Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 249.
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Ich bekenne.
Dienstag, den 20. Dezember.
( Nachdrud verboten.)
Roman von Clara Müller- Jahnke . Heilig ist unser Bündnis, mein Liebling, so heilig, daß es eine unerschöpfliche Quelle des Lebens für uns werden mußte! Denn Leben sind in dieser Quelle versunken, die nie geatmet und die wir dennoch als lebendig, zitternd und jauchzend in uns empfunden haben. Wir haben Leben ge trunken aus dem Herzblut derer, die in uns schlummern und die wir nicht geschaffen haben! Und nicht jede Stunde nur gedenke ich Deiner, Du Schöpfer meiner ungeborenen Kinder: nein, in jeder Stunde mindestens sechzig mal sechzig! Alle die Liebe, die andere ausgeben dürfen, blüht und glüht wie ein großes fonzentrisches Feuer in mir!
Ich habe mich in Dir verloren. Und kann mich nur finden in Dir.
Und weil Du ich bist und ich Du, deshalb kommt doch in gesegneter Stunde ein Friedensgefühl über mich, der Friede der Erfüllung.
Liebe.
Denn das einzig Vernunftgemäße auf der Welt ist die Weißt Du noch, wer das einmal gesagt hat? Ich weiß
nicht mehr, ob Du es warst, ob ich
Das ist auch belanglos. Wenn Du es gesagt hast, so habe ich's empfunden.
O meine Seele, meine Seele, wie liebe ich Dich! Jetzt sollte ich das Buch meines Lebens weiter schreiben und ich schreibe einen Liebesbrief an Dich. Mein ganzes Leben ist ein Liebesschrei nach Dir gewesen, und Dein Herz ist das Buch meines Lebens.
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Und ich habe den Hals eines anderen umflammert in wahnsinniger Sehnsucht; und habe die Lippen eines anderen gefüßt. Und meinen Leib einem anderen gegeben. o Du: wo warst Du?
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1904
sie wandelte, als daß ihre Tochter sich ohne Bezahlung verschenken würde.
Oliebe, liebe Mutter, ich bin bitter gegen Dich! Doch ich flage Dich nicht an, nur die Zeit, in der Du groß nein: nicht groß geworden bist, diese Zeit, die jedes Weib mit Eisendie so früh schon ein geschütztes Heim, einen guten Mann und flammern an den Erdboden gefesselt hielt. Wie hättest Du, liebe Kinder gefunden, wie hättest Du aufstehen und um Dich sehen sollen?
in die Wand, an denen ich meine Bilder für den Winter aufVincenti schlug mit einem schweren Hammer die Nägel hängen wollte. Er prüfte die Fensterriegel sorgfältig auf sicheres Schließen und rückte mir den Wandspiegel über der Mahagonikommode zurecht. Dann legte er den Arm um meinen Leib und führte mich vor das blinkende Glas.
So soll Dein Bild mun winterlang vor meiner Seele stehen
Den Aermel streifte er mir zurück bis zum Ellenbogenheilig ist mir die Stelle gewesen, auf der seine Lippen geruht. gelenk und füßte mich dreimal auf den nackten Arm. Wie Dann kam der Winter. Mit meterhohem Schnee und froren, das Eis barst knisternd und klingend unter des flüch metertiefem Eis. Die Ströme waren bis auf den Grund getigen Läufers Fuß.
Und während dieses ganzen Winters kämpfte ich den heißen, qualvollen Kampf mit mir selbst.
Ich betrog meine Mutter. Und konnte keine Reue darüber empfinden. Meine Sinne waren erwacht und drängten mich mit elementarer Gewalt in die Arme des Mannes. Ja,
meine Sinne, welche verlangten, daß ich ganz Eins mit ihm würde, forderten von mir auch den gleichen Glauben, den er Bücher zu lesen, seine Himmel zu ersehnen, nur eine zwingende bekannte. Kein Bedürfnis meines Geistes trieb mich an, seine Forderung des Gefühls.„ Nicht mir zuliebe sollst Du Deinen Glauben wechseln," so schrieb er mir in einem seiner heimlichen, viele, viele, eng beschriebene Seiten umfassenden Briefe, ,, ich werde Dich auch lieben, wenn Du bleibst, so wie Du bist." Und dennoch betrieb er diesen Glaubenswechsel mit all
Du warst nicht da, Du warst nicht da, als ich im Dämmerdunkel des Sep- feiner Kraft. Hat er sich selbst betrogen, als er jene Worte temberabends, an der Tür unserer Vorratsstube stand, als eine Hand sich schwer auf meine Schulter legte und ein Geficht sich an mich schrieb, oder sind sie nur ein kühner Schachzug gewesen? über meinen Kopf herniederbeugte, als zwei heiße Lippen ,, Nicht Dir zuliebe will ich katholisch werden, sondern sich auf meinen Mund preßten aus Liebe zu Dir.'
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Du warst nicht da. Und dennoch füßte ich Dich! Der Andere aber glaubte, ich füßte ihn. Und er flüsterte mir heiße, rasende Worte in das Ohr. Und ich hörte ihn an.
Seit fünfundzwanzig Jahren hatte er kein Weib gesehen. Alle meine Sinne fieberten.
Ich war ein dummes, dummes Ding. Trotz der weißen Strähnen in meinem Haar. Wenn ich mir wenigstens flar geworden wäre über mein eigenes Verlangen!
Doch wie wäre das möglich gewesen?
Als Schande hätte ich's empfinden müssen, wenn ich's mir gefagt hätte, einfach und klar: ich begehre diesen Mann. Schande wär's gewesen, weil dieser Mann mich nicht zu seinem Weibe machen konnte. Schande wär's gewesen: denn wir wohlgesitteten höheren Töchter verkaufen unseren Leib nur gegen bar.
Gegen Ehering und Namen. Schenken dürfen wir nicht; das wäre eine Schmach: ein Rechenfehler!
Und ich schenkte dennoch. Schenkte, weil in mir der Troß Toderte gegen eine Gesellschaft, die mir nur Pflichten auferlegte und jeden Anspruch auf Lebensfreude nahm. Schenkte, weil ich mich unsagbar reich fühlte und mit meinem Ueberflusse nicht wußte, wohin.
Und hier war ein Bettler, der die Hand ausstreckte. Liebling, meine Seele, wo warst Du?
Der Oktobersturm umbrüllte unser Haus, als Vincenti ging. In unserer Winterwohnung nahm er Abschied von mir. Wir zogen alljährlich im Herbst, wenn die Saison beendet war, aus dem im Park gelegenen Sommerhause in das massive Gebäude an der Straße, in dem wir zwei große Parterre zimmer als winterliches Domizil eingerichtet hatten.
Meine Mutter legte noch die letzte Hand an die Aufräumungsarbeiten im Logierhaus. Sie hätte eher geglaubt, daß die Flammen der Hölle die feste Decke durchbrächen, auf der
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Das war meine Antwort, und ich glaube fest, daß es die Antwort war, die er erwartet hatte.
Nun folgte ein reger Briefwechsel. Vincenti unterwies mich in den Lehren seiner Religion, und mein liebendes Herz bot alle in der Weibesseele ruhende Mystik auf, um sich in diese dunklen Tiefen zu versenken. Der Weihrauchnebel umwogte mich und legte sich füß und betäubend auf meinen Verstand.
Zuweilen freilich drang ein Lichtstrahl durch den blauen Dunft dieser mystischen Stimmungen, ohne daß ich wußte, von wo er fam. So erinnere ich mich, daß eines Tages, als ich eine feiner brieflichen Abhandlungen studierte, ein plögliches Lachen in mir aufstieg, daß ich zu Tinte und Feder griff und ohne alle Umschweife die eine Frage niederschrieb:„ Und glaubst Du wirklich an diesen blauen Dunst?" Darauf erhielt ich einen Brief voll flammenden Zornes. Ich fühlte Peitschenhiebe auf mich niedersausen. Und in der heißen Angst, ihn verlieren zu können, hab' ich die Hand geküßt, die mich schlug, hab' ich die Zähne aufeinander gebissen und mich mit fanatischer Inbrunst an all' diese Wunder, Seligkeiten und Sinnlichkeiten aufs neue dahingegeben.
Das ging bis tief in den Februar hinein. Und als wir uns ein halbes Jahr fast nicht gesehen hatten, da schlug uns trotz aller geistigen und geistlichen Bindemittel die gesunde, natürliche Sehnsucht in roten Flammen über dem Kopfe zusammen.„ Wir müssen uns sehen," schrieb er ,,, wir müssen sprechen über die heiligsten und tiefsten Dinge.
Unter dem Vorwande, entfernte Verwandte besuchen zu wollen, bin ich zu ihm gefahren, nitten durch die Schneeberge hindurch, die sich mit Elementargewalt gegen die fauchende Maschine stemmten und schließlich doch dem von Menschengeist erdachten, von Menschenhand geformten Ungeheuer weichen mußten.
Mein Lieb, foll ich Dir meine Empfindungen auf dieser Fahrt zu schildern versuchen? Ich war kein schußbedürftiges
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