in Norwegen , den sie bald finden würde. Dieses, ihr teures Kind, um dessen Willen sie sich so tief im Schmutze gewälzt hatte, begann jetzt über ihrer Finsternis als ein rettender Engel aufzusteigen, sie mußte jetzt dessen Hand einmal erreichen. Wenn ihr Knabe ein erwachsener Mann war, wenn sie sich an seinen Arm klammem konnte, da mochten sie kommen, alle die strafenden Mächte, denn jetzt hatte sie ihren Verteidiger. Er würde sagen:„Uin meinetwillen hat Mutter alles getan, sie handelte aus Liebe. Ich trage daran die Schuld.und ich nehme alles auf mich." Die Tage gehen, die Wochen schwinden. Der Mnter schleppt sich dahin, mit neuem Schneefall, mit heulenden Stürmen. Alltäglich immer wieder derselbe Kampf, um den Traum und die errettende Hoffnung so lebendig heraufzu- beschwören, daß die Finsternis sie nicht überwältigen und die Angst nicht dreinfahren möge. Ihr Geficht ist bleich und starr. Sie tlögt nicht mehr die fröhliche Maske, aber sie verschließt doch noch ihren Kummer. Wenn sie sprechen wollte, wer würde sie wohl begreifen? Aber jetzt kann sie bald sagen: „Nächste Woche!" Und endlich lag das kleine Kind in ihrem Schoß. Es war ein Knabe. Jetzt konnte sie sich nicht freuen, obgleich sie reich war. Sie blickte in seine Augen und versuchte zu lächeln, empfand jedoch unter dem Herzen ein seltsames Frösteln. Dieses Kind hatte so sonderbare Augen. Und in demselben Drange zur Selbstquälerei wollte sie ihm nicht die Flasche geben, sondem die eigene Bmst. Ent- kräftet durch die andauernde Gemütserregung, erschien es chr, als werde dabei daö wärmste Blut aus ihren Adern gezogen, und jedesmal brach sie danach zusammen. Aber es mußte ge- schehen. Sie wollte diesem Kinde alle Vorzugsrechte verleihen, die in ihren Kräften standen. Es hatte seine große Aufgabe in der Welt, es mochte geschehen. In dem grauen Winterlichte, das durchs Fenster fiel, saß sie jeden Tag mit entblößter Brust und blickte auf dieses Kind, und ihr Rücken beugte sich immer merkwürdiger, je länger das Kind sog. Lange Wochen verstrichen, und der Kleine gedieh aus- gezeichnet. Eines Tages erhielt sie einen Brief aus der kleinen Küstenstadt, wohin ihre Mutter übergesiedelt war. Der Brief meldete den Tod der Mutter. Regina legte den Brief fort und starrte vor sich hin. Sie empfand keinen besonderen Schmerz, weil sie eigentlich dafür keinen Raum hatte, und der Mutter Bild war in der letzten Zeit so sehr verwischt. Aber sie dachte, während sie sitzen blieb und ins Weite starrte:„Ja ja, jetzt ist's doch wohl am besten, daß du deinen kleinen Jungen findest, denn sonst bleibst du wohl ziemlich allein in der Welt." Mtte Mai reiste sie mit ihrem Zünde nach Gotenburg. übergab es einer Kinderbewahranstalt, und engagierte einen Arzt zur steten Aufsicht über den Knaben. Dann atmete sie befreit auf. Ihr Besitztum war verkauft. Sie verfügte ungefähr über eine Million Kronen. Aber sie hatte jetzt graumeliertes Haar, und chr Gesicht erinnerte an eine Schwindsuchtskranke. lgortsetzung folgt. j. Oer japamfcbe farbenholzfchmtt» Im Lichthof des Kunstgewerbe-Museums ist eine Ausstellung japanischer Farbendrucke dem täglichen sauch dem abendlichen, von T1/«— ö'/a) Besuch geöffnet, die den Grundstock einer dem Museum gehörigen Sammlung bilden soll. Durch Leihgaben aus anderen, Berliner Besitz svon Prof. Koepping, Prof. Liebermann. Emil Orlik u. a.) ist die Ausstellung vervollständigt. Der japanische Farbenholzschnitt bildet in der japanischen Kunft einen Teil für sich. Diese Blätter waren für das Boll bestimmt. Sie waren billig, waren zu vervielfältigen, und so war es kein Wunder, daß die Darstellung hier immer energischer von den reli« giösen und mythologischen sowie historischen Mottven, die sonst hier wie anderswo vorherrschten, wegdrängte und zum Leben mit all seinen Freuden und Spielen hinstrebte. Und so zieht denn das ganze Leben dieses fleißigen, munteren Volkes, hinter desien freundlichem Gleichmut dem Wechsel der Dinge gegenüber beinahe eine philosophische Weltanschauung verborgen glimmt, an uns vorüber. Wir sehen die Kinder spielen, wir sehen die grauen zu Haus tätig sein, sich schmücken und spazieren gehen, wir sehen die Pflanzen- und die Tierwelt vorüberziehen, die Volks- Vergnügungen, die Feste, das Theater erleben wir mit. Und die schöne, nihige Landschaft bildet überall den Hintergrund zu diesen Bildern. So sehen wir in eine ganz fremde Welt hinein. Kunst und Leben dieses fernen Volkes vereint sich so zu einem zusammen- hängenden Oanaen, von dem wir manches lernen können. Was die Kunst anlangt, so ist das schon hinreichend geschehen. In der modernen europäischen Kunst spüren wir überall den Einfluß, der befteiend von Ostasien ausging. Unter der Schar der ersten primittven Gruppe(Anfang des 17. Jahr- Hunderts), die meist noch die einfache schwarze Umrißzeichnung, die nur ab und zu mit der Hand ausgemalt ist, bevorzugen, ist Moronobu(1638— 1714) zu nennen. Er steht am Anfang der Entwickelung, die Feierlichkeit und Erhabenheit der Pose leiht ihm einen Zug von Größe. Schauspielerdarstellungen wendet sich die Torii-Schule zu, die von Torii Kiyonobu sich ableitet. Am feinsten erscheint der zarte Kiyomitsu und der gleichfalls anmutige Morotana. Ihre Bilder zeichnet eine sanfte Harmonie der Linien und Farben aus, unter den letzteren besonders rosa und grün von beinahe lyrischem Schmelz, Arbeiten, die in sich vollendet find. Harunobu erweitert diesen engen Kreis. Er gilt als der kräftige Ausgestaltcr früher Anregungen, der die lebendigen Traditionen weitergibt. Seine Farben find glatt und doch kräftig, seine n lieblich und doch voll. Man fühlt, er strebt weg von dem a zur Ratur. So läßt er seine Mädchen in voller Natürlichkeit sich in freier Umgebwig bewegen, die er zart andeutet. Ein Baum hängt seme Zweige ttef hinab. Ein Quell rinnt lustig am Wege entlang. Er geht dem Reiz der Jahreszeiten»ach. Er ichildert die Fran und fteut sich an den Spielen des Kindes. Eine kapriziöse Fülle von Gegenständlichkeiten und Darstellungen tummelt sich plötzlich aus diesen Bildern, während früher der Hintergrund leer war. Er meistert sie mit eigenstarkem Kompositionsgefühl. Er erstrebt keine sklavische Rachbildung. Noch empfindet er voll den Reiz der Andcuwng. Aber der Körper dieser Mädchen, die am Strande gehen, als Wäscherinnen im Wasser stehen, im Morgen« gewand aus dem Hause treten, find schon natürlich gerundet. Ueberall ein Werden, eine Freiheit. Die Farbtöne— meist rot, gelb— gehen milde ineinander über und die Linien leben in natür- lichcm Schwung.— Koriusais Eigenart, der zu gleicher Zeit wie Harunobu lebte, zeigt sich in den hohen, schmalen Bildern, die so wenig Raum bieten und dennoch oft so reiche Fülle von Figuren zeigen, die in prägnanter Berechnung überein- ander gesetzt find und oft nur teilweise erscheinen. Dadurch bringt er auf schmalem Raum viel zusammen. Seine Farben find nicht so fein wie die Harunobus. Kinder beim Spiel— der Japaner liebt das Kind über alles, ebensosehr wie er schwärmerisch die Natur verehrt— schildert Schigamasa(1737—1819). Sie sitzen in Gruppen beisammen, hocken um einen Bottich herum oder schnüicken sich. M a s a n o b u malt die berühmten Dichter in charakteristischer Stellung, alS Illustrationen zu ihren Gedichten. Ganz eigenartig erscheinen uns die Pflanzenbilder Massayoshis(1761—1824), die ebenso« sehr genaue botanische Studien wie impressionistische Kunstwerke find. Er gibt eine Blume, weiter nichts. Es genügt ihm. Wie er sie aber gibt,' dieses Leben darin, dieses Gefühl des Wachsens, des Organischen darin, dazu diese leichte, lichte Farbigkeit, es ist höchste Treue vermählt mit innerster Wahrheit. Hier sieht man die hohe Künstlerschast dieses Volkes. Wir haben nichts, was diesen Bildenr an die Seite zu stellen wäre. Welche hin- gebende Liebe lettet dieses raffinierte Können! Alles Europäische, das sich auf gleichem Gebiete bewegt, erscheint schwer, plump und gewollt dagegen. Es ist ein Spiel der Formen und Farben, das wir erst in unserer modernen Malerei und Skulptur nachzuahmen beginnen, zu lernen anfangen, als Schüler dieses Volkes, das uns diesen feinsten Liebreiz des Schaffens zeigt. Diese impressionistische Art geht von K o r i n aus. der hier nicht vertreten ist. Er sammelt eine ganze Schar von Schülern um sich, die alle eine Spezialität pflegten. Als Affenmaler ist z. B. Mori Sosen bekannt,_ der das Leben dieser Tiere in Form und Farbe überzeugend und künstlerisch darstellte. Auch er fehlt hier. Das Theater spielt im Leben des Japaners eine große Rolle. Stunden-, ja tagelang dauern die Ausführungen. Mit Tee und Reis versehen, hockt daö Völkchen auf den Holzbalustraden und läßt sich anwehen von den Schauern der Tragödien der Vorzeit. Holzstege führen ins Parkett hinein, das in Vierecke abgeteilt ist. Die Bühne pflanzt sich auf diese Weise unter die Zuschauer fort und oft spielt der Schauspieler mitten unter dem Publikmn, allerdings auf erhöhtem Steg. Acts einzelnen der ausgestellten Blätter ist dies sichtbar. Andererseits hat der Japaner einen ausgeprägten Sinn für Mimik. Er treibt diese Vorliebe so weit, daß an den besonders hervorragenden Mo« menten ein Diener mit einem Lampion auf die Bühne springt und sie dem Darsteller dicht vor das Gesicht hält, damit alle ganz genau die Feinheiten der Abwechselung im Ausdruck verfolgen können. So z. B. bei Sterbeszenen. Daher also bildet sich im Holzschnitt jener besondere Zweig der Schauspielerbildinsse aus, mit denen Schunscho(1726— 1792) begann. Ihm folgte eine ganze Schule. Monumentale Kraft atmen diese figürlich bewegten Darstellungen, in denen die Schauspieler— auch die Frauenrollen wurden von Männern gegeben, nur eine kurze Zeit lang war eS üblich, Frauen austreten zu lasten, daim wurde es wieder verboten— dargestellt find. Trotz der angespannten Mienen Ruhe, trotz der extravaganten Bewegung Feierlichkeit. Berühmt find auch desselbenKünstlers Jllustrattonen. die er gezeichnet hat zu einem bekannten und vielgelesenen Roman Jse-Monagatari. Hier ist er
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22 (13.4.1905) 74
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