Nein, das kann mir gar nichts nutzen. Wenn ich nicht gleich einen anderen Hern, fände, müßte ich vielleicht in mein Dorf zurück. Und dann? Und sie? Plötzlich lachte sein ganzes Gesicht: ein herrlicher Ge- danke war ihm gekommen und versagte seine trübe Stimmung. Jetzt, wo der Herr Zlngst hat, wird er nicht mehr nach Nuoro gehen. Er wird mich schicken und ich werde sie alle Tage sehen. O, was für ein Glück! Seine Augen leuchteten, als ob der ganze weiße Berg sich unter der Frühlingssonne in eine blumige Wiese verwandelt hätte. Er könnte jeden Tag Paska sehen! Der Bandit war im Gefängnis— zu Recht oder Unrecht, das war ihm gleich: und Melchior— mochte er noch an seine Base denken oder nicht— hatte Angst! Er würde also Paska jeden Tag sehe», ohne alle Sorgen und Be- fürchtungen-— war er nicht glücklich? Er war es diesen ganzen Tag und die folgenden. Bald warfen die Ziegen glücklich ihre Jungen, die durch die fette, nahrhafte Milch bald kräftig wurden, die Augen öffneten und die schwachen Veinchen.streckten. Wie stets im Nuoresischen, hielt der Schnee nicht lange an: zuerst ein tüchtiger Regenguß, dessen Tropfen große Löcher in den bereits aufgeweichten Schnee machten, dann der von den Bewohnern pappn nie(der Schneefresser) genannte Wind schmolzen ihn. Im Wald fiel er in Hausen herunter, und nur noch hier und da, auf den dicksten Aesten blieb ein wenig festgefrorener zurück. Und dann erschien eines Tages die Sonne und der Himmel wölbte sich wieder in leuchtendem, doch kaltem Blau über die glänzenden Zacken der fernen Berge. Da bestieg Basilio eines Abends das Pferdchen, um am anderen Morgen Zio Pietro nach Hause zurückzubringen. Er hatte sich nicht getäuscht: Melchior hatte Angst. Nachts er- wachte er beim geringsten Geräusch und bei Tage spähte er mißtrauisch in die Ferne. Selbst nach Nuoro hinabzureiten, schien ihm nicht einmal in den Sinn zu kommen. Basilio machte sich also frohen Herzens aus, in der sicheren Hoffnung, die Geliebte wiederzusehen. Wirklich sah er sie während dieses Winters oft. Nachdem Zio Pietro zurückgekehrt war, blieb er ruhig zu Hause. Melchior schien sich zwar mit der Zeit ein wenig zu beruhigen, doch immer noch kein rechtes Vertrauen zu haben: er schickte also Basilio niit der Milch nach Nuoro . Da es spät Tag wurde, molk man die Ziegen abends und brachte die Milch auch abends hinab, damit Zio Bisaccia sie am Morgen rechtzeitig verkaufen konnte. So verbrachte Basilio meist die Nacht in Nuoro . Manchmal, wenn er heimkehrte, strahlten seine Augen vor Freude in der Erinnerung an das letzte Zusammensein mit Paska: häufig aber hatte die Freude einen recht herben Nachgeschmack. Dem sorglosen Rausch der ersten Zeit folgte bald ein durch den Gedanken an die Zukunft sehr getrübtes Glück. Der Mann erwachte in ihm. Maßlos verliebt in Paska, hatte er nur das Verlangen, sie zu seiner Frau zu machen: und doch erkannte er so klar wie nie zuvor, daß seine Armut ihn außerstande setzte, zu heiraten. Sein Schlaf war nicht mehr ruhig und tief wie früher: düstere Gedanken pochten an seine Schläfen, während draußen der Wind brauste wie tausend tosende Wasserfälle. In solchen Nächten haßte er Melchior, der ihn jetzt ungerechterweise schlecht behandelte: er Hatzte ihn nicht bloß deswegen und weil er Paßkas Geliebter gewesen war, sondern auch weil er soviel Vieh besaß, so viel Weiden, während er selbst nichts hatte und jenem dienen mußte, um zu leben. In Zia Bisaccias Hause hörte er mitunter, was man sich alles über Paska erzählte. Von hundert entgegengesetzten Leidenschaften durchtobt, von Eifersucht, Zorn gegen die Ver- leumder, Ekel, Zweifel, Liebe, sagte er ihr unverhohlen wieder, was er gehört— und ein einziger Kuß von ihr benchigte ihn wieder; im Grunde aber blieb als bitterer Bodensatz die Eifer- sucht zurück. Er hätte sie auf der Stelle heiraten mögen, weil er in seiner kindischen Vorstellung dachte, wenn Paska seine Frau sei, würde sie keinen anderen Mann mehr ansehen, und das böse Geschwätzt müßte dann verstummen. Dem früheren naiven Geplauder mit Zio Pietro folgten jetzt positive Fragen: „Ist es wahr, Zio Pietro, daß, wenn ein Hirte vom Militär zurückkommt und nichts hat, die Freunde ihm jeder ein Stück Vieh schenken und er so zu einer ordentlichen Herde kommt?" „Das kommt darauf an. Wenn es ein ehrlicher junger Mann ist, den man gut leiden kann, so bekommt er viele." „Bekamt Ihr denn viele, als Ihr vom Militär zurück- kamt?" „-�a. „Und dann habt Ihr geheiratet?" „Tann habe ich geheiratet." Ein andermal, da er wieder auf diese Frage zuriickkam» vertraute Zio Pietro ihm eine alte Geschichte. „Höre! Damals hatten mich alle gern. Aber auch ich, ich will mich nicht rühmen, tat niemand etwas zuleide. Als ich in Deinem Alter war, war ich auch ein Knecht. Ich hatte eine alte, alte Herrin, und ihr einziger Sohn wurde damals verhaftet und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Meine Herrin wurde vor Kummer krank und fühlte, daß es mir ihr zu Ende ging. Da sie wußte, daß das Gericht alsdann das ganze Erbe des Sohnes an sich nehmen würde, was tat sie? Sie setzte mich zum Erben ein und starb ruhig, denn ich hatte ihr versprochen, alles dem Sohne wieder zuzustellen, wenn er aus dem Gefängnis käme. Und so tat ich. Da schenkte der Sohn mir zwanzig trächtige Ziegen." Basilio dachte an Zio Vaskis Ferkel: welch ein Unter- schied zwischen dem Männchen mit den blauen Aeuglein und diesem Alten, der seine guten Handlungen so schlicht erzählte. „Tu lieber Himmel!" rief der Hirte lachend und schlug sich auf die Brust,„ich hätte alles behalten!" „Und dann?" fragte Zio Pietro streng. „Dann hätte ich ein schönes Mädchen geheiratet. Wart Ihr damals schon verliebt? Ach, man sieht es ja, daß Ihr nicht verliebt wart." „Siehst Du das? Nun, Du irrst. Ich war sogar sehr verliebt, aber wenn die selige Maria Grazia mich einer Un- redlichkeit fähig gehalten hätte, so hätte sie mich nicht mehr gewollt." „Ist das wirklich wahr?" Basilio beugte sein Gesicht über den erloschenen Herd: als ob das Feuer hell aufflammte, fühlte er heiße Glut auf seinen Wangen. Er dachte an Paska. „Wenigstens die Hälfte! Wenigstens die Hälfte, Zio Pietro! Ihr seid dumm gewesen," sagte er dann mit falschem Lachen. „Nichts! Nichts! Sie hätte mich dann nicht mehr gewollt." „Die Närrin!" sagte Basilio für sich, und als er hinaus- trat, spuckte er aus, ohne daran zu denken, daß er eine Tote beschimpfte. X. Der Frühling kam heran. Dichtes Gras wuchs auf den Hochebenen und die Weißdornhecken leuchteten fast so hell wie der winterliche Schnee: im Walde blühten Veilchen , Mai- glöckchen und Cyklameu, deren Duft morgens und abends bis zur Hütte drang. Aus jedem Felsen rann ein Wasser- äderchen und aus dem großen Becken ergoß sich ein Büchlein über den Garten, den Melchior aufs neue bestellte. Ten Zicklein wurden einfache, hölzerne Maulkörbe an- gelegt, um sie zu entwöhnen: auch begann der Verkauf der» selben, und aus der überreichlichen Milch wurde Käse gemacht. Mit der gehäuften Arbeit hatten die Hirten weniger Muße, sich ihren Leidenschaften hinzugeben. Die Milch konnte wieder in der Frühe gemolken werden, und es war nicht immer Basilio, der die zu verkaufende zu Zia Bisaccia brachte, somit keine nächtlichen Zusammenkünfte mit Paska mehr hatte. Aber sie ging jeden Morgen zeitig zum Brunnen, um die Stunde, wo Basilio auf den Berg zurück mußte, und dieser hielt dann mit dem Pferdchen wartend am Rande des Weges. Kaum gewahrte er sie, wie sie flink daherkam ans der morgenfrischen Landstraße, so legte er einen großen Stein auf das Ende der Pferdeleine und lief ihr entgegen. Das Pferdchen im Auge behaltend, schwatzte er eine Weile mit dem Mädchen. Mehr als einmal wurden sie beisammen gesehen, und man erzählte sich, daß Paska wieder mit Melchior an- gebändelt hätte, und daß Basilio den Boten mache. So kam es Zia Bisaccia zu Ohren und dann auch Melchior selbst. „Was ist das für eine Schwindelei?" fragte er den Hirten. „Was hast Du mit der da zu schaffen?" Da er ihr einen Schimpfnamen gab, stieg Basilio das Blut zu Kopfe und er schrie: „Wir lieben einander. Was geht das Euch an? Ich heirate sie." Da klärte sich Melchiors Miene auf und er brach in ein herzliches Gelächter aus. Der andere fühlte aus diesem Lachen eine solche Geringschätzung heraus, daß ihm eine Ohrfeige lieber gewesen wäre. „Ha, ha, ha!" lachte Melchior und schlug sich auf die
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21 (22.11.1904) 229
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