Anterhallungsblatt' des Worwärls Nr. 45. Freitag, den 3. März. 1905 (Nachdruck verbaten.) 41 Alolfgang GUlfling. Erzählung von Nikolaus K r a u ß. Die Morgensonne, die zwischen Kaiserwald und Dilln stand, spreitete ein Goldnetz über die welligen Fluren. Wie ein flimmernder Rieselregen kam's herab, machte rote Ziegel- dächer glänzen, weiße Gehöfte aufleuchten. Goldgelbe Felder, auf denen schon da und dort Getreide-Mandeln emporwuchsen wie Zelte eines lagernden Heeres, wechselten mit baumum- duschten Dörfern, Wiesen, die nach dem ersten Schnitt wieder in frischem Grün prangten. Kleine Gehölze, glitzernde Teich- flächen schoben sich dazwischen. Die Blicke der beiden Männer gingen in derselben Richtung. „Siehst Du Neuhaus?" „Nicht recht, Vater." Wilfling streckte den Arm aus. „Das Weiße, ganz droben, rechts vom Kaiserwald, im Sattel, ist Königswart... Weiter herunter, nach links, Sandau ... Dann kommt der dnickle Wald... llnd jetzt schau einmal ganz genau hin... Da, vor dem Wald, wo die Lehne abbricht... Nach rechts zieht sich etwas Schwarzes herab... Der große Obstgarten, weißt Du... Siehst Du's? Ja?... Das ist Deine alte Heimat." „Das Forsthaus find' ich nicht..." „Kannst Du auch nicht von hier aus. Das Dorf und die Bäume verdecken es. Es liegt ja ganz hinten, knapp vor dem Walde." Eine Weile standen die Männer und schauten. Dann riß Fritz seine Augen von dem lieben Bilde. „Es war schön in Neuhaus!" Er rückte sein Gewehr zurecht. „Wollen wir nicht gehen, Vater? Emma wird Kätchen gebadet haben... Was meinst Tu zu dem ewigen kalten Wasser?" Wilfling schob die Hände auf den Rücken unter den Gewehrkolben und schritt aus. „Du wurdest jedesmal krank, sobald Dich Deine Mutter einmal kalt gebadet hatte... Vielleicht brauchen die in der Stadt mehr Abhärtung: bei uns hier kommt sie schon von selbst..." Sie gingen auf einem breiten Grasweg durch vierzig- jährigen Kiefernbestand. Fritz, der etwas voraus war, blieb Plötzlich stehen, wandte sich und sah zu seinem Vater auf. „Sag' einmal, Vater, warum hast Du nicht wieder geheiratet?" Wilfling zog den ausgestreckten Fuß zurück, die Linke faßte das Gewehr vorn an den Läufen, mit der Rechten bog er den Rand des Hutes etwas herab. Sein Gesicht war ganz ernst geworden. „Du weißt doch, was ich Deiner Mutter versprochen habe!..." „Und an das eine Wort willst Tu Dich Dein ganzes Leben lang halten?..." Ter Förster faßte den Sohn an der Schulter und drehte ihn herum. „Gehen wir weiter!.,. Du willst einen Lumpen zum Vater haben?!" „Vater, so ist das doch nicht gemeint!" Er wollte stehen bleiben. Der Förster ließ sich nicht halten. „Wieso denn?... Wer sein Wort bricht.., Gilt das auch nicht mehr bei Euch draußen?" „Doch!... Sein Wort soll man halten— wenn man kann... O, Vater, Du kennst die Geschäfte nicht!" „Habe nie Geschäfte gemacht— mit Deiner Mutter... Freiwillig und gern habe ich ihr versprochen, nicht wieder zu heiraten..." „Du bist noch ein Mann in den besten Jahren „Weiß ich! Spring' noch über jeden Graben..." „Hast kein weißes Haar im Bart..." „Büschelweise! Aber der Bartel und die Margaret haben sie herausgeschnitten. Der alte Faselhans hätte mir ein Nuß- knackergesicht aufgehext, wenn sie nicht nachgeholfen hätte..." Fritz drehte sich wieder um. Alles Drängen des Försters nützte nichts. „Nennst Du das ein Leben, mit fremden Leuten? Die Margaret bleibt Dir doch nicht ewig!" „Kann sie nicht halten, wenn sie gehen will." Und wenn Du krank wirst?" „Muß ich's ertragen!" „Vater, das ist ja unvernünftig!" Wilfling war schon wieder im Gange. Der Sohn eilte ihm nach und hielt mit ihm gleichen Schritt. „Hast Du niemals einen Arzt zu einem Totkranken sagen hören:„Mein Wort, ich bringe Sie wieder auf die Beine". Und er hatte doch auf den ersten Blick gesehen, daß da nichts mehr zu wollen war..." Grimmig kam es von des Försters Lippen: „Stimmt! Hab's ja selbst so gemacht. In Neuhaus... Ein junger Holzhauer stieß das Fenster auf und wollte mit auf die Jagd. Ich sah, daß ihm der Tod ins Gesicht ge- schrieben... Abzehrung...„Heute nicht, Konrad, daS nächstemal, wenn Du wieder gesund bist!..." Nach zwei Tagen war er tot." „Siehst Du!... Aber wenn es sich um Dich handelt.. Wilfling fuhr herum. „Willst Du nur sagen, was..." „Dazu habe ich kein Recht, Vater. Ich wollte Dir nur zeigen, wie unnötig schwer Du Dir das Leben machst... Da konimen wir ja wieder auf das Aste zurück:„Wer dich auf die rechte Wange schlägt..."" „Den möchte ich sehen, der mich anzurühren wagt!.. Vater und Sohn sahen einander einen Augenblick lang in die Augen. Die Köpfe waren rot geworden... Vom Forsthaus her kamen helle Stimmen. An der Ecke bei den Eschen stand im weißen Sommerkleide Frau Emma. Die kleine Käte trippelte vor ihr her. Als sie den Vater er- blickte, warf sie die Aermchen empor. „Pa— pa!— Papa!" Schon lag sie auf der Nase. — 4. Das Leben im Forsthause war lauter, fröhlicher geworden. So still Käte am ersten Tage gewesen, jetzt wurde sie lebendig. Und schier alles drehte sich um sie. Am eifrigsten war Anton, der Hütbub. Schon in grauer Frühe lief er nach Wildstein, um Rind- fleisch zu holen. Daß für ihn beim Schlächter jedesmal eine Knackwurst abfiel, war nicht zu verachten. Die junge Frau imponierte ihm ungeheuer.„So eine schöne Frau", wie die Schwiegertochter seines Herrn, hatte er noch nie gesehen. Waren es die feinen Knöpfstiefelchen, das zarte Gesicht, die hellen Kleider, die so gut riechenden Seifen, die Bürsten, Parfümfläschchen— er wußte es nicht, er war einfach weg. Margaret hatte ihn schon ein paarmal ausgelacht: „Ich bitt' Dich, Toni, verschling' mich nicht!... Mach's Maul zu!" Sobald ihn Frau Emma ansah, wurde er schon rot. Sie hatte für ihn nur Befehle. Und er sprang und lief, trug Wasser die Holztreppe hinauf, wenn Käte gebadet werden sollte, widmete jede Minute, sobald er mit den Kühen aus dem Walde zurück war, dem Kinde. Er schnitzte der Kleinen 5tähne aus Kiefernrinde und ließ sie auf dem Wasser des Brunnentroges schwimmen, lief auf ihr Schreien Schmetter- lingen nach, trieb ihr die Hühner zu. damit sie sie jagen konnte, ließ sie seinen Stolz, die fleckige„Pleß", am Kopf und am Halse streicheln. Bellte, daß der Waldmann neidisch wurde. � � r Und Käte ritt auf dem Toni, zog den Hund am Schwänze, daß er leise knurrte, und krähte, krähte, krähte.„Strampel- Käte" nannte sie ihre Mutter jetzt. Margaret war ganz Hausfrau. Ihr Gesicht kam ans dem Glühen gar nicht mehr heraus. Frau Emma bewunderte sie, wie ihr alles von der Hand ging: wenn ihr aber die andere etwas zeigen wollte, lehnte sie dankend ab. Oft auch saßen die beiden Frauen beisammen in der großen Stube oder draußen unter dem Birnbaum und plauderten. Stets führte Emma das Wort. Mit der Offenheit norddeutscher Frauen
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22 (3.3.1905) 45
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