MntechaltMgsblalt des Horwärls Nr. 96. Donnerstag, den 18. Mai. 1905 (Nachdruck verboten.) 16] flammen. Roman von Wilhelm Hegeler . Und da der Herr aus der Provinz. Jetzt hieß er Hornemann und war Ingenieur. Damals war er Arzt gewesen und hatte irgend'nen anderen schönen Namen geführt. Aber es machte gar keinen Unterschied. Auch dieser sah ganz so aus wie sein Vorgänger, hatte ganz so breite Stiefel, machte beim Walzer ganz dasselbe angestrengte, ernste Gesicht, als wenn Tanzen eine harte Arbeit, aber kein Ver- gnügen wäre. Und wie er sich nun ausruhte, mit dem krausen Taschentuch sich Lust zufächelnd, und dabei Lene verfolgte, die im Arm eines anderen ihm von Zeit zu Zeit einen raschen Blick zuwarf, da sah man hinter seiner massigen Stirn förmlich die schweren Erwägungen arbeiten: Soll ich oder soll ich nicht?— Ach. auch der würde sagen: Lieber nicht!... Arme Lene! dachte Grabaus. Sie ist die einzige, die Herz hat. Die anderen sind nichts als kleine Rechenmaschinen. Aber ein Schauer durchrieselte ihn. als er plötzlich im Nebenzimmer seine Schwägerin Berta neben einem Herrn in eifrigem Gespräch gewahrte. Die beiden saßen in der letzten, stillsten Ecke, zwischen Bücherschrank und Blumentisch, im Schatten derselben Araucaria, unter der auch er so oft mit seiner Braut gesessen hatte. Es war ein junger, blonder Mensch, mit schönen, träumerischen Augen, mit einem Gesicht, einem Ausdruck von ggnz anderer Art. als all die übrigen, eifrigen, lauten Herren. Und je länger Grabaus hinschaute und im Geist die Unterhaltung der beiden belauschte: der junge Mensch sprach inbrünstig, wie mit bebender Stimme, als wenn lang gehegte, verschwiegene Worte aus seiner Seele flössen, die er nur der Einen anvertraute, sie aber hörte scheinbar so versunken zu und lien doch hin und wieder gelangweilt und in heimlicher Sehn- sua.t ihre Augen zu den Tanzenden schweifen— desto stärker wurde in ihm das Gefühl, es selbst zu sein, der dort saß, der das, was er beim einsamen Lampenschein ersonnen und erlebt hatte, der heimlich Geliebten zutrug. Wiederholte sich denn alles im Wechselspiel des Lebens? Mußten immer neue die- selben Hoffnungen, dieselben Enttäuschungen durchmachen? Eine seltsame Sympathie zog ihn unmittelbar zu dem fremden jungen Menschen, ein Gefühl fast der Verantwortung, als müßte er ihm beispringen, ihm die Augen öffnen und ihn warnen. Da war der Tanz zu Ende. Alles suchte nach Platz. Die beiden in ihrer Ecke standen auf und wurden bald ge- trennt. Nach einer Weile kam Berka aus dem Nebenzimmer mit etwas verlegenem Gesicht und setzte sich neben ihren Schwager. „Du spielst hier wohl den stillen Beobachter?" „Was hat Dir denn der junge Mann, mit dem Du so eifrig sprachst, alles Schönes erzählt?" „Tja, wenn T-u das wüßtest!— Verse." Verse? Seit wann bist Du denn für Verse?" „Erlaube mal! Ich bin sehr für Verse. Nur kommt's darauf an, von wem sie sind." „Das waren wohl selbstgemachte?" „Tjaaa— und an mich gerichtet." „Donnerwetter! Wer ist denn der Herr eigentlich?" „Ein junger Student. Jurist. Aber er möchte sich ganz auf Nationalökonomie verlegen." „So--" „Wie ist das eigentlich damit? Sehr aussichtsreich ist das Studium wohl kaum?" „Das kommt darauf an." .„M!an muß wohl endlos warten, bis man was Festes hat?" „Ja, wenn er sich habilitieren will, da ist es freilich gut, wenn er ein bißchen Vermögen hat." „Privatvermögen ist nicht vorhanden, aber sehr wohl- habende Verwandte." Erstaunt sah Grabaus seine Schwägerin an. „Du interessierst Dich wohl ernstlich?" Sie lachte erregt und verlegen und sprang dann auf. «Ha, möchtste wissen?" Also so weit schon! dachte Grabaus. Und ihm schwebte vor, wie auch über ihn iftonstanze gesprochen haben mochte, wie sie die Chancen der Philosophie erwogen hatte. Auch ev hatte kein Privatvermögen besessen, dafür aber die Aussicht auf ein Staatsstipendium. Und daran hatte sie wohl ihr Herz gehängt. Ach, Du argloser, armer Kerl, dachte er, muß es Dir wirklich so gehen wir mir? Wirst auch Du dieser Gans Dein Teuerstes anvertrauen und das armselige Seelchen zu einer hohen Santa Barbara umgestalten? Der Teufel hole unsere Torheit, unsere Jugend, unsere Unwissenheit! Je reiner wir sind, desto wehrlosere Opfer sind wir. Ja, so wie ich wirst auch Du wohl eines Tages den Besuch des zukünftigen Schwiegervaters erhalten, der Deine zaudernde Liebe beim Schopf ergreift und Dir ungebeten den Segen erteilt. Das Blut stieg Grabaus in die Wangen, als er an diesen Besuch dachte, wie der alte Herr in seinem engen Studenten- kämmerlein erschienen war, das sonst so listig-vergnügte Gesicht in feierliche Falten legend, ganz der steinerne Gast aus dem Don Juan , und von den Verführungen der Großstadt und der Heilsamkeit einer frühen Heirat gesprochen hatte. Weil er jedoch damit kein rechtes Verständnis gefunden, denn das harm- lose Studentlein wußte sich frei von aller Sündenlast, war er immer deutlicher geworden, bis Grabaus schließlich in seiner Herzensverwirrung ihm seine Neigung verriet. Da hatte er die Arme ausgebreitet und gesagt:„Sie haben eine gute Wahl getroffen. Die Aelteste ist die Beste von allen. Gehen Sie getrost hin, Sie werden nicht vergebens fragen. Ich weiß, daß Lenchen Sie liebt."... Er hatte nicht einmal gewußt, um welche Tochter es sich handelte. Ein zorniges Gefühl von Scham und Empörung sprühte mit frischer Glut wieder in Grabaus. Alles verzieh er seinem Schwiegervater. Nur diesen Besuch nicht! Damals war sein erster Gedanke gewesen: Fort! Fort! Nun ist alles Schöne und Feine beschmutzt. Argwohn, ein plötzliches jähes Erwachen war über ihn gekommen. Und dann— dann war es schließlich doch dieser Besuch gewesen, der ihn zu einer bindenden Er- klärung veranlaßt hatte. Gegen Mitternacht hatten er, seine Schwiegermutter und Fränzchen sich zufällig zusammengefunden. Nach einer Weile nahm auch Berta bei ihnen Platz. „Willst Du auch mal pausieren?" fragte Grabaus. „Ich finde es nicht hübsch, wenn man sich so echauffiert." „Sie denkt, blaß steht ihr besser," meinte Fränzchen.. „Gott , sei doch nicht so albern." „Kind, was hattest Du denn eigentlich mit Fräulein Riekchen?" fragte Frau Buchbinder.„Ihr habt Euch doch gekabbelt." „Ach, die quatsche Kröte!" entgegnete Fränze ziemlich heftig.„Es ist doch geradezu lachhaft, wie die Herrn Gra- bowsky nachrennt." „Dabei macht er sich nichts aus ihr," sagte Berta. „Nu, Spaß!" „Ich garantiere Dir's. Vorhin hat er zu ihr gesagt, sie sollte doch mal zu ihm in die Sprechstunde kommen. Er wollte ihr die Zähne richten. Kostenlos." „Wann hat er das gesagt? Das ist überhaupt nicht wahr." „Aber Fränzchen, das ist doch das beste Zeichen, daß er sich nichts aus ihr macht. Wenn ein Herr sich für ein junges Mädchen interessiert, wie kann er ihr dann sagen, er wollte ihr die Zähne richten? Das wäre doch bodenlos taktlos." Berta sagte das mit so unschuldig überzeugter Miene, daß man nicht wußte, meinte sie es wirklich ernst, oder wollte sie ihre Schwester foppen? Als nun der blonde junge Mann sie zum Tanz auf- forderte, fragte Grabaus: „Wie stehen denn die beiden eigentlich?" „Ja, wenn ich das wüßte!" seufzte Frau Buchbinder« ..Aus dem Mann wird man nicht klug." «Wie soll man aus den Männern auch klug werden? Sie sind ja so dumm," bemerkte Fränzchen. „Den zweiten Winter verkehrt er hier schon. Ich mache mir rechte Sorgen. Berta geht ganz in ihm auf." „Schick doch einfach mal Papa hib." »Ach Kind, ich tu's so ungern—"
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22 (18.5.1905) 96
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