Mnterhaltmigsblatt des Horwärts Nr. 93. Sonntag, den 14. Mai. 1905 (Nachdruck verboten.) 13] flammen, Noman von Wilhelm Hegeler . Grabaus verneigte sich vor Marie Luise, ohne sie näher zu betrachten. Gr wurde dann noch einigen Herren vorgestellt, darunter dem, der ihn vorhin durch seine Erscheinung gefesselt hatte, einem Major, dessen Namen er nicht verstand. Wieder allein gelassen, betrachtete er nun Marie Luise, die einen breitrandigen, mit Straußenfedern geschmückten Hut, eine orangefarbene Samttaille, deren weicher Herbstlaubton noch matter wurde durch die vergilbten, schweren Spitzen darüber, und einen«m Boden hinfließenden, in übereinander- gestülpten Tüten aufsteigenden, schwarzseidenen Rock trug, der ihrer schlanken Gestalt eine schleppende Vornehmheit und graziöse Schwerfälligkeit verlieh. Doch diese Toilette sah Grabaus eigentlich nur als etwas Dunkel-Helles, matt Gol- diges, sehr Schönes und Kostbares. Was ihm zuerst auffiel, wenn auch nur nebenbei und im Flug, war, daß sie sich sehr gerade hielt und sich gewissermaßen in sich zurücklehnte. So, obwohl nicht größer als der Maler, blickte sie dennoch auf ihn herab und schien sich mit einer Schranke zu umgeben. Aber ihr Gesicht war durchaus nicht hochmiitig, sondern offen und voll lebhafter Teilnahme, und ihre Augen strahlten lebendigen Glanz aus. Sein hauptsächlichster Eindruck aber war der des Staunens, denn er fand ihre Schönheit voir ganz anderer Art als er erwartet hatte. Nichts Blendendes oder Ueberwältigen- des trat aus ihrer Gesamterscheinung hervor. Schön deuchte ihm ihr Gesicht vor allem durch die Harmonie der einzelnen Züge, durch die geistige Lebendigkeit, die doch wieder in einer tiefen und stillen Abgeschlossenheit gebettet schien. Reizvoll dünkte ihn diese Verbindung von Natürlichkeit und ererbter, unbewußt getragener alter Kultur. Im ganzen aber erschien sie ihm weniger schön als unendlich sympathisch. Noch suchte er nach einem letzten, bestimmenden Urteil, als der Major, dessen Namen er vorher nicht verstanden hatte, sich zu ihm wandte und sagte: „Ich bewundere alle Menschen, die frei sprechen können. �ch brächte das nicht fertig und sollt's doch auf meine alten Tage gelernt haben. Da hatten wir mal einen Regimentskommandeur, der war auch kein Redner. Ein brillanter Offizier und liebenswürdiger Gesellschafter. Aber frei sprechen!— Wenn der zu Kaisers Geburtstag den obligaten Toast aus- brachte— ich kann Ihnen sagen, wir saßen immer wie mif Kohlen. Die drei, vier ersten Sätze ging's famos. Dann Plötz- lich Totenstille— aber'ne Stille, wissen Sie, wo Sie Ihr Herz klopfen hören, mindestens drei, vier Minuten lang. Unser Kommandeur wird blaß und blasser, zieht sein Schnupftuch und wischt sich die Stirn, fängt'nen neuen Satz an, verbessert sich wieder— und schließlich,'s hilft nichts— er muß regelmäßig sein Papier herausziehen und die Sache zu Ende lesen. Ja, das Wort ist auch'ne Gottesgabe." „Gewiß," erwiderte Grabaus.„Es ist ja'ne allbekannte Sache, daß gerade tatkräftige Menschen oft sehr unbehülfliche Redner sind. Und doch ist es eigentlich merkwürdig. Denn die schnell entschlossene Tat und das behende Wort entspringen doch eigentlich denselben Quellen. Freilich— das Herz auf dem rechten Fleck tragen, heißt noch nicht, es auf der Zunge tragen." Ter Major nickte und fragte dann, sich etwas herunter- beugend, in vertraulichem Ton: „Sagen Sic mal— Nietzsche— das ist wohl ein Mensch, den man absolut kennen muß?" „Das kommt darauf an, wer man ist. Wenn man sich nicht gerade ausschließlich mit geistigen Dingen beschäftigt—" „Na, ein Böotier möchte ich ja auch nicht gerade sein. Aber die Beschäftigung mit geistigen Dingen— lieber Gott, Sie tonnen sich denken, wie das damit bei unsereinem ist. Man hat den Tag über vor der Front gestanden, ist müde und ab- gerackert— da kann man den ganzen Mann nicht mehr stellen. Da liebt man Dinge, die leicht ansprechen und nicht viel Kopf- zerbrechen machen. Na, jetzt hätte ich ja mehr Zeit. Aber nun Hab ich mal meinen eisernen Bestand von Schriftstellern, die ich immer wieder vornehme. Selten, daß ich einen hinzu- nehme. Tja— vielleicht ist das auch so'ne Art von Alters- schwäche." „Warum? Wenn man nur gute Freunde hat— man braucht ja nicht immer nach neuen zu suchen." Der Major nickte, als wenn dies Wort ihn besonders gefreut hätte, und fuhr dann lebhaft fort: „Ja, so vor fünfundzwanzig Jahren, ich war hier auf. Akademie und wohnte mit einem Kameraden zusammen, da waren wir beide starke Schopenhaucrianer. Da sind wir manch liebes Mal die Linden lang geschlendert, aber wahrhaftig nicht wie zwei säbelrasselnde Leutnants, sondern tief verzagt. Wir hatten sogar beide'mal vor, den Abschied zu nehmen. Na, dagegen hat dann die rauhe Wirklichkeit ein Veto eingelegt« Da hieß es einfach: Friß Vogel oder stirb." Er lächelte, dabei legte sich ein Kranz von Krähenfüßen um seine stahlblauen Augen, und unter dem dunklen Schnurr- bart blickten kräftige, wohlgeformte Zähne hervor. Und beides gab diesem gebräunten im Drill und in der Pflicht gehärteten Gesicht etwas so Liebenswürdiges und aufrichtig Gütiges, daß Grabaus sich immer mehr zu ihm hingezogen fühlte. „Es war trotz allem eine schöne Zeit. Ich möchte sie nicht entbehren. Man fühlte sich sehr klein und doch eigentlich riesig hoch. Es war eben mehr als der nüchterne Alltag. Aber an unserem Pessimismus, sehen Sie, da tvar zum großen Teil unsere sitzende Lebensweise schuld. Als ich bald darauf zum Manöver kommandiert wurde, und zwar zu Pferd bei der Kavallerie, da war ich ganz erstaunt, wie mir auf einmal ganz — na einfach schweinemäßig froh ums Herz wurde. Und daran war bloß die frische Herbstluft und das Gerüttel und Geschüttel schuld. Denn der Gaul, den mir der Schwadrons- chef aufgehalfert hatte, der war nicht von schlechten Eltern." Während der Major sprach, hatte er manchmal zu Marie Luise hinübergeschaut, ihr einmal sogar zugenickt. Und in seinem Ausdruck glaubte Grabaus die Fürsorge und den Stolz des Vaters zu erkennen, der sich über die Erfolge seiner Tochter freut. Er verglich beider Gesichter und entdeckte auch Familien- ähnlichkeit, nicht in den Augen, denn die Marie Luisens schienen ihm in diesem Augenblick von ganz besonderer Art, wie be- taute Blüten, die ihren Glanz über das ganze Gesicht ergossen, aber die schmale, gerade Nase und besonders der weiche Mund mochten eine verfeinerte Erbschaft des Vaters sein. Jetzt, wie die noch einmal auftauchende Abendsonne ihr nachdenkendes Gesicht voll beschien, hob sie sich wirklich als eine wunderbar- liebliche Erscheinung aus all den anderen Frauen hervor, als etwas Unvergleichliches und Vollendetes aus lauter halb�Ge- lungencm und halb Verfehltem. Und ein Duft von Unberührt- heit umschwebte ihre Züge, daß Grabaus kaum glauben konnte. sie sei eine verheiratete Frau. Jedenfalls mußte sie noch im Honigmund der Ehe sein, doch vergeblich sah er sich nach ihrem Manne um. Statt seiner stand der Maler an ihrer Seite, die Schultern zurück, den Kopf etwas vorgeneigt., mit blitzenden Augen und fast ängstlich gespannten Zügen, die verrieten, daß alles, was an Feiier, Witz und Behendigkeit der Gedanken in ihm war, sich auf die Beine gemacht hatte, um vor der Angebeteten zu paradieren. Von Zeit zu Zeit warf er Grabaus einen schnellen Blick zu, der zu sagen schien: Ist sie nicht schön? Ist sie nicht schön?! Da der Major von einer Dame in Anspruch genommen wurde, näherte Grabaus sich der Gruppe, indem er sich jedoch bescheiden im Hintergründe- hielt. Aber der Maler wandte sich sogleich mit lebhafter Gebärde an ihn: „Denk Dir, der gnädigen Frau gefällt Verlin nicht. Sie findet es langweilig, nüchtern, öde, häßlich—" „Aber nein, nein, das habe ich nicht gesagt. Ich sagte nur, es ist ganz anders, als ich es mir gedacht habe. Es wirkt ernüchternd. Vielleicht ist das manchmal ganz gut." � „Ach. gnädige Frau, ernüchtert sind Sie nur, weil Sie in diesen nüchternen Kreisen verkehrt haben, Hofgesellschaft, Offizierskreise. Aber wenn Sie uns Künstlern mal die Ehre schenkten, Sie würden anderer Meinung werden. Denn es gibt wirklich Künstlerkreise in Berlin ." „Ach, gehen Sie mir damit. Ich will in Berlin Kunst genießen, nicht Künstler. Sonst würde ich vielleicht auch davon noch enttäuscht. Ein einziges Mal waren wir in einer Premiere, aber nie gehe ich wieder hin."
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22 (14.5.1905) 93
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