vir im Park waren, da hat Grabaus mich geküßt, und ich glaubt Ihr das? ich habe ihn wieder geküßt." Mit einer Gewalt ohne gleichen überfiel dieser Gedanke sie. Und im selben Augenblick überkam sie auch das Gefühl, daß alles ein anderes Gesicht bekommen hätte' alles, was bis zu dieser Stunde fest, aufrecht und hell in ihr gewesen, war der- worren, dunkel und schwankend geworden. Wahnsinnige Angst ergriff sie, Angst des Menschen, der den Boden unter den Füßen verloren hat und sich versinken fühlt. Das Essen war aufgetragen. Die drei gingen hinüber. Nach Tisch blieb Marie Luise allein im Zimmer, um der- schiedene Weihnachtspakete auszupacken. Aber während sie die Bindfäden zerschnitt, sank ihr plötzlich die Schere aus der Hand. Zusammenschreckend sah sie sich um, in dem deutlichen Gefühl, daß zwei starke Arme sie umschlungen hielten, und eine Wange sich an ihre drängte. Bin ich schuldig oder nicht? Kann ich ihm noch ehrlich ins Gesicht sehen? dachte sie. Als vor dem Schlafengehen ihr Mann an der Schwelle ihrer Kammer ihr den Gute-Nacht-Kuß gab, hielt sie einen Augenblick mit leidenschaftlichem Druck seine Hand in ihrer. Wieder drängte sich das Geständnis auf ihre Lippen. Aber kaum merklich schüttelte sie den Kopf. Sie fürchtete sich vor seinem Schmerz. Und wie sie dann im Bett lag, allein in der dunklen Kammer, da tobten in ihrem ehrlichen und klaren Kopf die wild erregten Gedanken weiter. Nie hatte sie bis jetzt das Bedürfnis gefühlt, von ihrem Tun und Handeln einem anderen Rechenschaft abzulegen. Was sie getan oder unterlassen, hatte sie oft geärgert, oft gereut. Doch immer war sie eins mit sich selbst gewesen. Was aber heute geschehen war, das zerriß sie, zerriß den innersten Kern ihres Wesens. Sie lechzte nach Rechtfertigung und fühlte sich doch unfähig, ihr eigener Richter zu sein. Aber während ihr Kopf noch glühte und fieberte, da schien sich ganz sacht die Mondnacht des Parks über sie zu breiten, mit ihrem milden, kühlen, wohligen Schimmer. Zu- erst kaum vernehmbar wie verwehtes Flüstern im Stimmen- lärm hörte sie seine lieben, guten Worte in ihrem Ohr, diese Worte voll Zärtlichkeit und Reinheit, diese nie gehörten und doch ihr seit Ewigkeit vertrauten Worte. Ein tiefer Seufzer rang sich aus ihrer Brust, und ihren Mund umspielte ein leises Lächeln. Indem sie die Augen schloß, fühlte sie sich wieder von seinem Arm umschlungen und ging mit ihm, wohin er wollte. So schlummerte sie endlich ein und schlief ganz fest, tief und traumlos auf den Kissen ihrer Schuld und ihrer Liebe. Immer wieder während der nächsten Tage befiel sie Angst vor dem, was kommen würde, als wenn es in ihrem Leben überhaupt nichts Sicheres mehr gäbe. Zugleich auch befiel sie tiefes Staunen über das, was geschehen war. Vor ihren ver- wunderten Augen stand dann eine Frau, die auf das Bitten eines fremden Mannes diesem in den menschenleeren, nächt- lichen Park folgte, und sie sagte sich:Ja, das war ich diese Frau." Immer kehrten solche Gedanken wieder, und oft mußte sie darüber in ganz gleichgültigen Beschäftigungen innehalten. Als aber die Woche zu Ende ging, ergriff etwas Neues sie, Furcht vor dem Wiedersehen mit Grabaus. Nicht die leiseste Sehnsucht fühlte sie, nur Furcht. Am Sonnabend morgen er- wachte sie mit heftiger Migräne. Unter gewöhnlichen Umständen wäre sie zu Haus geblieben, doch ging sie jetzt trotzdem in den Vortrag. Während Grabaus sie auf dem Heimweg begleitete, waren ihr die Worte wie im Mund erstorben, obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, ebenso gesprächig wie sonst zu sein. Auch er war zurückhaltend und scheu, und es kostete ihm große Mühe, eine gleichgültige Unterhaltung zu führen. Erst kurz vor dem Haus wurden sie beide freier, als fühlten sie, daß es ihnen gelungen war, das Geschehene zu begraben. Nur als er ihr zum Abschied die Hand reichte, zuckte die ihre zu festerem Druck, und er erwiderte dies Zeichen mit einem dank- Haren   Blick. lFortsetzung folgt.]] (Rachdruck verboten.) ]Vew yforks Sank- und Sörfcmncrtel. New JJorf ist das Herz des gesamten Handels der Vereinigten Staaten  . Doch im Grunde gilt dies nicht einmal van ganz New 8 ort, sondern nur von dem kleinen Fleckchen Erde  , das die südlichste pitze der großen Insel Manhattan   unterhalb der Fulton-Street bildet. Es ist das Finanzviertel von New Fort mit seinen großen Börsenpalästen und Bankhäusern. Während der Geschästsswnden herrscht hier ein ungeheuer reges Leben und Treiben, denn alle Fäden, die der amerikanische   Handel über die Welt ausspannt, laufen in diesem Punkte zusammen. Kein Schiff kann im New Forker Hasen die Löschung seiner Fracht bewirken, ehe es nicht m dem düsteren Zollhause, demU. S. Custom House", welches das ganze Straßen» gebiert zwischen William- und Wall-Strcet einnimmt, die Zoll- abfertigung besorgt hat. An der Südseite des Bowling Green, eines kleinen Platzes am Battery Park das ist die äußerste Spitze von Manhattan   wird schon seit fünf Jahren an einem neuen Zoll» gebäude, einem großartigen Prachtbau, gebaut, das einen Kosten- aufwand von zwölf Millionen Mark erfordert. Es dürften aber wohl noch Jahre bis zur Vollendung dieses stolzen Baues vergehen. Der ganze Warenverkehr der Vereinigten Staaten   wie des Auslandes fließt also hier in der unteren Stadt, in den Speditions- und Lager- Häusern, den Reedereien, den Geschäftsgebäuden der Versicherungs- gesellschaften zusammen, und ebenso bedeutend ist der Geldverkehr. In manchen dieser Straßen reiht sich Bank an Bank, viele, die in der ganzen Welt ebenso gut bekannt sind wie in New Jork selbst. Das Hauptschatzamt der Vereinigten Staaten   befindet sich nicht in New Uork, sondern in Washington  . Aber das Unterschatzamt von New?)ork hat eine weit größere Bedeutung für den Handel als dieTreasurh" zu Washington   und ist natürlich auch wichtiger als dieSub-Trcasurics" in Philadelphia   und St. Francisco. Die jähr- lichen Einnahmen und Ausgaben dieses Unterschatzamtcs belaufen sich auf etwa 12 000 Millionen Mark, und zwei Drittel aller Geld- gcschäste werden durch das New Yorker Schatzamt bewirkt. Dieses Unterschatzamt in der Wall-Street  , zu welchem man auf einer hohen, die ganze Front einnehmenden Freitreppe emporsteigt, sieht mit seinen klassischen Säulen wie ein griechischer Tempel aus. Mitten vor dem Eingang«, auf dem Plateau der Freitreppe, steht die über- lebensgroße Statue Washingtons, der genau an der Stelle, wo sich gegenwärtig sein Denkmal erhebt, den Eid auf die Verfassung ge- schworen hat. Dem Schatzamt gegenüber liegt ein ziemlich unscheinbares Ge- bäude, das Drexel-Building, ein nur fünfstöckiger Bau von be- scheidener Architektur, das aber noch bor zwanzig Jahren zu den schönsten Bauwerken New Uorks gehört haben mag. Es ist das Bankgebäude I. Pierpont Morgans. Ich hatte Gelegenheit, auch die Kassenräume und Bureaus dieses Hauses zu sehen; die ganze Einrichtung ist recht einfach. Durch einen Beamten dieser Bank er- langte ich Zutritt zurNew Uork Stock Exchange", der Effekten- börse, die auch als diegroße Börse" bezeichnet wird. Die Mit» glieder derStock Exchange  " sprechen von der weiter oben am Broadway gelegenenConsolidated Exchange", derkleinen Börse", ziemlich verächtlich Mitglied derStock Exchange  " können nur die reichsten Leute werden; um diese Mitgliedschaft zu erwerben, hat man die Kleinigkeit von 320 000 M. zu erlegen. DieStock Exchange  " berührt auch die berühmte Wall-Street; die prächtige, säulengeschmückte Hauptfront liegt an der Broad- Street.Dieses neue Börscngebäude, das erst vor kurzer Zeit vollendet wurde, ist eins der schönsten Gebäude der Welt. Die Front ist ganz aus weißem Marmor von Georgia   gebildet, und auch die Börsenhalle, das Treppenhaus, die Ballone, die Korridore find ganz und gar mit dem edelsten Marmor ausgekleidet, lieber den beiden Unter- geschossen, die den Sockel bilden, erheben sich sechs kolossale korinthische Säulen und zwei Eckpilastrr, welche den Architrav und ein mächtige?, die ganze Frontbreite einnehncendes Giebelfeld mit herrlicher Skulptur tragen. Die Besucher, die nur gegen Karten Zutritt er- halten, werden ausschließlich zur Galerie zugelassen, während der» Floor" nur die Börsenmitglieder betreten dürfen. Es ist ein sehr merkwürdiges Schauspiel, von der Marmorgalerie aus dem Treiben in dieser 140 Fuß langen, 80 Fuß hohen Börscnhvlle zuzuschmicn, in welcher der ganze Fußboden mit Papierschnitzeln bedeckt ist, und ernste und übermütige Menschen wild durcheinander ibirbeln. Einige überschreien mutwillig im Chore dos laute Getöse, treiben allerlei geistlose Scherze und amüsieren sich dabei göttlich. An der einen Seite der Hall« erblickt man. riesige Tafeln, die in einige hundert weiße Felder geteilt sind. Auf diesen Feldern sieht man in Wechsel- vollem Spiele Zahlen erscheinen und wieder verschwinden, um bald darauf durch neu« ersetzt zu werden. Diese Zahlen werden von den Börsenleuten mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, für den Besucher aber sprechen sie eine vollkommen rätselhafte Sprache, da jede An- deutung fehlt, auf welche Börsenpapiere sie sich beziehen. Die New DorkerStock Exchange  " beherrscht den Effektenhandel und die Effektcnspekulation. der Vereinigten Staaten  , und börsenfähig wird ein Papier überhaupt erst dann, wenn es an derStock Exchange  " zur Kursnotierung zugelassen wird. Die Lage der Börse und einer Reihe mächtiger Bankhäuser an der Wall-Street   hat dazu geführt, den Namen dieser Straße zum Gesamttitel aller großen Finanz- Häuser und Finanzoperationen New Uorks und der Vereinigten Staaten   zu macheu. Man spricht von der Wall-Street, meint aber das ganze Viertel der Banken und Börsen in New Uork, und die einen reden mit heiligem Schauer von dieser Großmacht des Geldes, während die anderen unter Wall-Street die verhaßte Geldherrschast verstehen. Eine der interessantesten Erscheinungen des New Aorker Börsen» Viertels bildet eine Börse ohne Heim, die sogenannteTurb Stock". Das Wort bedeutet so viel wieRinnsteinbörse". Der Volksmund hat die vielen wild durcheinander schreienden Mackler, die sich all-