem Boden Liegenden; so fing ein heimlicher Krieg mit Hölzchen und Steinen an.

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Ja," sagte Melchior mit bitterer Verachtung, die haben gute Zeit! Das ist dieselbe Geschichte wie gestern abend mit dem Taschentuch. Aber," schrie er dann, was liegt mir denn an dem allem?"

Nein, hört doch, hört, was für Narren! Nach den Steinen und Hölzchen haben sie sich mit den Karten geworfen, mit den Hüten, Händen voll Gras und Blätter, und dann mit den Kissen und den bunten Zeuglappen. Und sie haben gelacht, gelacht, einige warfen sich auf die Erde, um nicht zu platzen; voll Staub und trockenen Blättern wälzten sie sich am Boden und die Weiber liefen schreiend fort. Da sah ich auf einmal den Jungen, mit dem ich mich gezanft hatte, wie ich Euch fagte; ich war bange, er fönnte mich sehen, und ging deshalb auf die andere Seite der Kirche. Und was sehe ich da? Pasta im bloßen Kopf, mit aufgeschlagenen Aermeln, die auf einem fleinen Ofen neben der Hütte Hühner briet."

,, Und was sagte sie, als sie Dich sah?" ,, Sie sah mich nicht gleich, weil sie mit einem Manne schwatzte und lachte, der rauchend dabei stand und ihr allerlei lustige Dinge sagte."

Was sagte er? Wie sah er aus?"

Klein und dürr mit einem fuchsroten Bart." Und großen Ohren?"

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Die Ohren... ich weiß nicht, darauf habe ich nicht Acht gegeben.

Das ist er, der Flötenspieler," dachte Melchior. Das muß wohl ihr Liebling sein, der rothaarige Tölpel. Und um den hat sie mir den Laufpaß gegeben! Und was sagte er ihr?"

Ich weiß nicht, aber es mußte wohl etwas Lustiges sein, denn sie war ganz vergnügt und lachte. Der hämische Mensch sah mich sogleich und zwinkerte mit den Augen, um ihr zu bedeuten, nicht so laut zu sprechen. Da drehte sie sich um und sah mich."

" Seid Ihr noch hier?" rief sie mir zu. " Nein, sagte ich; ich bin wiedergekommen, weil ich diese Blume gefunden habe, die aus der Kirche sein muß. Ich will sie wieder hintragen, kommt doch und helft mir."

Vielleicht verstand sie, daß ich ihr etwas zu sagen hatte; fie steckte den Kopf in die Tür der Hütte, sprach zu ihrer Herrin und sagte zu ihrem Liebhaber: Ich komme gleich wieder." Sie folgte mir, und als wir in der Kirche waren, sagte ich ihr gleich:

Die Blume war ein Vorwand. Ich bin gekommen, weil Melchior Carta, Dein Vetter, mich schickt und Dir sagen läßt, noch heute von hier fortzugehen und nach Nuoro zurüd­zukehren, ihn nicht ins Verderben zu bringen, weil es sonst mit Deiner Freude ein Ende hätte."

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Und sie? Und sie?"

" Sie? Rein tot! Ihr Gesicht ist weiß geworden wie ein leinener Lappen und sie wagte nicht, ein Wort dagegen zu sagen." Und Du?"

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Ich fuhr fort: Du sollst nicht glauben, daß er den armen Alten hiehergeschickt habe, um sich vor Dir zu demütigen. Daß er weder Dich noch Deine Herrschaft fürchtet, daß er auf Deine Herrschaft pfeift und daß er mit Dir noch nicht ab­gerechnet hat."

, Gut! Ganz recht so! Und dann?

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Mäuschenstill! Da ließ ich ihr die Blume und machte mich fort; von weitem aber gab ich auch sie Acht und fah, wie sie aus der Kirche kam, zu dem jungen Menschen zurück­tehrte und anfing zu geftifulieren und das Kreuz zu schlagen. Sie mochte es ihm wohl erzählen."

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1904

Mag sie es erzählen, meinetwegen! Ich versichere Dich, daß sie nicht alles erzählen wird. Jetzt werden wir sehen, was fie tut."

" Ich sage, daß sie Euch nicht gehorchen wird."

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,, Mir nicht gehorchen? Das sagst Du, Maulaffe! Wer sollte sie verteidigen? Vielleicht der Einfaltspinsel, der bei ihr war?"

Der

Der?" sagte Basilio verächtlich und spuckte aus. rührt feinen Finger." Und für sich bemerkte er: Er ist so häßlich wie ein Hund. Und sie ist schön wie eine Rose. Wie fann sie nur solche Mannsbilder ansehen?"

Siehst Du wohl?" fuhr Melchior auf. Hunderttausend Teufel, wenn sie noch einen schönen Mann angesehen hätte! Aber den Tölpel! Warum trägt der wohl Beinkleider und einen Halskragen? Ich mit meinem Hirtenkleid möchte noch nicht mit ihm tauschen. Und ihr Herr? Hast Du ihren Herrn gesehen?"

,, Ein Trunkenbold!" sagte Basilio lachend, doch nicht mehr mit seinem frischen Kinderlachen.

Ein Schatten lag über seinen schönen Augen. Aus Un­ruhe über das, was seine gefährliche Botschaft ihm eintragen konnte, wie aus Ekel über die offenkundige Liebelei Paskas mit dem häßlichen jungen Menschen fühlte er eine ungewohnte Beklemmung, einen geheimen Zorn gegen seinen Herrn, gegen die Leute auf dem Berge, gegen sich selbst. Er fing mit den Biegen Streit an, reizte fie, schimpfte fie und hetzte sie gegen­einander, daß sie sich mit den Hörnern stießen. Dann machte er sich wieder auf die Suche nach dem Hasen, lief in der heißen Nachmittagssonne überall umher, fand aber nichts. Nichts! Melchior grub im Garten und begoß die kleinen Beete. Und vor der Tür ihrer Hütte saß Zio Pietro und zerschnitt mit seinem scharfen Messer Birkenzweige, um einen Schemel daraus zu machen. Er hielt den Kopf gesenkt, als ob seine Augen auf das Werk seiner Hände achteten; und es schien, als ob hinter seiner klaren Stirn nur friedliche Gedanken webten.

Die Sonne fenkte sich dem Walde zu. Außer dem Klang des Spatens, Basilios Rufen, dem Locken der Elstern und dem Gezitter der Ziegenglöckchen war fein Laut vernehmbar; nicht einmal das gewohnte Waldesrauschen; die Luft war so still, daß auch die äußersten Blätter des jungen Gezweigs sich nicht regten. Der mächtige Berg schlummerte in friedlichem Traum; und auch die drei armen, in jener tiefen Einsamkeit verlorenen Wesen schienen von der traumhaften Mittagsstille überwältigt und doch tobte in ihrem Herzen die Leidenschaft.

Der Abend verlief ruhig und es fiel nichts weiter vor. Nur gegen Sonnenuntergang, als Basilio das Feuer anfachte, sah er auf einmal ein kleines Tier an der Hütte vorüber­springen.

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O, der Hase! Der Hase!" schrie er und lief hinaus. " Es wird die Raze sein." jagte Melchior. ,, Nein, es ist der Hase! Er hat ja noch die Schnur. Er ist jetzt hervorgekommen, weil er Hunger hat."

Sie machten sich auf die Suche, und da die Ziegen in der Hürde ungewöhnlich unruhig waren, sprang Bafilio hinein und Melchior setzte einen Zweig in Brand und leuchtete. Bei dem ungewissen gelben Schein drückten die Ziegen sich an­einander, daß ihre Hörner einen dichten schwarzen Zaun bildeten, und in einem Winkel fand Basilio den Hasen zu­fammengefauert, mit hängenden Ohren und weitgeöffneten Augen; sein kleines Herz schlug heftig vor Angst und Hunger. Troß allen vorherigen Drohungen fiel es ihnen nicht ein, ihn zu bestrafen; seine Rückkehr zerstreute vielmehr die melan­cholische Schweigsamkeit, die seit einigen Stunden auf den Hirten lastete.

Beim ersten Morgengrauen melkten Herr und Knecht die Ziegen, die anfingen, trächtig zu werden und wenig Milch zu geben. Melchior ergriff eine nach der anderen, zwängte sie zwischen seine Knie und melkte sie, während Basilio, auf den Haken fizend, einen fupfernen Eimer unterhielt, der im fahlen Morgenlicht glänzte. Die Milch tropfte dick und dampfend, und das Gemecker der Ziegen flang durch die Stille wie das Weinen im Walde verlassener Kinder.

Vom Meere stieg in orangefarbenen Kreisen die Morgen­dämmerung herauf; der Schrei der Elster klang durch die stille Luft.

Dann bestieg Melchior sein Pferd und ritt auf den tau­