Keßler ging schweigend mehrere Male durch das Zimmer. „So bleibt mir also nichts anderes übrig!" „Gott sei gelobt, daß Sie endlich das erlösende Wort ge- fprochen haben. Lassen Sie sich nur nicht von Ihrem Ent- chluß abbringen— Sie wissen, was davon abhängt." „lind wenn doch alles in die Brüche geht, was dann?" „Wir müssen eben siegen!" „Für heute haben Sie mir jedenfalls die gute Stimmung genommen. Ihr Ilnglücksgekrächz hat sich mir cmf die Nerven gelegt." „Das täte mir aufrichtig leid.— Mir scheint, als ob Sie mich gründlich mißverstanden hätten. Ich habe nur Ihre Hülfe in Anspruch nehmen müssen." Und bedeutungsvoll setzte er hinzu:„Unser beider Schicksal liegt in Ihren Händen, Herr Baumeister . Wenn Sie den Mut sinken lassen, ist alles verloren: gerade Ihre Elastizität habe ich immer bewundert." Keßler sah ihn blinzelnd von der Seite an. Er hatte zum erstenmal einen starken und ausgesprochenen Widerwillen gegen den Menschen. Er empfand ihn wie sein böses, auf ihm lastendes Schicksal— er fühlte, daß er in seinen Händen war— daß es für ihn keinen freien Willen und kein Ent- rinnen mehr gab.— Und hinter alledem stand seine große Idee, die bereits Gestalt und Wirklichkeit angenommen und vor ihrer Vollendung nicht kläglich scheitern durste. Er setzte sich an den Schreibtisch und schrieb eine Zusage an Frenzel. „Hier haben Sie den Wisch— Sie können ihn selber in den Kasten werfen." (Fortsetzung fotgt.x Otto Sricb. Wir saßen im Ratskeller beim Pilsener. Mitternacht vorbei. Er erzählte von den Alimentationsprozessen, die ihm in Stolberg unter die Hände gekommen, wie er sich in Leipzig mit Hermann Conradi zertragen, von Berlin und den jungen Leuten von der Konfektion und der Baumwollbranche, die jetzt gar zu gern ä Verhältnis mit der modernen Literatur anbandeln möchten. Plötzlich wird die Tür aufgerissen, und herein schiebt der dicke Re- hakteur. „Psn I... D' Eh-re l" Vorstellung. „Ah, der Autor von... Pfn I... Meine Hochachtung!" Er schnellt den Kopf zurück und fuchtelt mit einem Papier herum. „Pfn I... Soeben Telegramm angekommen!... Wilder, Sie müssen uns helfen l"..» „Jetzt?" „Morgen l... Nein, heute..- imch ein paar Stunden... Sie nehmen einen Wagen..." „Hartleben will mir den Tag noch schenken." Jetzt wurde der Pfn I zuckersüß. „Der Herr Kollege fahrt mit... Ein Ausflug... Ja... Schöne Gegend da oben, an der Grenze.. Ich sah Hartleben an. Er nickte. Gleich ratschte der Redakteur weiter:„Ueberschlvemnmng, große Ueberschwemmung gewesen I... Ja!... Damm weg... Häuser weg... Mühlen weg... Das ganze Tal ist ruiniert. Da haben wir... pfn I... doch die heilige Pflicht..." „... Die Konkurrenz zu schlagen I.. Wir lachten. „lind?" fragte ich und niachte eine kleine Fingerbewegung. „Selbstverständlich I Der Wagen... und alle anderen Spesen ... Extrahonorar für den Artikel.,, um 12 Uhr müssen wir ihn haben.... Pfn!... Ich habe gleich Geld mitgebracht..." Das Geschäft wurde abgeschlosien, wir gingen. Ich sprang nach Hause, steckte den Kopf ins Wasser, sah auf der Generalstabskarte die Brücke» und fahrbaren Feldwege nach, trommelte einen Fuhr- Herrn heraus und holte Hartleben aus dein Hotel ab. Die Sonne ging auf, als wir aus der Stadt in den hellen Sommermorgen hineinfuhren. In den ersten Dörfern war noch alles ruhig, die Straße stieg bergan. Da betrachtete ich meinen Gast, der mir gegenüber saß, genauer. Hartlebcn war damals ein frischer Bursch. Volles, von einer Erzgebirgsreise leicht gebräuntes Gesicht, dem der dicke Horn- zwicker sehr gut stand, Bartanflug am Kinn und unter der kräftigen Nase, das Haar hinter den Ohren gewellt. Mächtiger, prachtvoller Oberkörper, aber... Wieder kam das Schmunzeln. Die Beine zeigten von den Knieen an ein Streben nach auswärts: Leichte Bäckerbeine. Als er einstieg, hatte ich es ganz deutlich bemerkt. Jhin, der doch hier fremd war, schienen Land und Leute wenig zu interessieren. Umsomehr meine Reporterarbeit: Wie ich die Augenzeugen und Vetrofsencn ausstagte, mir während der Fahrt Aufzeichnungen machte, den Schaden abschätzte. Und am Nach- mittagc verglich an dem vorliegenden Artikel genau, was aus den Skizzen geworden. Aus Leipzig schrieb er mir, hier sei der Rotwein besser als im.Ueberschlveiumungsgebiete"; wenigstens kratze er nicht so. '.' Hartleben stanimte aus. gutein" Hause. Seine Eltern starben bald. So kam er zu Verwandten, zu Fremden; fühlte sich verein» samt, wurde verbittert. Der Herzlosigkeit der Raff-, Genuß- und Gesellschaftsmenschen setzte er Trotz entgegen. Der Helläugige sah die Taten seiner Sippe, seiner Klaffe und wußte sie bald zu werten. So kam der Spott. Aber er war Fleisch von ihrem Fleische. das stählte, das wußte er. So schwamm er bald mit ihnen, und kamen dann Augenblicke der Erkenntnis, verulkte er sich selbst. Er wußte genau, was die heutige Gesellschaft wert ist, noch genauer aber, daß sich in und mit ihr sehr gut leben läßt, wenn man Geld hat. Geht's zu Ende, muß man eben wieder welches herbeischaffen. Auch mit den Mtteln der Kunst, die einem sonst heilig waren. In Schönheit genießen, ein Gefühl allgemeiner Wurschtigkeit war das Ende. »* Stellung zum Sozialismus, zur Partei, hat Hartleben sehr früh genommen. Am Wahltage. Da stehen sie im schmutzigen, zerrissenen Rock, Der Koth der Gaffe klebt an ihrem plunrpen Fuß—- Da stehen sie und starren blöden Augs Dich an Und bergen beide Fäuste in den Taschen tief. Du gabst die Stimme jenem Mann, den sie erwählt, Der laute Worte ihrem Elend leihen soll, Und ihrer Sache gäbest Du weit Größeres schon— Nun trittst Du unter sie.— Sie füllen rottenweis Vorn, Haus die Straße. Schweigend schauen sie auf Dich Mit jenem stnmpfgebornen Haß im trägen Blick... Den» Tiger auf der Lauer funkelt das Auge doch, Es geht ein Gluthauch vor des Löwen Rachen her— Doch dieses Volk: es lastet stumm wie der Felsenhang Ob Deinem Haupt— und plötzlich löst es sich und fällt.-- Nicht was Du willst, noch was Du immer sinnst und denkst, Nein I— was Du bist und daß Du also worden bist— Das strafen sie als ein Verbrechen einst an Dir. Das ist die Sünde, unter deren Fluch Du stehst! Du bist das Opfer und mit Dir ein ganz Geschlecht. Furchtbares Schicksall Ohne Recht geboren sein Im Heute noch im Morgen I Ein verwelkter Wald, Der nie gegrünt I Ein Kind, im Mutterleibe siech I— Wir sind die Opfer alter, lang' gehäufter Schuld.... Wir sind die Opfer einer fernen, schönern Zeit! Wir sind die Saat!— O mögen goldene Aehren einst Wogend verhüllen dunkeler Erde nährenden Grund, Möge der rote Mohn und der Chanen Blau Als Edelsteine leuchten in dem Goldgeschmeid' l Dann flattern die Falter freudig in der Sonne Strahl, Und Bienen summen ftüchtelriefcnd überall!-- ♦» * Otto Erich ist einsam gestorben. 1887 schrieb er daS folgende Gedicht: Ein Traum von, Tode. Ich stehe tief in deiner Schuld, Und weiß es tvohl und fühl es schwer— Doch habe Mitleid, Hab' Geduld, Bald trag ich keine Wunden mehr. Dies Herz wird leichter jeden Tag, Und immer freier wird der Blick— Bald bin ich ledig jeder Schmach, Erfüllt, versöhnt ist mein Geschick. Es kommt der Tod und alle Schuld An dir und andern sühnet er— O habe Mitleid. Hab' Geduld: Bald trag ich keine Wunden mehr.— —3. Kleines feuilleton. es. Tie Traumtänzerin ist am Sonntag im Theater de ? Westens aufgetreten. Die Frage, die zuerst auftaucht, ist die, inwieweit ein Suggestionszustand obwaltet. Bon Hypnose kann natürlich keine Rede sein. Eine Fremdsuggestion ist ausgeschlossen. Der Ort. die Umgebung, das Fehlen eines Hypnotiseurs, all das macht eine solche Annahme oder Behauptung hinfällig. Wieweit aber die Autosuggestion geht, d. h. wie stark die Einbildungskrast, das Erschlaffen des Willens, die Hingabe an den von irgendwoher wirkenden Einfluß geht, ob eine Art körperlicher Starre in den höchsten Momenten eintritt, wie behauptet wurde, das ist bei ein-
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22 (14.2.1905) 32
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