et meine— ob es auch wahrlich nicht der Rede wert wäre— wie ein Dieb schliche man sich dennoch nicht fort. Er hätte der Mutter gut und gerne Adieu sagen können. Man hätte noch etwas zum Abschied angerichtet— etwas Feines. Reis mit Zimmet bestreut— das esse er ja so gerne. Ja, und— und— Sie hatte sich warm und rot geredet, hastig purzelten die Worte übereinander. Sie verrieten ihr Herz. Als sie das merkte, fing sie an zu stottern. Da knallte sie heftig mit der .Peitsche:„Waruni müßt Ihr denn laufen?" „Das will ich Euch sagen." erwiderte er. Sein Atem war kurz, seine Hand legte sich fest um das Sitzbrett.„Aber seht mich nicht an!" Und mit ein wenig heiserer Stimme:„Weil ich kein Heiliger bin! Zum Helligen könnt auch Ihr mich nicht machen, Pani! Ihr am allerwenigsten! Immer so neben Euch— Tag für Tag— und Euch sehen und— weil ich das nicht aushalte Weil Ihr zu schön seid, weil ich Euch lieb habe." Sie fühlte seinen Blick, wlld, scheu... Es überlief sie heiß. Und plötzlich war er vom Wägelchen gesprungen, mit einem einzigen Satze. „Seht mich nicht an. Pani... ich will jetzt frageu, was ich nicht weiß. Alles habe ich Euch jetzt erzählt.— wollt Ihr mich zum Mann? Nicht ansehen, nicht reden... Nein oder ja? Wenn nicht, dann peitscht auf den Esel, fahrt zu..» Fahrt doch!" „Und wenn ja...?" fragte ihre klingende Stimme. Sie war aufgestanden. „Dann... Tann..." Aber schon brach ein jauchzen- der, rauher Schrei aus seiner Brust. Der lief durch die frühlingsjungen Wälder und brach sich in ihrer Tiefe. Mit den beiden Armen griff der Niese zu. Vom Wagen riß er sie an seine Brust. Er trug sie. Er schwenkte sie. Keuchend, selig, wild. Wie ein Verdursteter küßte er sie. „Räuber!" sagte sie. Doch dabei kam das Leuchten— das innere, so lange versunkene Leuchten— in ihre Augen, und sie bog sich in seinen Annen und küßte ihn. Sie mußte sich aufrecken dazu, so viel größer war er. und da schien auch die Sonne in die Augen hinein. Glanz von innen und außen. Niemand beachtete den schönen Anton. Der zottelte ge- mächlich weiter auch ohne Kutscher... immer die Straße lang. Wer weiß, ob sie ihn eingeholt hätten, denn er war ein gut Stück voraus. Aber da kam der Tiefsinn des Alters über ihn. Er blieb von selbst stehen und starrte versunken zu Boden, als müßte er das Leben dieses kleinen und großen Lebens lösen. So holten sie ihn ein. Es war abgemacht, daß Markus Kabat gleich wieder aus der Stadt mit zurückfuhr. Aber ehe Andrea fertig war, verschwand er. Mit Kunden Bändern be- laden kam er wieder. Er band sie an die Peitsche, an das Wägelchen. Er band sie an die Henkel der Blechkannen und an die Mähne des schönen Anton. „Wie eine Hochzeit werden wir einfahren," sprach er mit unterdrücktem Jubel. Und so fuhren sie wirklich durch den grünen Frühling und den wehenden Wind, der die farbigen Bänder flattenr ließ gleich fröhlichen Winipeln. Immerzu mußte sich die schöne Andrea lachend gegen den Riesen wehren.„Es ist ein Kreuz mit dem Mann! Und ich habe das Kreuz mir noch selber aufgeladen und ms Haus gebracht." Da schlug sie ihm auf die Finger. Er aber hielt ihr die Hände fest— die Hände, die nicht mehr so hübsch waren wie früher, sondern die mehr und mehr den„guten Arbeitern" Nogdan Konarslis ähnlich wurden.— Kleines Feuilleton. -b"- Teures Lbst. Der Rat war kaum zur Tür hinaus, da trat der dicke Sergeant auch schon von seinem Schreibtisch weg und krmnte an seinem Mantel, der am Türpfosten hing. „Was kann das schlechte Leben nützen! Wollen erst mal 'n bißchen frühstückend" sagte er laut vor sich hin.„Wenn der schon um halb zwölf Mittag machen kann, können wir's schon lange." Und dabei holte er seine Frühstücksswllcn aus der Manteltasche. wicktelt« das Zeiwngspapicr ab und warf es in den Papiertorb. Ueber das runde, volle Gesicht glitt es beim Anblick der dicken, mit Leberwurst belegten Kommißbrotstullen wie der Glanz molligen Glücks. Kräftig biß er hinein und ging langsam bis an das niedrige, vergitterte Fenster, das fast eine ganze Seite des langen schmalen Bureaus einnahm. Ein Weilchen blieb er stehen und blickte hinab auf den Hof, wo der Posten bor dem hohen, eisernen Festungstore auf und ab schilderte. Tann machte er Kehrt und ging pflegmattsch nach der anderen Seite des Zimmers. Da saß der Schreiber, ein Militär-Gefangener. Sein Tisch stand seitwärt» vor einer großen, vergitterten und verglasten Schietzscharte. Sergeant Lindcmann blieb einige Schritte vor ihm stehen und ver- zehrte den letzten Rest seines Frühstücks. Dann strich er sich den großen Schnauzbart und fragte gelangweilt: „Wie lange sind Sie jetzt eigentlich schon hier, Mcder?"' «Hier als Schreiber, oder überhaupt auf Festung?" „Rein, ich meine, wie lange Sie überhaupt auf Festung sind?* h'S werden jetzt sieben Monat, im September bin ich ge. kommen," antwortete Meder nachdenklich.„Run noch sechsund- zwanzig I Da wird s wohl noch manchmal langweilig werden l* setzte er dann noch mißmutig hinzu. „Jal" sagte Lindemann bedächtigt und nickte ein paarmal. „Aber Sie scheinen doch so n ruhiger, ordentticher Mensch zu sein. Wie Sie dazu gekommen sind,'n tätlichen Angriff zu niachen, ist mir ganz unbcgreiflicht" Meder lachte bitter auf. tätlichen Angriff um sechs unreife Birnen, und dann zwei Jahr und neun Monate Festung! Das kann auch so leicht keiner begreifen, der'S nicht mit erlebt hall Das will ich gerne glauben t" Er hatte aufgehört zu schreiben und blickte finster hinaus, auf das viereckige Stück von dem schwärzlichen grauen Wall, das er durch die Schießscharte sehen konnte. Lindemaun kannte die Einzelheiten des von Meder begangenen Vergehens nicht. Er wußte nur. daß dieser wegen tätlichen Angriffs bestraft war. Jetzt, durch die Andeutungen Mcdcrs neugierig gc- macht, konnte er es nicht überwinden, stell danach zu erkundigen. Verlegen rieb er mit der linken Hand die Nase und fragte so halb und halb mitleidig und neugierig: „Wegen sechs Birnen haben Sie'n tätlichen Angriff verübt?" Aber schon hatte er Angst, er könnte etwas von seiner Autorität vergeben und fügte sofort energisch hinzu:„Na. Sie als Gefreiter. mußten doch die Kriegsartikcl genau kennen! Noch dazu auf der Unteroffizierschule l" „Ja. die kannte ich auch damals schon in- und auswendig; aber hier habe ich sie erst richtig kennen gelernt!" antwortete Meder ruhig. Er hatte den Federhalter hingelegt und zupfte nervös an einem Stückchen Löschblatt. „Wenn der Mensch Pech haben soll, dann hat er auch welches! DaS Isar da aus der Unteroffizierschule ebenso wie überall beim Kommiß; wer nicht von Hause aus etwas zuzusetzen hat, muß sich eben, ob er will oder nicht, znm Hungerkünstler ausbilden. Und wenn man große Märsche und Felddienstübungen machen muß und hat dabei weiter nichts im Leibe als vielleicht'n halbes Liter schwarzen Kaffee, dann hat man schließlich mehr Hunger als Varcrlandslicbe. So ging es mir und verschiedenen anderen auch. „Eines Abends sitze ich vor meinem Spinde und flicke an meine« sechsten Hose'rum. Dabei hatte ich schon kräftig dem Wasserkruge zugesprochen; als mein Freund Wolf zur Tür herein und direkt auf mich loskam. Er warf mir'n paar grasgrüne Birnen hin. „Da, ißl" Ich staunte ihn an und verschlang die Dinger. „Ick war drüben im Schloßjarten und habe mir mal die Wampe ordentlich vclljestopfl. Tel lebt sich ja jleich noch mal so jemütlich auf der Welt, wenn man richtig satt iS'l" sagte er.„ ne Pattouille Hab' ick jarnich gesehn;" fügte er noch hinzu, als ich danach frug.„Und übrijens, die kriejcn mir och nich; wenn dreiste eenc kommt!" „Na. was soll ich sagen. Ain nächsten Abend zogen wir beide und noch ein Eingeweihter los, um uns mal ordentlich ne. Güte zu tun. Aber kaum war ich auf'n Baum geklettert, da hör' ich Wolf schreien:„Die Patrouille!" Runter und hinter den andere, her rennen, tvar eins. Ich hörte nur, daß dicht hinter mir ein paar Kerle liefen. Plötzlich fühlte ich'ne Berührung auf der linker, Sckiulter. Ich drehte mich mit einem kurzen Ruck zur Seite und riß mich los. Da sah ich noch, wie dem einen der Helm vom Kopse- fiel. Das war alles! Tann bin ich gerannt wie ein Besessener. Aber an der.iw ferne stellten sie uns doch alle drei, und sie sande,, in meiner Hosentasche sechs unreife Birnen... „Dann kam die Untersuchung und das Kriegsgericht. Tel hätten sie beinahe noch militärischen Aufruhr aus der Sache gemacht. Viel hat nicht gefehlt l",_._. „Schreiber raustreten I" rief eine tiefe Stimme vom Hof herauf. Das ivar der Unteroffizier. Ivelcher die Schreiber, Wäscher» Kalfaktoren usw. zum Appell zu führen hatte. Meder legte feine Arbeit zusammen und nahm seine Mutze. Als er ging, sagte er noch:„Ja, ja. Herr Sergeant, das wav teures Obst!". ,..... Der hatte, rittlings auf seinem Stuhl sitzend, ruhig zugehört. Er nickte und brummte etwas vor sich hin. Dann ging er in dre Kantine. Da war gestern eine frische Sendung Steinhäger ange- kommen, den wollte er mal probieren.—- Musik. Die herannahende Feier des Schillcr-Tages setzt Literatur und Musik in eine Bewegung, aus der hoffentlich auch Bleibendes hervor- geht. Ein derartiges Werk dürste die„Hymne zur Gedeiilfeier u,lo. fein, die F e r d. v. Saar gedichtet und Joseph Reiter kom-
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22 (21.3.1905) 57
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