küßte ja, was in ihm vorging, waS er litt. Sie kannte seineAengste und Sorgen, auch wenn er nicht darüber sprach; denner war einsilbig geworden und mied es, ihr sein Inneres auf-zuschließen.Sie störte ihn mit keiner Frage und mühte sich nur. ihnaufzuheitern— die dunklen Schatten zu vertreiben, die wieGespenster ihn zu verfolgen schienen.Diese ihre stille Art erschütterte und rührte ihn, und ein-mal sagte er ihr, indem er ihre Hand ergriff:„Was würdest Du tun, Gretel, wenn ich plötzlich auf uirddavon ginge?"Sie verstand ihn zuerst nicht und blickte ihn todes-traurig an.„Ich denke mir," fuhr er leiser fort,„daß es eigentlichdoch gar nichts Schöneres geben kann, als in der Schlacht zusterben, mit dem Bewußtsein, daß die Schlacht geschlagenwird... Kind, mir springt der Kopf noch... Ich möchtefort— weit fort!..."Da schlang sie ihren Arm um ihn und flüsterte ihmtausend Liebesworte zu und versuchte, sein Selbstbewußtsein,das zerbrochen schien, wieder aufzurichten.„Paß auf. wie Du den Kops wieder hoch tragen und wieDu mit schmetternden Fanfaren als Sieger einziehen wirst!Die Beute dicht vor dem Schusse fahren lassen, den Preis hin-werfen, um den Du mühselig genug gerungen hast... Nein,meiil Liebster, das ist ein böser Traum, aus dem Tu erwachenmußt!"Wie ein Verdürstender trank er gierig ihre Worte. Erfühlte es ja selbst, daß er am Leben hing, daß er nur den einenDrang hatte, es auszuschöpfen— höher und höher zu steigen— Glanz, Macht und Ruhm an sich zu ketten.»Die Orchesterproben begannen. Der kleine Anders saßvuf dem Dirigentenschemel und seine grauen Haare flatterten,wenn er mit verjüngter Kraft und tiefster Erregung den Takt-stock auf und nieder schwang.Ein paar Musiker, die ihn noch von früher her kanntenund jetzt unter ihm spielen sollten, begannen zu revoltieren,und bald hieß es im Orchester, daß der Alte falsche Einsätzegäbe, überhaupt keine Ahnung hätte und am Abend die ganzeSache schmeißen würde.Ter kleine Herr begann bereits eingeschüchtert zu werden.Er hatte nicht das Zeug, aufzutreten und den bösen MäulernRuhe zu gebieten. Schneid hatte ihm all sein Lebtag gefehlt.Als aber Steinert eines TageS an Keßler herantrat undzu bohren begann und schließlich mit der Frage herausrückte,ob es nicht besser wäre, einen routinierten Kapellmeister her-anzuziehen, um sich an dem so wichtigen Eröffnungsabendkeiner Gefahr auszusetzen— wurde der Baumeister so deutlichund grob, daß Steinert verstummte.Er hatte sich bisher niemals um die inneren Angelegen-heilen des Theaters gekümmert... Er redete nicht in Dingehinein, von denen er nichts verstand.Am nächsten Morgen aber stellte er sich noch vor der Probeim Hause ein und versteckte sich im Hintergrund einer Loge.Schon während der Ouvertüre brach es im Orchester los.Er vernahm Gelächter und Gekicher.In diesem Augenblick trat er an die Brüstung der Loge.Der Unwille hatte ihn gepackt. Er glaubte ein Kesseltreibengegen den alten Mann zu erkennen, und in dem Gefühl, daßes ihm vielleicht in kurzer Zeit auch so ergehen könnte, daßdie ganze Bande wie die Schießhunde hinter ihm her seinwürde, entfachte sich sein Zorn noch mehr.„Herr Kapellmeister!" schrie er mit durchdringenderStimme;„klopfen Sie, bitte, einen Moment ab! Ich möchteein paar Worte mit den Herren sprechen!"Es wurde im Nu lautlos still.„Mein Name ist Baumeister Keßler... Ich wollteIhnen nur sagen, meine Herren, daß ich denjenigen auf derStelle rausschmeiße, der sich noch einmal untersteht, demKapellmeister den Gehorsam zu verweigern... Das ist jadie größte Frechheit, die mir je begegnet ist!— Bitte, HerrKapellmeister, probieren Sie jetzt weiter! Ich werde der Probebis zum Ende beiwohnen!"Vom Dirigentenpult her traf ihn ein leuchtender, un-sagbar dankbarer Blick.Die Probe begann von neuem und verlief tadellos.>lFortsetzung folgt.lNachdmck verbot«!.)Das brennende Dcrz.Von Maxim G o r k i. Deutsch von Klara B e r g e r.Vor alten Zeiten lebte irgendwo ein Volksstamm, dessen Wohn»Plätze an drei Seiten von großen, undurchdringlichen Wäldern um-geben waren, während an der vierten Seite die Steppe lag. Esloarc» fröhliche, starke, kühne Leute, die nicht, viel brauchten, viel-leicht Zigeuner. Aber dann kam eine unruhig« Zeit für sie, dennandere Stämme erschienen und verjagten die früheren in die tiefenWälder. Tort breiteten sich Sümpfe aus und Finsternis herrschte,denn der Wald war sehr alt. und seine Zweige waren so dicht ver-flochten, daß man die Sonne und den Himmel nicht sah. Aus denSümpfen aber stiegen üble Dünste auf. und die Leute kamen darinum, einer nach dem anderen. Darob weinten die Weiber und Kinderdes Stammes, und die Väter grübelten und grämten sich.Sie mußten fort aus dem Walde, und dafür gab es zwei Wege:der eine führte zurück, und dort waren die starken schlimmen Feinde,der andere vorwärts, und dort standen Riesenbäume, die ihremächtigen Neste dicht verschlangen und die knorrigen Wurzeln tief inden zähen Schlamm der Tünrpfe senkten. Diese Bäume standenregungslos und schweigend wie aus Stein, selbst am Tage in grauerDämmerung, und umschlossen abends, wenn die Feuer brannten,jene Leute noch enger. Immer war ein Ring um sie, der sie zuerdrücken drohte, die an die weite Steppe gewöhnt waren. Undnoch schrecklicher war es, wenn der Wind die Wipfel der Bäumebewegte, der ganze Wald dumpf und drohend brauste und ein Grab-lied den Leuten sang, die sich darin vor ihren Feinden versteckthatten.So saßen sie und sannen nächtelang beim dumpfen Waldes-rauschen, im giftigen Hauche der Sümpfe. Sie saßen, und vnlautlosem Tanze huschten die Schatten vom Feuer um sie her, ihnenaber schien es, als wären es nicht Schatten, sondern die bösen Geisterdes Waldes und der Sümpfe, die dort triumphierten...Aber nichts entkräftet so Leib und Seele des Menschen, wiekummervolle Gedanken, die wie Schlangen das Blut aus dem Herzensaugen. So wurden jene Leute schlaff vom Denken. Furcht erhobsich unter ihnen und fesselte sie mit starken Armen, und Schreckenerregten die Weiber mit ihren Klagen über die am Sumpfhauck»Gestorbenen und das Geschick der furchtgefesselten Lebenden, unofeige Worte wurden laut im Walde, zuerst scheu und leise, dannimmer lauter und lauter... Schon wollten sie zum Feinde gehenund sich selbst und ihre Freiheit ihm hingeben, denn aus Angst vordem Tode fürchtete keiner mehr das Sklavenleben... Doch daerschien Tanko, und er allein rettete sie alle.Danko war einer von ihnen, ein schöner Jüngling— dieSchönen sind immer kühn, und er sprach zu seinen Gefährten:„Mit Gedanken wälzt man Steine nicht aus dem Wege. Wernichts tut, mit dem wird es nicht anders. Was vergeuden wir dieKräfte mit Grübeln und Bangen! Erhebt Euch, wir wollen in denWald und durch ihn hindurch, er muß ja ein Ende haben,— hatdoch alles auf Erden ein Ende! Kommt!Sie sahen ihn an und erkannter., daß er besser war als sie alle,denn aus seinen Augen leuchtete Kraft und Feuer.„Führe Du mos!" sagten sie.Do führte er sie....Einträchtig folgten ihm alle. Sie glaubten an ihn. Das warein schlverer Weg! Dunkel war's und bei jedem Schritte tat derSumpf gierig seinen Moderrachen auf, die Menschen zu verschlingeck.und die Bäume versperrten den Weg gleich einer mächtigen ill tauer.Ihre Aeste waren wie Schlangen in einander verflockten, überallstreckten sich Wurzeln aus. und jeder Schritt kostete Schweiß undBlut. So gingen sie lange... Und immer dichter wurde derWald und immer geringer die Kräfte! Da fingen sie an gegenTanko zu murren und sagten, daß es doch vergebens sei, wenn er.der Junge, Unerfahrene, sie führe. Doch er ging voran und warmutig und heiter.Aber einmal grollte der Donner über dem Walde, und dieBäume begannen dumpf und drohend zu flüstern. Es wurde sodunkel, als hätten sich alle Mächte seit Anbeginn der Welt darin ver-einigt. Die kleinen Menschen gingen unter den großen Bäumendahin, beim drohenden Leuchten der Blitze, die schwankenden Riesen-bäume knarrten und rauschten ihre Zörnesliedcr, und vom bläulichenSchein der Blitze beleuchtete Bäume schienen lange, knorrige Armeum die vor der Finsternis flüchtenden Leute zu strecken, als wolltensie sich verflechtend versuchen, sie in dem dichten Netze festzuhalten.Ter Weg war schwer, und die ermüdeten Leute verloren denMut. Aber sie schämten sich, ihre Schwäche einzugestehen, und inZorn und Wut stürzten sie sich auf Danko, der ihnen voranging,und machten ihm zum Vorwurf, daß er sie nicht zu führen verstehe.So taten sie: sie blieben stehen, und beim triumphierenden Rauschendes Waldos, inmitten schauernder Finsternis, müde und zornig, de-gannen sie über Danko Gericht zu halten:„Du bist unser Verderben," sagten sie.„Du hast uns fort»geführt, unsere Kraft erschöpft, und dafür sollst Du sterben!"Ein jäher Blitz mit krachendem Donner schien ihr Urteil zu be»stätigcn.„Ihr sagtet: führe Du uns!— und ich habe Euch geführt!"rief Danko, indem er sich ihnen mit undcwehrter Brust entgegen«stellte.„Ich hatte den Mut, Euch zu führen, darum tat ich's! Und