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Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 238. ford sibul Sonntag, den 4. Dezember.png
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Ich bekenne.
( Nachdruck verboten.)
Roman von Clara Müller- Jahnke . Mitton im volen dubie 48 zog ein Haufe trotziger Bauern uus dem benachbarten Lenzburg vor das Rathaus zu Belle garde , um sich den verschrieenen Demokraten als Seelsorger in das heimatliche Dorf zu holen. Zwei mar schon hatten sie ihn zum geistlichen Oberhaupt gewählt; zwei Mal hatten die Behörden ihm die Bestätigung versagt.
Aber in Berlin hatten die Kanonen gesprochen. Und ein Fieber ging durch das ganze Land, daß alle Adern pochten. ,, Wi willen emun wi friegen em!" Und se fregen em.
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Der Bürgermeister lief blaß vor Angst in das Rathaus. Nach Köslin und nach Stettin gingen Eilbriefe an die Regierung und das Konsistorium ab
Die Zeit war böse, und die klugen Leute schickten sich in die Zeit.
Am zweiten Weihnachtsfeiertage 1848 hielt mein Vater feine erste Festpredigt im Gotteshaus zu Lenzburg .
Im Schiff der Kirche standen die Bauern, schluchzend vor Andacht und Zerknirschung. Und die stattlichen Bäuerinnen saßen in den Bänken und sangen mit schallender Stimme ihr: Halleluja!-Zu diesem Weihnachtsfest hat meine Mutter nicht nötig gehabt, selbst Kuchen zu backen.
Siehst Du, meine Seele, so ist es denn wieder das Gesetz der Vererbung, das mir je und je im Blut gespuft hat.
Und trotz alledem war ich ein blindgläubiges Kind. Ich habe mit den Seelen meiner Toten, namentlich mit der meines über alles geliebten Bruders, Zwiesprache gehalten, habe sie in Leuchtend weißen Kleidern unter goldfruchtbehangenen Märchenbäumen lustwandeln sehen Ich habe nach Anhörung von Passionspredigten, von Mitleid und Zer fnirschung geschüttelt, nächtelang nicht schlafen können und habe im Halbtraum die Wundenmale des Heilands gefüßt. Ich hatte die feste Ueberzeugung, daß ich eine große Sünderin sei; gleichzeitig aber lebte die tröstliche Zuversicht, daß alle meine Sünden mir liebreich vergeben seien, ein strahlendes Leben in meiner Seele. Und dieser ganze glückliche Glaube erlosch in dem einen Augenblick, als mein Vater starb. Nach seinem plötzlichen Tode ging eine seltsame Wandlung in mir bor. Mich packten grausame Zweifel an der Vatergüte Gottes. Da mals find meine religiösen Gedichte entstanden. Heimlich geschrieben und scheu versteckt, wie alle anderen:
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Alles, was noch durch das Trübe
Lent empor den matten Blick:
Alle wahre Herzensliebe,
Alles reine Menschenglück,
Alles, was noch Himmelstöne
Weckt, dem et'gen Tod ein Spott, Alles wahrhaft Gute, Schöne: Unser Geist ist unser Gott!"
So hab' ich in jenen Jahren gesungen, als ich nach meines Vaters Lode im Hause meines Vormundes weilte, seines Studiengenossen und Lebensfreundes, von dem ich Dir gesprochen habe. Mit dessen Tochter schloß ich eine schwärmerische Freundschaft. Alles, was an Phantastereien und Ueber spanntheiten in einer jungen Seele schlummert, schoß unter der Sonne dieser Freundschaft üppig in Blust. Marie war sechs Jahre älter als ich, anmutig, umschwärmt, oberflächlich. und sie behandelte mich wie ein erwachsenes Mädel, wie ihresgleichen.
Ich bin frühzeitig gereift, mein Liebling. Tod und Sorge, Arbeit und Tränen und auch diese Freundschaft haben ihre sengenden Strahlen über meinen Lebensweg ergossen. Arme Marie!
Das aber gehört in ein anderes Kapitel.
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An einem leuchtenden Julitage war es... und ich ein Kind von dreizehn Jahren, das mit tränengefülltem, begehrlichem Blick in die blühende Weite schaute. An einem Sulitage war es, als die Sonne hoch am blauen Mittagshimmel stand und die ganze Erde in einen Rausch von Gold und Farbengluten tauchte:
1904
Da fiel der zweite Schatten Deines Daseins in mein
Leben.
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Meine Mutter wurde krank. Krank von dem Kummer, den Aufregungen und Sorgen des Gnadenjahres; sie war eine Folge der blinden Güte meiner Elfern nicht nur mittellos, sondern erheblich schuldenbelastet zurückgeblieben. Dazu stand sie in schweren, bedenklichen Jahren. Nun war ihr ein junger Arzt in dem nahen Provinzstädtchen als befonders füchtig und geschicht empfohlen. mir donn an churchgluteten Sommertage in die Stadt. Im Privatzimmer eines dortigen Hotels hab' ich meine Backfischliebe zum ersten Mal gesehen. Du! in
Ich lege meine Arme fest um Deinen Hals, meine Liebe, mein Leben mein Heiland Du! Und lieblich war es doch, Dies erste plötzliche, ungeahnte Erwachen der Neigung in mir. Der Neigung: nicht des Weibes. Das Weib in mir hat wunderbarerweise noch jahrzehntelang geschlafen.
Und der Erste ist uns niemals der Geliebte. Wir müssen auch die Liebe erlernen, wie jede andere Kunst; und sie ist eine gar schwere Kunst, die Lebenskunst des Weibes.
In dem großen Kampf unserer Tage, den die Frauen gegen Unverstand und Brotneid, gegen Vorurteil oder auch gegen einen irregeleiteten Idealismus für ihre Menschenrechte auszufechten haben, stehe ich in der vordersten Reihe.
Aber das erste Recht der Frau ist das Recht auf Liebe. Nicht das Recht auf den Besitz des Geliebten, nicht das Recht auf das Geliebtsein, sondern das Recht auf das Lieben selbst. Und so war denn auch meine erste Liebe das Lieben allein, nicht das Geliebtsein.
Ich war ein Kind an Leib und Seele, und er hat von meiner findlichen Neigung wohl niemals einen Laut erfahren. Als ich an diesem Juliabend heimkehrte in mein Dorf, da sangen alle Stimmen der blühenden Gotteswelt in mir. Wie ein elektrischer Schlag hatte die Neigung mein ganzes Wesen durchzuckt
Ich wußte, daß ich liebte. Und das machte mich stolz, glücklich und sterbenstraurig zu gleicher Zeit.
Und wieder trat der tragische Konflikt wie eine Schickung in mein junges Empfinden.
Während ich aus den Sommerferien, die ich daheim bei meiner franken Mutter hatte verleben dürfen, in das Haus meines Vormundes, bei dem ich Religionsunterricht genoß, wieder zurückkehrte, lag Marie in Bellegarde bei ihrer dort verheirateten Schwester an einem typhösen Fieber schwer danieder.
Albrecht war auch ihr Arzt.
Sie war ihrer Natur nach fokett, liebenswürdig und verliebt. Es hat wohl niemals etwas Ernsthaftes sich zwischen ihnen abgespielt. Doch Marie schrieb Tagebücher, in denen sie ihren Empfindungen für den jungen, stattlichen Mann den schwärmerischesten Ausdruck verlieh.
Und diese Tagebücher gab sie mir zu lesen. Ich hatte keine Tagebücher geschrieben. Aber Lieder. So tauschten wir unsere Gefühlsergüsse aus und steigerten dadurch unsere Verehrung für den einen Mann in's Grenzenloſe. Diesem Liebesfieber gesellte sich bei mir eine Art religiösen Wahnes. In den Wochen vor meiner Konfirmation las ich die ganze Bibel durch, Wort für Wort. In mein Giebelfenster fang des Nachts die See. Nächtelang habe ich mit meinem Gott gerungen.
Wort.
Und an meinem Konfirmationstage fand ich das befreiende Ich betete an
"
Nicht jenen Gott, den Menschenkunst
An hoher Wölbung hingemalt,
Das Zepter in erhobener Hand,
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Die Stirn von goldenem Licht bestrahlt Nicht jenen, blutend dort und bleich, Auf fahler Lippe der Liebe Ruf: Ich bete an den schönsten Mann, Ten Gott zu seinem Bilde schuf Anbetung war mein Lebenselement. Und da ich den Schöpfer verloren hatte, so betete ich das Geschöpf an...
Heute weiß ich es besser: ich kniete doch vor dem Bilde Gottes. Ich folgte unbewußt dem uralten heiligen Lebens