Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 229.
18]
Dienstag, den 22. November. Lai
cil
( Nachdruck verboten.)
Der Alte vom Berge.
Zia Bisaccias Sohn kam mit großen Schritten, ein wenig vorüber gebeugt, heran; seine Füße sanken in den bereits hochliegenden Schnee. Er hatte Rebhühner gejagt, weit, weit auf dem südwestlichen Abhang, wo er auch eine Wildsau aufgespürt, welche ihre eigenen und die Jungen einer anderen Sau säugte, die einige Tage vorher erlegt worden war, und er fam jetzt mit der frohen Hoffnung, sich am gastlichen Feuer zu wärmen, die Rebhühner daran zu braten und mit Bafilio Karten zu spielen.
Bei der Hütte angelangt, richtete er sich gerade, schüttelte den Schnee vom Rücken, stieß ihn mit dem Fuße von der Schwelle fort und trat ein.
-
" Im Namen des Gesetzes, ich verhafte Dich!" jagte der Karabinieri zur Rechten und packte ihn beim Arm. Er riß die Augen auf, erbleichte und machte eine unwillkürliche Bewegung zur Flucht; aber auch der andere Gendarm warf sich Bewegung zur Flucht; aber auch der andere Gendarm warf sich auf ihn und plötzlich fühlte er an den Handgelenken etwas, was noch kälter war als der Schnee: Handschellen.
„ Legt mir doch auch einen Strid an!" sagte er höhnisch und schüttelte die gefesselten Hände.„ Es ist ja Giovanni Tolu, der berühmte Bandit, den ihr verhaftet! Ihr werdet die
Medaille bekommen!"
„ Vorwärts!" sagte der eine Karabinieri und schlug ihm mit dem Gewehrkolben auf die Hüfte.
" Hast Du den Spion gemacht, Schuft? Das sollst Du mir bezahlen!" rief der Bandit Bafilio zu.
Vorwärts! Vorwärts!"
Rauh drängten sie ihn hinaus.
„ Hol' Euch der Geier!" schrie er, und ohne sich umzuwenden, ohne auf Basilios Beteuerungen zu achten, ging er fort.
Basilio sah die drei Gestalten in dem Schneetreiben verschwinden; dann setzte er sich wieder hin und sprach mit sich selbst.
"
Ach was, Spion! Seine Schuld war's, daß er herkam! Bio Melchior hätte es geradeso gemacht, wie ich, genau ebenso. Uebrigens gut gegangen ist's! Sehr gut!"
Und als ob er eine Pflicht erfüllt hätte, kehrten feine Gedanken nun wieder zu Paska zurück. Draußen medferten die Zicklein fortwährend, wie Kinder, die Kälte und Hunger
Leiden.
Melchior, der allein herauffam, fand Basilio fest schlafend, die Füße gegen das halberloschene Feuer ausgestreckt. Rauh stieß er ihn an und weckte ihn; eine düstere Flamme leuchtete in seinen Augen.
Hast Du den Spion gemacht heute, Du Fuchs ohne Schwanz? Du bist auf schlechtem Wege. Hüte Dich, Bursche!" Den Spion? Ach was, Spion!" Mit anscheinender Aufrichtigkeit erzählte er, wie die Sache zugegangen war; er benutzte aber auch gleich die Gelegenheit, um seinem Herrn zu sagen, was Zia Bisaccias Söhne und ihre Kameraden die borige Nacht über Pasta erzählt hatten und auch über ihre Riebelei mit dem Banditen.
Melchior erbebte innerlich; manche Einzelheiten fielen ihm ein, die er vorher nicht beachtet hatte; er machte Basilio feinen weiteren Vorwurf, aber er war nun achtsam, mißtrauisch.
Es schneite den ganzen übrigen Tag und auch die Nacht durch. Melchior schlief wenig und sprang bei jedem leisen Geräusch auf, das meist von einem unter der Last des Schnees brechenden Ast herrührte.
Er dachte an Zio Pietro, der der wenig zärtlichen Für forge Zia Bisaccias überlassen war; er fürchtete, daß die Karabinieri fommen würden, um auch ihn abzuführen, weil er den Banditen beherbergt hatte. Und welchen Banditen! Er verspürte einen tiefen Groll gegen ihn: sie hatten zusammen gegessen und getrunken und gelacht; aber wer mochte sagen, ob der letzte Geliebte Paskas in sein fröhliches Lachen nicht auch den mit einschloß, der ihm Obdach und Schutz gab? War das nur möglich? O ja, alles war möglich! Melchior erkannte,
1904
welch' ein Gemisch von Tücke und Treulosigkeit das menschliche Herz ist. Und er fühlte in seinem Kopfe, hinter der Stirn, im Nacken, in den Ohren, wie sein Blut kochte bei dem Gedanken, daß er Gefahr lief, seine Freiheit einzubüßen wegen eines Menschen, der vielleicht die Hauptursache seines Liebeskummers gewesen war.
Denn in jener Nacht wurde es ihm klar, daß sein Summer noch immer währte; daß, während er sich selbst zu täuschen suchte, indem er Ruhe und Vergessen heuchelte, im Grunde seines Herzens jene Leidenschaft ihn noch immer
quälte.
Er dachte auch an die Drohungen Paskas; deutlicher und begründeter fühlte er die peinliche Unruhe nach, die er eines Morgens bei der Rückkehr von Nuoro empfunden, und er fuchte den Zusammenhang zwischen jenen Vorkommnissen und der Verhaftung des Banditen. Sicher unterhielt dieser da mals ein Liebesverhältnis mit Paska, und er selbst hatte ihn durch Zia Bisaccia warnen lassen.
Ein stärkeres Geräusch ließ ihn aufspringen: er hörte das Unwillkürlich mußte er denken, daß auch der junge Freund Fallen eines schweren Gegenstandes auf dem weichen Schnee. so gefallen sei, wie ein Ast auf den Schnee, und daß es Paska gewesen, die ihn zu Falle gebracht, und die gedroht hatte, auch ihn zu Fall zu bringen!
Bei diesem Gedanken erbebte er vor herber Freude bis in den Grund seines Herzens; doch das war nur ein Augenblid! Dann umfing ihn wieder Trauer: die klare Stimme des Instinkts erklang in der Tiefe seiner Seele und verkündete ihm düstere Dinge.
-
-
In Nuoro hatte man ihm heimlich anvertraut, über Paska gehe das Gerede, daß sie in sehr intimen Beziehungen zu ihrem Herrn stehe, der sich manchmal von ihr leiten lasse. betrunken sei, Wenn er aber wie dies häufig vorkäme dann schlage er sie und zwänge sie, auf allen Vieren und mit aufgelöftem Haar durch die Zimmer zu kriechen, den kleinen Efifio auf dem Rücken, der sie peitschte wie ein Füllen.
Die Hausfrau schweige dazu, aus dummer Gutmütigkeit oder aus Furcht vor ihrem Manne, der sie schlüge wie die Magd.
Melchior hatte beim Anhören dieses Geredes äußersten Widerwillen verspürt; er hatte es nicht geglaubt, aber so erklärte sich vielleicht der merkwürdige Einfluß, den Paska
ausübte.
So tief gesunken ist sie sicher nicht, dachte er. Vielleicht blendet sie ihren Herrn nur, um zu ihrer Rache zu gelangen. Wenn es wahr ist, daß mein Freund sie verlassen hat, so mag seine Verhaftung wohl ihr Werk sein. Ich habe ihr Schlimmeres zugefügt, habe also auch Schlimmeres zu erwarten.
Nachdem Basilio die ganze Nacht geschlafen und geschnarcht, erhob er sich beim Morgengrauen. Melchior wachte noch immer, bleich und müde; er verspürte ein so gewaltiges Bedürfnis, zu schlafen, daß er sein Gewehr zur Hand nahm und furz und bündig zu dem Hirten sagte:
Jetzt lege ich mich schlafen, dies hier neben mir. Gib wohl acht, wenn mir etwas geschieht, so schieße ich Dich nieder, sobald ich die Augen auftue."
" Tut, was Ihr wollt. Ich gehe und kehre den Schnee aus der Hürde. Wenn Euch durch meine Schuld etwas widerfährt, so schießt mich meinetwegen nieder."
Melchior streckte sich aus, den falten Gewehrlauf fest in der Hand. Basilio ging hinaus. Es hatte aufgehört zu schneien, aber der Himmel blieb weiß, einförmig, der Horizont von dichten Dünsten verhüllt.
Mit der Erinnerung an Paska war Basilio eingeschlafen und aufgewacht. Und an sie denkend, trat er jetzt in die Hürde, wo die natürliche Wärme der Ziegen den Schnee in Kot verwandelt hatte; mit den Hüften die armen, halberfrorenen Tiere fortdrängend, fegte er den Platz so gut wie möglich. Die Sidklein mederten wieder und steckten ihre Schnänzchen durch die Zweige des Schutzdaches. Auch die alten Ziegen mederten und Basilio redete ihnen zu, halb böse, halb schmeichelnd.
Und wenn nun die Karabinieri kämen und auch Melchior festnähmen, was für Schuld hätte ich daran? dachte Basilio. Könnte ich nicht gerade fort sein, um Laub zu holen, und gar nicht mehr Zeit haben ihn zu warnen? Aber... nachher