«gründliche Fäden mit ihm und seinem Schicksal verknüpft s«en. Aber zn dem Mädchen zog ihn nicht nur sein Fatalismus. Seine Sinnen- und Gefühlswelt war durch sie in Verwirrung geraten; weil er aber stets allem Gefühlsmäßigen kühl und mißtrauisch gegenübergestanden hatte, so suchte er sich einzu- bilden, es sei eine rätselhaste Neugier, die ihn trieb und lockte. ihr Wesen zu ergründen, oder ihr sonderbarer Aufzug zu jener nächtlichen Stunde habe auf seine Künstlerphantasie mehr als billig eingewirkt. Aber wie er sich auch den Fall zu erklären suchte— seine innere Unruhe wuchs und wurde stärker. Es lastete auf ihm, daß er so in Unfrieden von ihr geschieden war, und daß sein plötzlicher Einfall in diese still umhegte und umfriedete Häus- lichkeit nicht eine Brücke zu ihr geschlagen, sondern die lose au- geknüpften Beziehungen abgebrochen hatte. Und auf einmal kam ihm die eigensinnige Idee, daß all sein Vorhaben mißglücken müßte, wenn es ihm nicht gelänge, Grete Anders zu sich herüberzuziehen, zum mindesten aber auszusöhnen. Und wie einmal der Gedanke in ihm Wurzel gefaßt hatte, vermochte er ihn nicht mehr auszuschalten, und hartnäckig, wie von einer sixen Idee gepackt, wiederholte er sich beständig:„Ich muß mit ihr meinen Frieden gemacht haben, bevor ich noch mit diesem Steinert zusammenkomme." Und nun zerbrach er sich den Kopf, wie er dies bewerk- stelligen könnte... Es wollte ihm aber nichts einfallen. Langsam und sorgfältig machte er Toilette, steckte die nagel - neuen Glacees in den Mantel und schritt dann langsam die Treppe hinab. Auf dem letzten Absatz begegnete ihm Herr Freitag. Der kleine Mann blieb dicht vor ihm stehen. Er nahm eine steife, gerade Haltung an und sah mit traurigen Augen groß und fragend zu ihm auf. Er sprach kein Wort. Keßler wurde etwas unheimlich vor diesem Blick. „Mein Herr," sagte er,„ich habe über Ihre Angelegenheit sehr gründlich nachgedacht. Sie werden meinen Entschluß bald hören. Ich bitte mich jetzt zu entschuldigen, ich habe in meiner eigenen Sache eine entscheidende Konferenz, bei der ich mich nicht verspäten darf." Herr Freitag zog den Hut und verbeugte sich tief. Dann gab er Raum und ließ Keßler vorbei. Dem Baumeister wurde einen Augenblick unbehaglich zu Mute. „Macht sich der über dich lustig?.. fragte er sich im sttllen.„Hat er dich durchschaut?... Oder hast du ihm in der Tat einen so ungeheueren Respekt eingeflößt, daß diese Verbeugung der Ausdruck seiner inneren Überzeugung war?.. Seine Gedanken wurden abgelenkt... Unten vor dem Hause stand sein Wagen... Er lachte innerlich auf. In all den Aufregungen hatte er ganz vergessen, daß er sich einen Wagen hielt. Nun war Herrn Freitags Gruß verständlich. Der Mann war von ihm durchdrungen... (Fortsetzung folgt. (Nachdruck verboten.) Der Student. Von Karl Schönherr . In die öde, kahle Bude des stud. med. Hartmoser scheint die Morgensonne. Auf dem Tische brennt noch, einem armen Seelen- lichtlein gleich, die kleine Petroleumlampe mit dem gemodelten blechernen Reflektor und dem angerußten Glaszylinder. Was ihr an Leuchtkraft abgeht, ersetzt sie reichlich durch Gestank, der in Ver- btndmig mit kaltem Pfeifenrauch und dem schalen Geruch nach einem ausgelöschten Spiritusbrenner sozusagen einen integrierenden Be- standteil jeder armen Studentenbude bildet. Auf dem Tische liegt ein ganzer Wust von Papieren, abgegriffenen Schriften, baufälligen Büchern und Zetteln; daneben ein Teller mit Wursthäuten und Schivarzbrotresten. In bezug auf die Wurst scheint man es hier sehr genau zu nehuien; die beiden Zipfel zum Beispiel sind mit einer technischen Meisterschaft behandelt, die auf langjährige Uebung schließen läßt. Fein säuberlich ausgehöhlt und losgelöst von jeg- lichem Fleische liegen sie da wie zwei kleine durchsichtige Näpfchen. lieber diesen Resten von Herrlichkeit ist der Student am Tische yngeschlafen. Er hat wieder die ganze Nacht durchgebüsfelt; gegen Margen sank ihm dann der Kopf auf das Buch nieder, und die Lider fielen siber die Augen. Er sieht für einen Rigorosanten nicht sehr geistreich aus, wie er so mit halb offenem Munde und hängender Unterlippe al'f dem Sessel kauert; im Gegenteil, er ist vor lauter Lernen ganz du.TUp geworden, obwohl das gar nicht seine Absicht war. An die vier Monate schon wickelt sich sein Leben in dieser erschreckenden Regelmäßigkeit ab: Büffeln und ochsen... Brot und Wurst,.. ochsen und büsteln... Wurst und Brot... Es gehört ein guter Magen dazu, aber arme Studenten haben ihn. Studenten sind ja so jugendfrisch. Plötzlich schnellt er mit einem Satz kerzengerade vom Sessel auf. Einen Augenblick stieren die schlaftrunkenen Augen wirr herum; dann hat ihn auch schon wieder eine unsichtbare Gewalt zum dick» leidigen Buche niedergerissen. Wie ein Automat, halb im Dusel sagt er den Satz her, über dem er eingeschlafen war. Auf einmal zuckt er zusammen, als ob er einen elektrischen Schlag erhalten hätte. Um Gottes willen I Heute ist ja der große Tag, der Priifungstagl Er reißt die Augen weit auf; nun ist»r erst vollkommen wach geworden. Entsetzt fährt er nach der Westentasche. Wie spät mag es nur sein? Da erinnert er sich, seine Uhr studiert ja im Versatzamt. Er hatte die paar Gulden gebraucht, um die Rigorosumtaxe voll zu machen. Wie besessen stürzt er in das Zimmer seiner alten Quartier- ftau zur großen Wanduhr. Gott sei Dank, noch eine Stunde Zeit. „Frau Huberl Meinen schwarzen Rockl Verflucht, hören Sie denn nicht? Haben Sie ihn sauber geputzt?" Die alte Frau Huber, welche sich eben in aller Behaglichkeit für Mittag einen Apfelstrudelteig austreibt, hat eine satirische Ader. „Ganz sauberl Herr Hartmoserl Er glänzt wie ein Spiegell" „Und der Zylinder? Rein gebürstet?" „Ganz rein, Herr Hartmoserl Kein Haar ist mehr darauf!" Hartmoser stürzt in seine Bude zurück. Wie ein gehetztes Wild eilt er wieder an den Tisch, wühlt in den Zetteln, blättert in den Schriften. Mit wahnsinniger Hast durchfliegt er noch rasch ein Kapitel aus der Anatomie; mit dem einen Auge aber schielt er schon nach einer endlosen chemischen Formelreihe nebenan, und den Zeige- finger hat er zwischen den Seiten eines dritten Buches liegen. Weiß Gott , was dort noch für Schreckgespenster schlummern. Er wäscht sich. Da fällt ihm etwas Schreckliches ein. Das Gesicht voll Seifenschaum, stürzt er auf die Anatomie los; bei einem Haare hätte er auf die Rekapitulatton des Sym- pathikusgeflechtes vergessen. Er zieht die Stieflctten an und repetiert den„Schlingakt"; er knöpft sich den Hcmdkragen zu und murmelt: „Cholalsäure Cu H« O,, Glycocoll C- Hä O- N..." „Frau Hnber," ruft er dann, zum schweren Gang gerüstet, noch hinter der geschlossenen Tür.„Also, ich geh' jetzt! Verstecken Sie sich, damit mir nicht an meinem Prüfungstag schon gleich beim Verlassen der Bude ein altes Weib begegnet I Das bedeutet Unglück!" Er wartet einen Augenblick, bis es aus irgend einem Winkel ruft: „Jetzt können Sie schon gehen, Herr Hartmoser. Ich Hab' mich gut versteckt, damit Sie sich am Ende gar auf mich ausreden, wenn es schief gehtl Ich wünsche übrigens viel...." „Ob Sie das Maul halten I" brüllt der Student. Der Glück« wünsch eines alten Weibes am Prüfungstage... Das fehlte noch!" Er flüchtet erschrocken durch Stube und Vorraum auf die Treppe. « Hartmoscr steht bereits mitten im Rigorosenschlachtgetümmek. Er besitzt am ganzen Körper kein trockenes Fleckchen mehr. Was ist Lindenblühtee gegen«in RegorosumI Die Haare sind verklebt, das Vorhemd zerknittert, die Krawatte verschoben, der Hemdkragen weich wie Frau Hubers Strudelteig. Der Physik-Profcssor hat ihn schon auf zwei Monate geschmissen. Innerhalb zweier Monate Nach- Prüfung aus Physik... das geht noch. Wenn sich nun aber auch noch der Physiolog„anhängt", vor dem er jetzt, totenbange der Frage harrend, am grünen Tische sitzt, dann ist das ganze Regorosum hin, mit Inbegriff der Tare. Das viele Petroleum und die viele Wurst... alles beini Teufel... und die Tare I... Es steigt ihm heiß in den Kopf auf und läuft ihm kalt über den Rücken. Herrgott I Wenn er die Taxe verlieren sollte. Und er hat sie so schwer aufgebracht. Fünfundzwanzig Gulden von seinem Stundengeld abgehungert... zehn Gulden ausgepumpt... fünf Gulden vom Unterstützungsvcrein... und schlielich mußte er noch die Uhr aufs Leihamt„ins Studieren" schicken, damit es nur langte. Wenn er nur schon einmal anfangen möchte, der Hund von einem Professor. Der Student fährt sich durch das Haar, er zupft an seinem Kragen, greift sich an das Herz und trippelt derart mit den Füßen, daß der Professor ans irrtümliche Gedanken kommt: „Herr Kandidat, wenn Sie vielleicht einen Moment hinaus- zugehen wünschen... bitte I" Der Professor sitzt so recht breitspurig, satt angegessen da; er schluckt einigemale behaglich und beginnt dann mit fetter Stimme: „Also, Herr Hartmoscr..." Der©ttident schnauft tief ans. Nun geht es an! „Sagen Sie mir, Herr Kandidat.. Der Student bewegt schon die Lippen und paßt auf wie«in Hund, dem der Herr das„Apportt" werfen will. „Was sehen Sie, wenn.. «Da sehe ich..." „Aber lassen Sie mich doch erst die Frage stellen I Ja? Also wa? sehen Sie, Herr Kandidat, wenn Sie..
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22 (12.1.1905) 9
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