NnterhaltungMalt des vorwärts Nr. 92. Freitag, den 12. Mai. 1903 (Nachdruck verboten.) 121 flammen. Nomon von Wilhelm Hegeler . „Darf ich Ihnen, teuerste Komtesse. Herrn Doktor Grab- aus vorstellen? ßfin sehr bedeutender Professor aus Jena ." sagte Pschütt und wandte sich zu einer anderen Gruppe. Grabaus machte seinen Diener und fügte dann hinzu: „Das gnädige Fräulein hat sich versprochen. Nicht Gar- aus. sondern Grabaus. Kein bedeutender Professor, sondern ein simpler Privatdozent." „Sie sind aus Jena ?" fragte die Konitesse. ohne eine Miene zu verziehen. „Allerdings." „Dann wohnen Sie ja in derselben Stadt wie mein Tod- feind, der Professor Häckel." „Höckel— was hat der Ihnen denn getan?" „O, dieser Mensch, der so abscheuliche Bücher schreibt, von Unwissenheit und Arroganz strotzend! Ich hasse ihn!" Das sagte sie mit dem ruhigsten Gesicht, während sie ihre Hände hinter dem Rücken verschränkte. Nachdem sie dann zwei oder drei Sekunden geschwiegen und Grabaus kaum Zeit zum Staunen gelassen hatte, fuhr sie fort: „Sie dürfen sich nicht wundern, Herr Doktor, wenn ich etwas einsilbig und scheu bin. Ich bin noch gar nicht wieder an den Trubel der westlichen Kultur gewöhnt." „Wo sind Komtesse denn gewesen?" „Ich habe mich zwei Jahre auf Ceylon aufgehalten. Teils meiner Gesundheit wegen, teils um den Buddhismus und die Theosophie an ihren Quellen zu studieren. O, wie schön war es dort, im stillen, vornehmen Schweigen der heiligen Tempel!— Haben Sie schon Tee, Herr Doktor?" Sie war an den Tisch getreten, auf dem Teeschalen und Schüsseln mit kleinem Gebäck standen. „Es ist echter Tee, den ich aus Ceylon mitgebracht habe. Das einzige, was mich hier heimatlich berührt. Nehmen Sie Rum oder Milch dazu?" „Danke, nur Zucker." Es fiel Grabaus auf, daß die Komtesse, als er die dar- gereichte Tasse ergreifen wollte, diese schnell auf den Tisch setzte. Ein Herr sprach sie an, und Grabaus wollte gerade einen Schluck trinken, als Pschütt sich wieder an ihn drängte und fragte: „Nun, sind Sie nicht bezaubert von der Komtesse? Ist sie nicht ein hochbedeutender Mensch? Haben Sie ihre Hände gesehen?" „Die hielt sie ja immer auf dem Rücken." „Das ist Ihnen aufgefallen? Sind Sie ein feiner Be- obachter!— Sie gibt nämlich niemandem die Hand, selbst ihren Eltern nicht. Nur in seltenen Ausnahmefällen. Es gehen nämlich magnetische Strahlen von ihren Händen aus. Sie kann damit Heilwunder tun." „Was?!" sagte Grabaus, von all dem Wunderbaren schon ganz verdrießlich gestimmt. „Auf mein Wort! Ich habe es selbst beobachtet. Ich kam mit entsetzlichen Kopfschmerzen hierher, aber ein paar leise Striche genügten, damit sie vollständig verschwanden.— Aber jedesmal, wenn die Komtesse solche Kuren ausgeführt hat, ist sie selbst vollständig geschwächt.— Hat sie Ihnen von Ceylon erzählt? Sie war dort wegen-- sie ist nämlich durch und durch krank. Aber ein ganz außergewöhnlicher Mensch!— Kommen Sie, wir wollen uns weiter vorn hin- setzen." Nebenan hatte nämlich jemand ein schüchternes Glöcklein ertönen lassen, worauf alle nach vorn drängten. Nur einige ältere Herren machten es sich in den Lehnstühlen deS ersten Zimmers bequem. Grabaus nahm wohl oder übel neben Pschütt auf einem der im Halbkreis aufgestellten Rohr- stühle Platz. Vor einem lächerlich kleinen Rednerpult stand die Gräfin und bickte mit schüchternem Lächeln um sich, während sie von Zeit zu Zeit die kleine Schelle bewegte, als könnte sie dadurch dem Geflüster und dem Rücken der Stühle ein Ende machen. Als endlich alle sich gesetzt hatten, sagte sie: „Ich erkläre also unseren heutigen Abend— oder viel« mehr, ich soll ja logischer sagen, da wir uns nachmittags zu« sammenfinden— unsere heutige Zusammenkunft für eröffnet und erteile das Wort— aber—— ach. ich wollte ja noch sagen—" Darauf teilte sie mit, daß in einigen Tagen das Konzert eines blinden Organisten unter Mitwirkung mehrerer der Ge- sellschaft wohlbekannter Herren und Damen stattfinden würde. Sie hoffte, daß die Anwesenden recht zahlreich erscheinen würden. Karten könne man bei ihr bekommen. Darauf be- richtete sie noch über den vergangenen Donnerstag, von dem, wie sie glaubte, alle die reichsten Anregunger mitgenommen hätten. Nachdem sie dann einige Augenblicke geschwiegen und verschiedne auf dem Pult verstreute Zettel aufgehoben hatte, wandte sie sich, immer verlegener geworden, an ihren Gatten: „Ach, Erich, mehr war wohl nicht?" Als dieser dann den Kopf schüttelte, fuhr sie fort: „Nun, dann erteile ich das Wort unserem lieben Baron von Toll. Wir hatten diesen Vortrag schon seit Wochen er« wartet und schon das Schlimmste befürchtet—" «Daß er ausfallen würde," rief der Graf dazwischen, als einige kicherten. „Ja, natürlich. Was denn sonst?" fragte die Gräfin etwas pikiert.„Mso Herr Baron von Toll hat das Wort." Nachdem sie geschlossen, begann wieder allgemeines Stuhl- rücken, und das diskrete Flüstern wurde wieder laut. Pschütt hatte während der ganzen Zeit mit ihrem Nachbarn sehr unge- niert geplaudert und ihm die Berühmtheiten gezeigt. Sie ging mit dem Lorbeer sehr verschwenderisch um und war immer ganz erstaunt, wenn Grabaus einen Namen nicht kannte. „Sehen Sie mal da hinten, die schöne Frau Platen. Finden Sie sie wirklich so schön? Dort in der Ecke neben Herrn Gebhard." Nur undeutlich konnte Grabaus die dort Sitzende ge- wahren, da ein Teil ihres Gesichtes durch die breite Hut- krempe beschattet war.„Marie Luise— Marie Luise" klang's wie der Nachhall von gestern in ihm, doch mit erstorbenem Ton, der jeden Zauber verloren hatte. Fast mit kühler Neugier richtete er seinen Blick in die Ecke. „Schön sind eigentlich nur ihre Augen," flüsterte Pschütt. „Oder gefallen Ihnen solche Gesichter?" Grabaus runzelte als Antwort nur die Stirn und deutete mit den Augen auf den Baron, der, nachdem er noch einen Blick in den Spiegel geworfen und das goldene Totenköpfchen aus seiner Krawatte hervorgezupft hatte, neben das Redner- pult getreten war. Mit lässiger Bewegung lehnte er seinen Arm auf, zog den Bleistift aus der Tasche, und nachdem er diesen mit suggestivem Blick betrachtet hatte, stieß er plötzlich eine Reihe von Worten hervor. Unruhig und aufs äußerste verstimmt, ließ Grabaus seine Augen über die Gesellschaft schweifen. Alle wie sie dasaßen, schienen nur mit sich selbst beschäftigt, nur darauf bedacht, eine möglichst vorteilhafte und gefällige Stellung einzunehmen, ein kokettes oder bedeutendes, skeptisches oder tief ernstes Gesicht zu machen. Nirgendwo war ihm je so sehr aufgefallen, wie innerliche Verlogenheit sich äußerlich in Mienen und Haltung ausprägt. Was für Menschen sind das alles! dachte er in aufwallendem Zorn. Nichts ist bei ihnen echt! Selbst ihre Narrheit, ihr Blödsinn ist noch Koketterie. Er blickte den Baron an. der von Zeit zu Zeit immer an seiner Busennadel zupfte. Dieser Baron wollte offenbar kein Redner sein, sondern ein Plauderer. Er versuchte sichtlich, die Hörer an das spontane Geborenwerden seiner Worte glauben zu machen. Deshalb stockte er manchmal, zauderte, suchte, stotterte wohl gar ein wenig. Aber man hatte trotzdem das Gefühl, daß er jedes Wort genau vorher wußte. Es war ein Versteckspiel, wie Erwachsene es mit Kindern treiben, die sie längst gesehen haben, aber dennoch eifrig suchen. Dabei begann er fast jeden Satz mit„Ich"— und fuhr fort mit„Nietzsche ". Was er sagte, war weder klug noch dumm, aber er hätte die glänzend- sten Sachen aussprechen können, in diesem eitlen Munde wäre selbst platonische Weisheit zu äsfischer Spielerei geworden. Mein Gott! dachte Grabaus in wachsendem Zorn, darum hat Nietzsche sein Lebelang die Menschen geflohen! DaS heißt Unsterblichkeit, daß jeder Geck mit dem Wehrlosen Schindluder
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22 (12.5.1905) 92
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