Nnterhaltungsblatt des VorivärtsNr. 38.Mittwoch, den 22. Februar.1905(Nachdruck verboten.)3s] Der ßaumelfter,Roman von Felix Holländer.„Und was ist das Ende vom Lied?"„Ich interessiere mich nicht für die Schlußakte! Mögensich meine Gläubiger bezahlt machen, so gut sie können...Ich hoffe, das Theater wird dazu langen!... WievielMillionen bin ich schuldig, mein Lieber?... Beim Abschluß,respektive vor meinem Verschwinden vom Schauplatz habe ichja gewissermaßen ein letztes Interesse daran, die Schlußzifferzu erfahren!"„Sie scherzen, Bmimeister!"„Ich habe noch nie so ernst gesprochen! Es kann nämlichein Moigent kommen, Verehrtester, wo man die Geschichte bishier herauf satt kriegt!"Steinert zitterte am ganzen Körper. Er sah auf einmalalle seine Zukunststränme wie eine schillernde Seifenblase zerplatzen.„Herr Baumeister, das wäre der tollste Wahnsinn, den Siebegehen könnten! Das hieße ja mit anderen Worten," sprudelteer ängstlich hervor,„sich die Frucht aller unserer Bemühungenschändlich wegschnappen lassen— das hieße unsere ganze Zu-kunft aus den Händen geben... Hundert Jahre können Siealt werden, ehe Ihnen das Schicksal noch einmal einen solchenTrumpf i» die Hände spielt!"„Haben Sie mir nicht selber gesagt, daß wir beide, wennder Bau fix und fertig ist. bankerotter als bankerott seinwerden? Ist es da nicht klug, sich beizeiten einen leidlichenRückzug zu sichern?"„Herr Baumeister, in einer niedergedrückten Stimmungsagt man mancherlei, was man im Ernst nicht glaubt..."„Was. glauben Sic denn nun wirklich?... Ich werdeaus niemandem— auch aus Ihnen— nicht mehr klug!"Steinert stellte sich in Positur, und unwillkürlich, die Handauf das Herz legend, stieß er hervor:„Ich glaube trotz alledem und alledem an die Zukunftunseres Theaters!... Sobald wir nur mit etwas Glückarbeiten, sind wir ja auS allen Verlegenheiten heraus!...Sie ahnen ja nicht, waS für ein Riesengcschäft das Theaterist... Wenn ein Stück einschlägt, so werden in wenigenMonaten Hunderttausende und aber Hunderttausende verdient.Heute mögen unsere Chancen etwas trübe aussehen— aberwenn uns das Schicksal nur ein bißchen hold ist, können wirbeide innerhalb eines Jahres ein Vermögen auf der Bankhaben!..."„Und wenn das Stück nicht einschlägt?"„So ist auch noch nichts verloren— dann bringt dasnächste den Erfolg!"„Und wenn auch dieses durchfällt?"„Herr Baumeister, wenn man so wenig Optimismus hat,so soll man beide Hände vom Theater lassen! Ich gebe Ihnenjedoch mein Wort darauf, wir werden Erfolg haben!..."„Ihr Wort in Gottes Ohr! Indessen, ich bin ein wenigskeptisch gegen Worte geworden!— Mein Lieber, ich willIhnen etwas entdecken! Man wird ja bekanntlich weise, wenninan vom Rathaus kommt— und mich dünkt, ich habe Weisheitmit Löffeln gegessen!.,. Sie sollen etwas davon abbekommen!"Er schritt mehrere Male im Zimmer auf und nieder undstellte sich dann dicht vor Steinert hin.„Also, ich bin zu der Erkenntnis durchgedrungen, daß manheutzutage noch so viel Talent und Fähigkeiten besitzen kannund dennoch kläglich scheitert, wenn man keinen Draht hat.Man schafft nur noch Werte mit Hülfe von Kapital und nichtdurch geistige Anlagen!..„ Das ist eine brutale Tatsache,an der nicht zu rütteln ist.,. Die Könner werden Lohn-sklavcn oder gehen kaput... Wenn ein armer Teufel sichvermißt, dagegen anzukämpfen, so zerschellt er sich den dummenSchädel und man sperrt ihn schließlich in eine Zelle!..."„Herr Baumeister, Sie malen schwarz in schwarz!"„Sie haben recht, mein Lieber— es gibt noch eine dritteMöglichkeit, und vor der stehe ich! Man schrickt vor nichtsmehr zurück... Man läßt drei eine gerade Zahl sein.»,Man wird ein Schweinehund!..» Man wird auch einKapitalist!..."„Ist das wirklich das Aergste?" fragte Steinert.Keßler lachte brutal auf.„Steinert— Sie sind ein Genie!... Sie müssen Pro-fessor werden!... Gut, werden wir Schweinehunde!. t,F ü n f u n d z w a n z i g st e s Kapitel.Die Proben zum„Sommernachtstrainn" hatten begonnen.Gleichzeitig wurde an einer phantastischen Märchenkomödiestudiert, die am zweiten Abend in Szene gehen sollte und dasZugstück der Saison werden würde, wie Steinert prophezeite.Eine neue Welt tat sich für Keßler auf. Er kam sicheigentlich wie in einem Narrenhause vor. So hatte er sich dasTheater denn doch nicht vorgestellt! Diese Herren und Damen,die da auf der Bühne hin und her liefen, waren ja die reinenMaschinerien! Wie war es denn möglich, daß man Menschenmit Gehirn jede Bewegung vormachte— jeden Schritt vorzeichnete und oft sogar die einzelnen Sätze vorsprach!Steinert lächelte gutmütig, als der Baumeister seinerVerwunderung Ausdruck gab.„Sehen Sie, das verstehen Sie nicht! Das ist ja geradedie Arbeit des Regisseurs, daß er alle Fäden in seine Händebekommt, daß nichts auf der Bühne ohne seine Zustimmung,ohne seinen Willen geschieht. Das nennt man ein Ensemblebilden, die einzelnen Schauspieler abtönen."„Ich habe immer geglaubt," antwortete Keßler,„daß derMoment die Künstler inspiriert, ihnen ihr Spiel eingibt. Wennman das so beobachtet, schwindet ja die ganze Illusion. DieMittelmäßigen, die gar nichts Eigenes dazn tun, kommeneinem wie Drahtpuppen vor!"Auch begriff er nicht, mit welchem unermüdlichen Ernstdie Leute auf der Bühne arbeiteten, wie Szenen, die nichtklappten, beständig wiederholt wurden, und man nicht eheraufhörte, bis die Schauspieler völlig erschöpft waren und nichtsmehr zu geben vermochten, und daß alles so ernst und würde-voll behandelt wurde, als ob es galt, die schwierigsten Problemezu lösen. Und wenn der Regisseur die Darsteller, die nichtschnell genug auf ihn reagierten, anbrüllte, wie ein Unter-offizier seine Rekruten, so wirkte das auf ihn verletzend undkomisch zugleich. Dennoch wohnte er den meisten Proben bei.Es trieb ihn jeden Vormittag ins Theater. Jetzt, wo sein Werkgetan war, erfüllte ihn nur die eine Sorge, die Tag und Nachtin ihm arbeitete und ihn aufwühlte, ob auch der äußere Erfolgsich einstellen würde. Er wollte dabei sein und sich mit eigenenAugen überzeugen, wie die Chancen ständen. Er wußte, daß,wenn der Erfolg ausblieb, er ein verlorener Mann war. Bisauf Frenze!, dessen Privatschuldner er war, hatte er ja mitdem Gelde der Bank die dürftigsten Verpflichtungen gedeckt.Es hatten sich jedoch noch so viel unerwartete Forderungeneingestellt— es mußten so viele Vorschüsse an Schauspielerund Autoren gezahlt tverden, daß das für den Betrieb desTheaters aufgebrachte Kapital noch vor der ersten Vorstellungbis auf einen geringen Rest eingeschmolzen war. Es kam nochdazu, daß er und Steinert für ihre Privataufwendungengrößere Summen gebraucht und das Depot mit Wechseln ge-füllt hatten, die noch eingelöst werden sollten.Steinert hatte ihn freilich über diesen Punkt getröstet.„Lassen Sic das meine Sorge sein— diese Gelder werdeneinfach gebucht als Extravergütung für unsere mühevolleArbeit... Wir hätten eben unsere Gehälter nicht so geringveranschlagen dürfen!"Im Theater wurde Keßler mit einer außerordentlichenEhrerbietung behandelt. Die Schauspieler grüßten ihn schonvon weitem und umschmeichelten ihn. Sie sahen in ihm ihreneigentlichen Brotherrn, von dessen Gunst sie abhängig waren.Die Schauspielerinnen kokettierten mit ihm. Er sah das allesnicht, oder wollte es nicht sehen. Er brannte vor innererUngeduld und konnte den Tag der Eröffnung kaum erwarten,an dem sich alles entscheiden mußte.In dieser Unruhe und Erregung war er auch gegen GreteAnders launisch und herrisch. Ohne jeden Grund war er auf-gebracht und ließ sich dann zu harten und heftigen Wortenhinreißen.Sie ertrug das alles, ohne mit einer Wimper zu zucken.Niemals maß sie ihm irgend eine Schuld bei— sie allein