NnterhaltungMatt des Horwärts Nr. 69. Donnerstag, den 6. April. 1905 (Nachdruck verboten.) 12t Sine Pilgerfahrt. Von I o h an B o j e r. Autorisierte Uebersetzung von Adele Neustädter. Dr. Folden bot eine so jämmerliche Figur, daß sie zum Bewußt- sein kam. Zuerst wollte sie in ein tolles Lachen ausbrechen, so überlegen fühlte sie sich in diesem Augenblicke. Sie sprach, während sie ihn dabei anblickte: Folden verzeihe, daß ich Dich in der Nacht Plage. Aber ich muß wissen, wo mein Kind ist. Hast Du Dich seiner an- genommen? Wo hast Du es? Wenn ich es nicht sofort er- fahre, so stehe ich nicht für die Folgen!" Dr. Folden war einige Schritte ans Fenster zurückgewichen, dann beeilte er sich, die Türe zum nächstliegenden Zimmer zu schließen und zog die Portieren vor. Jetzt wandte er sich zu ihr und starrte sie an. Dein Kind!" flüsterte er.Hast Du ein Kind? Bist Du verheiratet?" Regina brach plötzlich in ein wildes Lachen aus. Es klang so seltsam durch dieses stille Haus, und Folden eilte un- willkürlich näher. Verzeihe!" sagte er,die Leute schlafen. Aber Du mußt es mir erklären. Wie kannst Du glauben, daß ich... Dein Kind?" Er fuhr sich plötzlich über die Stirn, als beginne etwas in ihm aufzudämmern. Gute Nacht, Folden!" sagte Regina ruhig.Ich sehe jetzt, daß ich mich geirrt habe. Gute Nacht." Sie ging zur Türe. Aber Folden hielt sie zurück. So erzähle mir doch, was dies bedeutet! Du bist so bleich, Regina. Du hast Dich verändert, ist es Dir schlecht ergangen? Ich habe gar nichts über Dich gchört. Kanu ich Dir irgendwie helfen?" Nein," sagte Regina und machte sich frei.Es ist mir gar nicht schlecht ergangen, und Du kannst mir in keiner Weise helfen. Gute Nacht! Ich hatte mich geirrt." Er bot ihr seine Begleitung an, aber sie lehnte hartnäckig ab. Er mußte jedoch mit ihr die Treppen hinuntergehen, um das Haustor aufzuschließen. Als er ihr nachblickte, dachte er: Sie muß wohl verrückt sein. Wenn Du nur dadurch keine Scherereien bekommst." Er dachte an seine Frau. In der Karl Johannstraße sprach ein schwankender Herr Regina an. Sie rannte weiter, aber er folgte ihr. Endlich erblickte sie einen Schutzmann, lief zu ihm und bat ihn, sie nach Hause zu begleiten. XII. In dem Hotelzimmer war es ganz finster, nur der schwache Schein einer Gaslaterne fiel von außen auf den Fußboden. Regina lag angekleidet auf dem Bette. Die Schuhe hatte sie jedoch abgeworfen, die Hände ruhten im Nacken und die Augen waren halbgeöffnet. Es gibt Leiden, die das Herz durch Tränen lösen, und wieder andere, die ein Wesen auf eine treibende Eisscholle versetzen, worauf man vergebens nach Land, einem Bote, einer Rettung ausblickt. Dieses Wesen klagt und seufzt nicht, seine Augen blicken tränenlos. Aller- dings ist es zuerst wie gelähmt. Aber bald gräbt es seine Nägel ins Eis, bis sich ein Stück löst, und damit beginnt es zu rudern. War es auch zuvor ein elendes Geschöpf, jetzt wird es Zum Titan. Es kämpft nicht ums Leben, es richtet sich nur auf, um nüt dem Unnröglichen zu ringen. Nachdem Regina einige Stunden unbeweglich gelegen hatte, richtete sie sich im Bette auf und fuhr sich über die Augen. .Weiter fehlt nichts, als daß Du hier herum liegst und Tränen vergießt!" sagte sie halblaut.Als ob Du nicht schon genug geheult hättest. Als könne es Dir helfen!" Und sie lachte ein kurzes unheimliches Lachen. Dann legte sie sich wieder hin und stützte die Hände unter den Nacken. Kürzlich hatte sie an der halbgeöffneten Tür gestanden, tbo sie gleichsam ihr Kind erblicken konnte. Jetzt war die Tür zugeworfen, und sie war in Finsternis. Wohin sie sich wandte, alles gleich hoffnungslos. Das Kind konnte hier in der Stadt sein, auf dem Lande, in einer anderen Stadt, im Norden, im Westen, im Osten, im Süden, hier im Lande oder in einem anderen Lande. Sie konnte es unmöglich wissen. Niemand konnte ihr einen Fingerzeig geben, da der Professor jetzt tot war. Sie war in der Anstalt gewesen und hatte vergebens gefragt. Und Dr. Folden! Daß sie überhaupt nur einen Augenblick von diesem Manne so etwas Ehrenhaftes annehmen konnte!... Regina, jetzt mußt Du es aufgeben, alles hat sich ver- schworen, geht es von Menschen oder etwas Höherem aus, es ist jedenfalls bösartig. Kann ein liebevoller Gott Dich von einem Elend ins andere werfen? Nein, nein! Das Böse hat die Macht errungen. Das Böse will Dich als Opfertier ge- brauchen. Und Du läßt Dich sicher gebrauchen. Du gibst es jetzt bestimmt auf. Du erhebst Dich nicht zu ewiger Gegenwehr." Sie erstarrte in Mark und Bein. Sie stand plötzlich vor sich hinstarend, auf dem Boden. Die Gaslaterne warf einen bleichen Schein auf ihr Gesicht. Die Hände legte sie auf den Rücken. Umkehren, das Alltagsleben wieder aufnehmen, jetzt? Und nicht weiter' suchen? Unmöglich. Vielleicht gibt es keinen Ausweg, aber dann mußt Du Dir einen schaffen. Kannst Du? Aber bedenke. Du hast die ganze Welt gegen Dich? Kannst Du es dennoch ermöglichen?" Sie fröstelte wieder und ballte die Hände.Künftig, Regina, vergießest Du keine Tränen, sprichst nie mehr ein Gebet. Damit betrügt man sich nur selbst. Du wirst lachen, aber so kalt wie Eis. Dann wirst Du nicht enttäuscht. Be- trachte alle als Deine Feinde. Dann wirst Du nicht enttäuscht, Und beginne damit.., beginne. Kannst Du Dich in Trotz gegen das All erheben?" Jetzt erst gewinne ich Kräfte, um auszuhalten, jetzt, da ich mich nicht um Tod und Leben ängstige, um die Achtung der Leute und gleichen Unsinn, es auch nicht so genau mit dem Gewissen nehme, da es doch nur lügt und betrügt. Hat es mir nicht immer Schlimmes zugefügt?" Künftighin will ich nichts erhoffen, nichts glauben, nichts lieben. Aber ich will, ich will, ich will mein Kind finden. ES wird auch geschehen. Ich will mich an denen rächen, die mich mißhandelt haben!" Während des Stehens wurde sie immer kaltblütiger, und sie bemerkte jetzt die Ermüdung, ihr wurde ganz schwindlig, Du hast ja so lange nichts gegessen und nicht geschlafen," dachte sie und faßte sich an die Stirn.Vor allem mußt Du frische Kräfte sammeln." Sie zündete ein Licht auf dem Nachttische an, erinnerte sich einiger Butterbrote, die sie noch in Schweden in ihre Handtasche gesteckt hatte und die noch unberührt darin lagen. Jetzt holte sie sie heraus, setzte sich und begann zu essen. Das Brot war hart geworden, aber sie zwang es hinunter und trank Wasser. Vier Uhr morgens. Die Nacht still. Dann entkleidete sie sich und legte sich zu Bett. Und wieder dachte sie:Jetzt ist nicht die Zeit zu unnützem Grübeln und Weinen. Jetzt mußt Du schlafen, wenn Tu nicht verrückt werden willst." lind wieder zwang sie die Gedanken auf etwas ganz Unbedeutendes. Und überwacht versank sie in eine schläfrige, müde Bewußtlosigkeit, und immerfort hörte sie die energische Stimme:Schlafe , schlafe!" Als sie erwachte, schien die Sonne in ihr Zimmer. Es war elf Uhr vormittags. Sie fühlte sich noch schläfrig und schlief darauf noch einige Stunden. Als sie dann erwachte, klingelte sie und bestellte Kaffee, und nachdem sie ihn getrunken hatte, blieb sie noch nachdenklich liegen. Sie mußte einen Entschluß fassen. Jetzt empfand sie es als eine Erleichterung, allein in der Welt zu stehen, niemand um Erlaubnis fragen zu müssen. Sie konnte den tollkühnsten Plan fassen, niemand konnte sich einmischen. Sie lag mit den Händen unter dem Kopf. Nein, nein, es war unmöglich, umzukehren. Sich zu ewiger Folterbank verurteilen! Jeden Zukunftstraum ertöten! Den Fremden Recht geben! Sie konnte es nicht. Aber jetzt muyt»n Pläne geschmiedet, und kein Fehler durfte begangen werden. Und während sie hier lag, und. ab-