Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 230.

19] 39

od toun su

7900

Mittwoch, den 23. November. till 1904

( Nachdruck verboten.)

Der Alte vom Berge.

Roman von Grazia Deledda  .

An einem der letzten Maitage nahm Melchior die acht Tetten jungen Ziegen, band ihnen die Füße zusammen und hing sie, vier an jeder Seite, über den Sattel seines Pferdes. Er schickte den Hirten damit in ein Dorf, wo dieselben bestellt

waren.

Bafilio zog singend ab und trieb das beladene Pferd vor sich her.

Durch den blühenden Wald führte der Weg, dann durch ein tiefes, mit goldenem Ginster bewachsenes Tal, über einen Bach, an dem der Hollunder feine weißen Blütendolden aus­breitete, und wieder aufwärts, über Schiefergestein, wo die wilde Rose in Blüte stand. Auf einer Heide, zwischen dichtem Mastiggebüsch, jah Basilio ein graues Fohlen mit gestutztem Schwanze weiden.

Vom weiten Weg ermüdet, nahm er die an den Sattel feines Pferdes gebundene Schnur, warf sie um den langen Hals des Fohlens und bestieg dessen Rücken, in der Abficht, es bei der Rückkehr wieder dort zu lassen. Und lustig ging's über die Heide fort, die ihm wie ein grünes, wogendes Meer erschien. Nur des Kuckucks Ruf tönte durch die unendliche Stille. Und Basilio träumte, daß das Fohlen sein sei und das Pferd und die Ziegen und das ganze weite Land, das er durchritt, und daß er das alles verkaufen könnte und dann mit vollem Beutel vor Paska hintreten und sie heiraten.

In dem Dorfe angelangt, verkaufte er die Ziegen. Man frug ihn, ob auch das Fohlen zu verkaufen sei. Er sah auf den jegt leeren Sattel seines Pferdes und dachte, daß er den Heimritt natürlich auf diesem machen würde, statt auf dem nackten Rücken des Fohlens. Und er verkaufte es.

Als er wieder über die Heide ritt, dunkelte es; noch ver­nahm er den gleichmäßigen, immer wiederkehrenden Ruf des Kuckucks durch die schweigende Einsamkeit; die Mastirbäume glänzten im schrägen Strahl des Neumonds.

Und nach dem ersten, so merkwürdig gelungenen Schritt - das Fohlen hatte ein Fremder gekauft, der die Gegend gleich wieder verließ fand Bafilio seinen Weg. Als er zur Aus­hebung beordert wurde, brachte er sich durch Waschungen mit Branntwein eine Augenentzündung bei; er litt furchtbare Schmerzen, doch bei der ärztlichen Untersuchung wurde er wegen unheilbarer Ophtalmie ausgemustert.

In wenig mehr als Monatsfrist war er genesen. Der Sommer verging. Aeußerlich war nichts verändert in der Behausung der Carta, aber dennoch war in den kleinsten Dingen eine Wandlung vorgegangen. Bafilio war groß und ernst geworden, sein Blick unitet. Zio Pietro blies noch immer das Feuer an, fehrte die Hürde, bereitete die Mahlzeiten, betete und erzählte Geschichten. Sein Gemüt war ruhiger: Die Kleine Lilie vom Berge hatte sein Gebet erhört und die Wolken am verdunkelten Horizont seines Alters zerteilt.

Als sie eines Tages allein waren, sagte Melchior: Hört, Vater! Zia Bisaccia möchte mich verheiraten." Wenn das Mädchen gut ist, so nimm es. Aber hast Du die andere vergessen?"

"

16 Das Mädchen ist gut," antwortete Melchior, ohne die zweite Frage zu beachten. Es ist ihre Nichte. Untersetzt, dick, braun, mit Katenaugen. Eine gute Haushälterin."

"

Wie heißt sie?"

,, Benturedda."

,, Hat sie etwas?"

Stute."

Biel! Ein Haus, einen Weinberg, einen Ader, eine

Wenn sie rechtschaffen ist, nimm sie. Aber hast Du die andere vergessen, ja oder nein?"

dichten schwarzen Brauen. Die niedrige, behaarte Stirn ver­schwand unter dem weit vorgezogenen Kopftuche; aus zwei dicken, spöttischen Lippen kam eine Stimme von tiefem, rauhem Ton, und die Augen blickten streng, ja stechend.

Die Mutter, Zia Bisaccias Schwester, eine ganz un­geheuer dicke Frau, empfing Zio Pietro höflich, doch mit einer gewissen Herbheit; obschon jie längst auf des Alten Frage vor­bereitet war, tat sie, als ob sie von nichts gewußt hätte, nickte nur und würde Bedenkzeit verlangt haben, wenn Zia Bisaccia sich nicht ins Mittel gelegt hätte.

"

Ach was, Bedenkzeit, Schwester! Höre auf mich, auf Deine Schwester. Deine Tochter ist reich, Melchior ist reich, worauf zum Teufel sollten wir warten? Sie haben ein Haus" und sie erzählte in gewohnter Weise alles an den Fingern auf sie haben Ländereien, Vieh, Brot, Wein, Wolle, Del Teufel, die Gelegenheit kann gar nicht besser sein! Warauf also willst Du noch warten?"

-

Die Witwe ließ sich überreden und antwortete ja. Am Tage Allerheiligen würde sie Melchior den Zutritt ge­währen. Das Mädchen brachte Zio Pietro zu trinken, war aber sehr schweigsam.

Auf Eure Gesundheit und die Erfüllung unserer Wünsche!" sagte Zio Pietro und erhob sein Glas mit bedender Hand. Auch sein Herz erbebte und die Furche auf seiner Stirn vertiefte sich. Eine unbestimmte, unendliche Traurigkeit über­fam ihn, diesen zwei weiblichen Wesen gegenüber, die ihm falsch und tückisch vorkamen. Das Lachen und die männlich tiefe Stimme derjenigen, die Melchior ihm als gut und rechtschaffen bezeichnet hatte, waren ihm besonders zuwider. Er wußte nicht weshalb, doch er mußte derer gedenken, an die er lange nicht gedacht, Paskas, mit ihrer süßen Stimme und dem Kinder­lachen, das Freude verbreitete, wo es nur erklang; und sein Herz schmolz vor Liebe und Kummer, denn er fühlte, daß Melchior nicht vergessen hatte, nicht vergessen konnte.

Dieser stand unterdes unter Zia Bisaccias Haustür, rauchte eine fardische Zigarre und wartete in Geduld. Als er 3io Pietro zurückkehren sah, nahm er die Zigarre aus dem Munde, spuckte aus und fragte mit vollkommener Ruhe: d Na, haben sie Euch eine curufica( Storb) gegeben?" " Ja," antwortete der Alte, siehst Du nicht, wie schwer ich daran trage?"

Er beugte sich, als ob er wirklich eine schwere Last auf den Schultern trüge; er versuchte zu scherzen, beide versuchten zu scherzen, während sie doch im tiefsten Grunde ein Gefühl von Bitterfeit erfüllte, das sie sich gegenseitig zu verhehlen trachteten.

Zia Bisaccia lachte ihr seltsames plumpes Lachen, bei dem sich nicht ein Muskel ihres groben Gesichts verzog. Sie nahm Melchiors schwielige Hand und zählte auch ihm an den Fingern her:

hr habt Vieh, Ihr habt ein Haus, Aecker, Del, Milch, Wolle, Wein. Meine Nichte paßt für Euch, weil sie... meine Nichte ist. Zu Allerheiligen habt Ihr Eintritt. Und nun setze ein anderes Gesicht auf, Melchior Carta, und gedenke immer Zia Caterinas, die Dir zu Deinem Glück verholfen hat."

dumm.

Er ließ sie reden, rührte nicht die Hand und lächelte Wolle, Del, Milch, Käse, Vieh, Wein, Honig"- sprach sein Herz in bitterer Aufwallung." Genügt das, um glücklich zu sein?"

,, Allerheiligen?  " fragte er dann. Da müssen wir über­legen, was ich ihr geben soll. Ein Tuch? Oder Geld?" ,, Geld, mein Sohn, Geld! Ein Tuch mußt sich ab, aber Geld nicht. Ich habe einen halben Goldfuchs*), den wechsle ich Dir gegen Papier, und das... ohne Aufgeld.

,, Gut," sagte er und dachte an Paska und das erste Ge­schenk, das er ihr gemacht. Sie hatte ihm dagegen ein Taschen­tuch geschenkt mit einem gestickten roten Herzen.

Vater und Sohn stiegen still bergan. Grauer, trostloser Serbstnebel tropfte von den trockenen Blättern und verschleierte den Wald. Niedergeschlagen zogen sie unter den feuchten

Ich habe sie vergessen," erwiderte Melchior ärgerlich. Nachdem Zia Bisaccia die Sache eingeleitet, bestieg 3io Pietro an einem Herbstmorgen das Pferdchen und ritt, vom Sohne geführt, nach Nuoro   hinunter. Dort angelangt, wechselte er die Kleider, wusch sich, kämmte sich den Bart, setzte die sardische Müße auf und ging dann mit Zia Bisaccia, um Bentureddas Hand zu fragen. Diese war, wie Melchior an-*) Zwanzigfrankstüd, Marengo genannt, weil sie zuerst gedeutet, klein, dick, mit mächtigem Busen und Hüften, oliven- Napoleon I. zur Erinnerung an die Schlacht von Marengo prägen farbenem Teint und tiefliegenden, blaßblauen Augen unter ließ; noch heute beim Pferdehandel übliches Zahlungsmittel.