Anterhallungsblatt des VorwärtsNr. 224.Sonntag, den 13. November.1904(Nachdruck verboten.)igz Oer Elte vom Berge*Roman von GraziaDeledda.So wanderten sie ein Viertelstündchen. Basilio sah sichjeden Augenblick- um und überschaute die sonnigen Hänge, docher bemerkte niemand; auch das Zicklein wandte meckernd denKopf, doch keine der schon allzu fernen Gefährtinnen ant-wortete. So.befand sich die. arme Tior di pervinca bald ineinem von dichtem Gesträuch beschatteten Felsspalt, gefangengehalten durch dicke Steine, die Basilio von oben herabrollte.Er brachte ihr Eichenblätter und ein paar Hände voll Grasund wartete, bis die Ziege aufhörte zu meckern. Dann lief erschnell fort: die Ziegen lagen noch ganz still und Melchiorhatte seine Abwesenheit nicht bemerkt. Später erst, gegenSonnenuntergang, berichtete Basilio seinem Herrn, daß Tiordi pervinca fehle.„So geh' und suche sie," sagte'Melchior, nachdem er sichüberzeugt, daß dem so war.„Und wenn Du sie nicht mit-bringst, so komm' mir nicht mehr vor die Augen, DuNichtsnutz!"Ganz vergnügt schritt Basilio dem Kirchlein zu. Als eraus dem Walde heraustrat, sah er die strahlenlose Sonne wieeinen großen roten Granatapfel langsam hinter der glühendenKette ferner Berge versinken. Am Himmel tönten purpurneStreifen sich zu zarten, violetten ab, die in das tiefe Blatt desZenits übergingen.Die Wälder ruhten im feurigen Widerschein der langsamuntergehenden Sonne; die Felsen standen rotleuchtend da: aufFarnen und Kräutern lagen rote Lichter: und in diesem großenSchwingen, in diesem brennend roten Schein stand Paska,und Basilio sah, wie auch ihr Gesicht rosig schimmerte und wiees in ihren Augen flammte.Vielleicht hatte sie da auf ihn gewartet, denn sie empfingihn mit verschmitztem Lächeln und sagte:„Jetzt ist die Novena: heute abend geht es schnell, weilwir nachher zum Monte Bidde gehen, um das letzte Feueranzuzünden. Gehst Du auch in die Novena?"„xS�.„Und dann kommst Du nach Monte Bidde?"Er hätte zu allein Ja gesagt. War es denn möglich, derschönen Paska anders zu antworten?... Und wenn man esnun seinem Herrn hinterbrachte, daß inan ihn mit ihr sprechengesehen, daß er ihr nachgegangen sei?Sein Herr war weit weg und in diesem Augenblick dachteer gar nicht an ihn.Das Glöckchen läutete zur Novena, es rief, es forderte.Basilio folgte Paska, wie das Hündchen mit dem glänzendenHalsband, das ihm gar kein Verlangen mehr erweckte, seinemjungen Herrn folgte.In der Kirche bekreuzte er sich, und da er nichts andereswußte, sprach er die Gebete, die er in seiner Kindheit ge-lernt hatte:Oeo im sinno sa rughe,Sa vera rughe,Sa rughe vora,Sa Madalena,Santa Franziscu,Santu Filippu,Santu Juanne;Morte mai no' m' inganneNe a die nfe a nette,Fin' ass' ora'essa morte,Fin' ass' ora'essa fine;S' anghelu seraflne,S' anghelu bianeu;In nomen de su Babbu,Do su Fizu e de s' Ispiridu Santu.*)Dann erhob er die Augen zur Madonna und mit be-tvegtem Herzen betete er inbrünstig:*) Ich zeichne midi mit dem Kreuz— dem wahren Kreuz—Magdalena— Sankt Franziskus— Sankt Philippus— SanktJohannes— möge der Tod mich nicht überraschen— nicht bei Tage— Nicht bei Nacht— bis zu meiner Todesstunde— bis zu meinemEnde— o Seraphin— du weiher Engel— im Name» des Vaters— des Sohnes und des Heiligen Geistes.Frisoa sezis cale rosa,Frisca sezis cale lizu.Mama de su Santu Fizu,Mama de su Fizu Santu;In nomen de su Babbu,De su Fizu e de s' Ispiridu Santu.*) 1Die Novena dauerte lange; denn da es der letzte Tagwar, sprach der Priester außer den gewohnten Gebeten noch inlautem singendem Ton eine lange, monotone Jnvokation; erbat um Frieden für die der Madonna ergebenen Verstorbenen,um Glück und Wohlergehen für die Lebenden, um Ver-dammung der Irrlehren, Bekehrung der Ungläubigen, Siegder Engel über die bösen Geister, Ruhm und Ehre für denobersten Kirchenfürsten und die heilige katholische Kirche...S' anghelu seraflne,S' anghelu bianeu,In nomen de su Babbu,De su Fizu e de s' Ispiridu Santu,murmelte Basilio inbrünstig, fiir den Papst, für die Bekehrungder Türken, für den Sieg der Engel betend. Die Kniee tatenihm weh, die Schnüre um seine Fußbinden drückten ihn, undseine Gedanken wandten sich mit Besorgnis der Hürde zu unddem Felsspalt, in welchem Dior di pervinca gewiß kläglichmeckerte. Aber da war ja Paska; kokett den Kopf geneigt,kniete sie auf den Stufen des Altars, und ihr dunkelrotesSammetmieder leuchtete in der hellen Dämmerung. Siebetete und Basilio betete; sie regte sich nicht und Basilio konntesich nicht regen; sie ging unter den letzten hinaus und Basilioging hinter ihr her.Draußen hatten die Streifen am Horizont einen warmen,violetten Farbenton angenommen, dehnten sich aus und ver-flüchtigten sich langsam. Und in dem melancholischen, träum-haften Violett stand die rote Sichel des untergehenden MondessIn der Ebene mußte der Tag gliihend gewesen sein, denn dieam Horizont lagernden dichten Dünste gaben dem Neumondden roten Schein. Aber obschon der Wald in der abendlichenSttlle bewegungslos stand, war auf dem Orthobene die Luftlau und angenehm. Und in dem traumhaften Frieden, unterden schweigenden Bäumen, zwischen den dämmerigen Felsen,durch die großartige Landschaft, welche dalag, als ob sie in dieBetrachtung des weiten, violetten Horizontes und des ge-heimnisvolien Neumondes versunken sei, schritten die Leutehin, um das letzte Freudenfeuer auf dem gegen Nuoroblickenden Bergkainme zu entzünden.Leiser erklangen die Stimmen zu dieser Stunde. Einjeder trug einen Ast, einen Zweig oder Wurzelwerk. DieKinder sprangen und kletterten ans dem Felsen herum undhoben sich schwarz von dem klaren Hintergrunde ab.Basilio kam zuletzt, ernst, mit weitgeöffneten Augen, er-staunt, sich unter diesen Leuten und an diesem Orte zu finden;Paska schien gar nicht auf ihn zu achten und seine Unruhewuchs. Weshalb war er gekommen? Weshalb ging er hinterdiesen vergnügten Menschen her, den lustigen Herren, denlachenden Kindern und Mägden?Und sein Herr, der auf ihn wartete? Und das meckerndeZicklein im Felsenspalt?Und weshalb tat Paska, als ob sie ihn ganz ver-gessen habe?Man langte bei den Felsen des Monte Bidde an, undBasilio wurde angestellt, die Aeste und Zweige zu schichten, diealle auf einen Haufen warfen und das Feuer anzündeten.Auf den Felsen standen nur einige kleine, wilde Steineichen;doch unterhalb zog sich dichter Wald hin und breitete sich überdie felsigen Hänge wie ein grünes Meer.Die Täler in der Tiefe lagen schon im Schatten: Nuoroschimmerte noch durch die Dämmerung, und auch einigeandere Flecken in der öden, grauen Landschaft waren nochsichtbar; der weite Kreis der Berge am Horizont ragte in dastiefe Violett des Himmels, das nach Osten und Norden hin inperlfarbeneni Duft verschwamm.Das Feuer knisterte und verbreitete dichten Rauch, in demgoldene Funken sprühten; er zog sich abwärts, über die grüne•) Frisch bist du wie die Rose— ftisch bist du wie die Lilie—Mutter des heiligen Sohnes— Im Namen des Vaters— desSohnes und des Heiligen Geistes.