Mnterhaltungsblatt des Horwärls Nr. 46. Sonntag, den 5. März. 1903 5] (Nachdruck derbsten.) Alolfgang Milflmg. Erzählung von Nikolaus Krauß. (Schluß.) Wilfling muß lächeln. In dem Ton liegt gar nichts Unterwürfiges, eher etwas Vertrauliches, beinahe Wohl- wollendes. Woher nehmen diese Egrischen Schustertöchter, die sich da den Sommer über als Kellnerinnen ihr Brot ver- dienen, den Mut, so mit den reich««, fremden Frauen um- zugehen?... Fritz, siehst Du die Dame im gelben Spitzenkleide?.... Fritz, wenn ich so eins hätte!" Emma hatte ihren Mann angestoßen und mit den Augen nach dem breiten Mittelweg gewiesen. Siehst Tu sie?... Nicht?... Natürlich, wenn Du so langsam bist!... Jetzt ist sie beim Musikpavillon ver- schwuitden, wo die vielen Leute herumstehen... Ach, Fritz!.. Auf dem Wege schoben sich zwei Menschenreihen langsam hin und her. Wenig Kurgäste. Umsomehr Bürger von Eger mit ihren wohlgenährten Frauen. Wilfling sah manches be­kannte Gesicht. Wuchtig und schwer kamen sie daher, und stolz, als wären sie noch heute die Herren des Kurortes, wie einst ihre Vorfahren. Wie ein anderes Volk erschienen sie neben den Kurgästen. Blond, blauäugig und rot, lauten Gehabens wie die Franken alle. Was unter den Kastanien saß, trug meistens schwarzes Haar, aus mandelförmigem Schlitz träumte oder funkte das dunkle Auge. Auf dem Wege kam es zu einem ordentlichen Gedränge. Gymnasiasten, junge Bürgersmädchen mit schnippischen Ge- sichtern, Offiziere der Egrischen Garnison, junge, hochgewachsene Leute in Prallsitzenden Uniformen, alles strebte nach dem Musik- Pavillon. Ter dicke Kapellmeister, der aussah wie ein reicher serbischer Schweinezüchter, hob den Taktstock: Die Köpfe der vor dem Orchester Stehenden begannen leise zu wiegen, in den Füßen zuckte es; und die Bewegung setzte sich an den Tischen fort, lief wie eine Welle unter den Kastanien hin, mählich ver- ebbend. Emma riß es in Händen und Füßen. Ach, ein Wiener Walzer!... Ich bin wieder unter Menschen!" Fritz sah, wie der Vater zusammenzuckte. Schnell sagte er: Uns hat es wirklich bei Dir gefallen!... Ich wäre gern länger geblieben, wenn das Geschäft nicht wäre. Weißt Du, und das mit Emmas Kur. das war schon lange verabredet und festgesetzt... Sie hat es wirklich notwendig... Voriges Jahr war sie in Bad Elster ... Siehst Tu, und dann liegt Plauen ja nicht aus der Welt. Eine Spritzfahrt, und ich bin bei Dir, wann Du willst..." Wilfling nickte vor sich hin. Ein leichtes Zusein merkte er in den Augen. .Jetzt wußte er, daß er allein stand. Fritz hatte eine neue Heimat gesunden. Was nicht die Familie beanspruchte, forderlc das Geschäft... Ausgezeichnet!... Ganz ausgezeichnet!... Ich wollte, wir hätten nur einmal so was als Ballmusik!" Die junge Frau wurde so lebhaft, daß man an den Neben tischen neugierig die Köpfe drehte. Eine Weile saß man noch, dann machte man einen Spazier­gang die Kaisterstraße hinab. Trank einen Becher Franzens quelle, den weißgekleideteWassermädchen" mit einem Rädchen emporwanden, ging auf gewundenen Parkwegen unter flüstern den Birken. Emma verabschiedete sich bald. Kätchen würde gewiß schon erwacht seini und abends wollte sie ins Theater. Fritz trank mit dem Vater noch eine Flasche Wein. Sie waren beide ernst, als sie nach einer Stunde auf die Straße hinautraten. Margaret hatte auf den Förster gewartet. Jetzt saßen sie an dem kleinen viereckigen Tisch: das Licht stand zwischen ihnen. Margaret brach das Schweigen. Nun sind sie wieder fort..." Ist mir eigentlich recht!,,. Ihr war es ja schon lang- weilig geworden!..." Der Ton machte sie aufsehen. In seinen Augen funkelte etwas, das sie an ihm noch nie bemerkt hatte. Man ist dumm und läßt sich zureden... Ich hätte. keinen Wein trinken sollen..." Plstzlich suy cl fic u« mii sorlchenden Augen. Fritz meinte... Du wirst nicht ewig bei mir bleiben.., Kann Dir's nicht verdenken... in dem Sumpf..." O. Herr!...". Wie ein Sieden schoß eS in ihm empor. Das war Hingabe... völlige Hingabe«,. Mit aller Gewalt drückte er es nieder. Du kannst schlafen geben, Margaret.. In voller Verwirrung wollte sie nach dem Leuchter greifen. Da stand er auf den Beinen und riß sie zu sich herüber. Ter leichte Stoff der Jacke spannte sich über der vollen Brust. Wie getroffen sank sie zu Boden und umklammerte seine Knie. Und wie die' Stimme eines geängstigten Kindes klang es: Herr!... Nicht!... Ich will brav bleiben... brav bleiben... Meine Mutter!..." Sie schluckte an den Tränen. Mit der Rechten griff er in die Luft. Dann sank er an den Türpfosten. Geh' schlafen!" Sie ging.---» .6. Die Nacht war schwül. Zwischen Erde und Himmel ein milchiger Schein, durch den das Licht einzelner Sterne wie ein Blinkfeuer kam. Scharf und voll, wie das Herz eines Riesentieres, schlug das Hebewerk des Sudhauses. Wilfling stand am offenen Fenster seiner Schlafstube. Mit zusammengebissenen Zähnen würgte er. an dem Ekel. Noch einen Augenblick, und Was war das für ein Charakter, den drei Gläser Wein in den Schmutz werfen konnten?! Wie ein Hund... Ach, der Wein war es nicht. In dir sitzt es, Wolf... da... da!" Er sagte es leise vor sich hin und schlug sich an die Brüsk. Und zu Grunde gehst du daran... oder..." Mit brennenden Augen sah er die verschwimmendcn Kiefernbüsche drüben über dem Sträßchen. So erschien ihm mit einem Male sein Leben. -... Dämmerung immer und immer, selten ein Lichtblick. Nein, sie hatte nicht zu ihm gepaßt, die Feine, Zarte? So grell kam ihm plötzlich diese Erkenntnis, daß er zu- sammenzuckte. War es ihm nicht schon ein Verbrechen, so etwas auch nur zu denken? Es war sein Stolz, daß er die gebildete Bürgerstochter errungen hatte. Geld hatte sie nicht gehabt. Aber arbeitete sie damals, als es ihm so schlecht ging, nicht bis zum Zu- sammenbrechen?- O, sie war ein tapferes Weib, und nie war ein böses Work zwischen ihnen gefallen. Wem verdankte er es denn, daß er die Forstprüfung be- standen?... Ihr und nur ihr. Er hatte doch keine Schulen besuchen können. Sie war sein Lehrer geworden und nie ver- lor sie den Mut und die Geduld. Und dann, wer verschaffte ihm die erste Stelle?.«. Ihre Verwandtschaft setzte es durch. Sonst hätte er noch lange Forst» adjunkt bleiben können... Rührung überkam ihn. Er wandte sich und ging nach dem Bette. Aber das Dunkel deckte das kleine Bild. Wieder stand er am Fenster. In den Lichtnebel war etwas Graues gekommen, das zu ziehen und zu brodeln be» gann. Es roch nach lauem Wasser.