täglich in der Broad-Street sammeln, so getauft, weil sie alle ihre Abschlüsse hier im dichtesten Stratzengewühl am Rande des Bürger- steiges, also am Rinnstein, machen. Wahrscheinlich wollte der Volkswitz auch andeuten, daß sie mitten auf dem Bürgersteige nicht ghen bleiben können, denn das gestattet der Verkehr nicht. Die eschäste dieser kleinen Makler sind aber nicht zu unterschätzen; auch hier kommen täglich Tausende von Abschlüssen zustande, und obwohl niemand eine Vereinbarung schwarz aus weiss nach Hause tragen kann, nimmt doch der Verkehr im allgemeinen seinen ordentlichen Verlauf. Handelsgegenständc der Curbstone-Börse bilden alle Papiere, die an der Börse nicht notiert werden. Neben der Effektenbörse gibt es noch eine ganze Reihe bemerkens- iverter Börsen in New Aork. Besonders hervorzuheben ist die Produktenbörse, ein grosser Backsteinbau mit quadratischem Turm. Neun Fahrstühle sind ständig in Bewegung, um die Besucher in den 200 Fuss hohen Turm zu befördern, von welchem man eine herrliche Aussicht geniesst. Auch das lebhafte Treiben in dem grossen Saale der Produktenbörse, der eine Länge von 220 und eine Breite von 104 Fuss besitzt, ist interessant. Die Sitze der Produktenbörse sind stets besetzt und sehr begehrt. Wird durch den Tod eines Mitgliedes oder durch den Bankerott eines Hauses ein Sitz frei, so wird er dem Meistbietenden überlassen. Es werden bis zu 2V 000 M für solch einen Sitz in der Produktenbörse gezahlt. Ferner sind zu erwähnen: die Baumwollbörse, die einen sehr gefälligen Bau in der Beaver- Street besitzt, die Kaffeebörse, die Metallbörse und vielleicht manche ander«, die der Uneingeweiht« leicht übersehen kann. Es würde zu weit führen, auch die hundert grossen Banken aufzuzählen, die zum Teil Paläste von wahrhast märchenhafter Pracht besitzen. Wahr- scheinlich ist nirgends in der Welt der Marmor in so üppiger und verschwenderischer Wesse für Bauzwecke verwendet worden, wie in diesen Gebäuden des New Dorker Bankviertels. Doch die drei gröhten Banken des Finanzdistrikts mutz ich hervorheben-, es sind dies: die „Erste Nationalbank", die namentlich die Morganschen Finanz- iuteressen vertritt, die„City-Nationalbank" für die Interessen der „Standard Oil Company" und die„Nationalbank of Commerce" unter Leitung von Valentin P. Snhder. Eines der grossartigsten und zugleich wichtigsten Institute für das Bankwesen, wie überhaupt das Geschäftsleben New Uorks bildet das„Bank Clearing Housc" in der Cedar-Strasse, ein völlig in Maniwr ausgeführter und mit verschwenderischer Pracht geschmückter Rcncussance-Palast, der nur zwei Stockwerke besitzt, aber dennoch eine nVKos tena ufivan d von fünf Millionen Mark erforderte. Das Erdgesqotz wird von einer grossen Bank, die Räume des Ober- gcschosstVunter einer grossen Oberlichtkuppel von der„Clearing House Association" eingenommen. Es ist dies ein« Bereinigung aller grossen Banken und Trustgescllschcssten, deren Hauptaufgabe in der Besorgung der Abrechnungen, die sich aus dem Scheckverkehr ergeben, besteht. Die Vertreter der Banken, die hier eine Mitgliedschaft be- fitzen, erscheinen um 10 Uhr mit den Schecks und Wertpapieren, welche sie auszuwechseln oder umzutauschen wünschen; aber auch andere Banken, die nicht Mitglieder sind, lassen ihre Schecks und Wertpapiere durch das„Clearing House" gehen, und zwar durch Verbindung mit einem Mitgliede(einer Bank) der„Clearing House-Gefellschaft". Vor 1% Uhr mittags muss der Ausgleich erfolgt sein. Banken, für die sich ein Ueberschuss aus dem Geschäft ergibt, erhalten darauf den ihnen zukommenden Betrag ausgehändigt. Ein grosser, sinnreicher Apparat besorgt das ungeheuere Abrechnungsgeschäst der Banken, und jeder einzelnen Bank, also etwa 70 Instituten, wird an jedem Morgen die Bilanz vom vorhergehenden Tage zugestellt. Unter- bilanzen sind sofort zu decken, und wenn eine Unterbilanz bedenklich aussieht, so kann das Komitee, das nahezu unumschränkte Macht- befugniffe besitzt, sofort einschreiten. Das Komitee hat die Berech- tigung, jederzeit die Bücher der Mitgliedsbanken zu prüfen, und wenn es erkennt, dass die betreffend« Bank der Sicherheit entbehrt oder das.Kapital in unerlaubter Weise angegriffen hat, so kann es die Schliessung derselben beantragen. Andererseits wird auch häufig durch Beschluh des„Clearing House-Committees" eine Bank vor dem Zusammenbruche bewahrt, damit nicht eine Panik entstehe und unter dem plötzlichen Zusammenbruch ander« Finanzinstihtte mit in den Abgrund grrsssen werden. Das Gebäude enthält auch grosse, mit sinnreichen Kassenschränken ausgestattete Tresors, denn die Banken lassen in der Regel Geldbeträge, die nicht in Papieren ausgezahlt werden, in diesem Hause zurück. Unter anderem bergen die Gewölbe etlva 400 Millionen Mark in Gold. So rauschend das Treiben im Bank- und Börsenviertel während der Geschäftsstmrden ist, ebenso ruhig ist es hier am Abende, wenn die Börsenleute, die Makler, die Clerks ziun hauslichen Herde zurück- gekehrt sind. Dann ist es unheimlich still in diesem Quartier, denn hier gibt es keine Vergnügungsstätten, keine Theater, koine Kneipen.»— Fred Hood. Kleines feuilleton. hl. Pygmäen in London . Aus London wird berichtet; Als die sechs Zwerge aus dem zentralafrikanischen Urwald, die Oberst Harrison mitgebracht hatte, in den Albert-Docks landeten, und der Sudan -Araber. der sie begleitete, ihnen sagte, dass daS Reiseziel erreicht sei, äusserten sie auf merkwürdige Art ihr Entzücken. Die vier Männer warfen bis auf ihren Lendenschurz alle Kleidungs- stücke ab und vollführten einen Freudentanz. Magani, der kleine, bärtige, plattnasige Häuptling der Liliputaner, schwang über seinem Haupte eine Fliegenklatsche, die er nicht aus den Händen lietz. Um ihn im Kreise drehten sich seine Gefährten. Ihre Glieder glänzten im Sonnenschein wie Ebenholz. Abseits von ihnen tanzten die Frauen. Dazu sangen fie in unharmonischen gutturalen Tönen; der Tanz wurde schneller und wilder sie schienen ihre Umgebung und ihr Publikum völlig vergessen z»- haben. Erst als die Er- schöpfung fie übermannte, hörte die Musik auf. Sie setzten sich nun wieder auf- Deck und starrten mit glasigen Augen in den Raum. Maroupi, die ältere Frau, ist erschreckend hätzlich. Sie ist 36 bis 40 Jahre alt, sieht aber doppelt so alt auS. Die Schönheit der Gesellschaft ist die jüngere Gorrigi, die jung und glänzend schwarz ist. Beide ttagen wollene Kleidung, kurze Tuchröcke und dunkel- blaue Ulster und gehen mit blossem Kopf und blossen Füssen und Beinen. Sehr stolz find sie auf die buntgefärbten Perlenketten, die fie um den Hals ttagen, und auf die Perlenringe an den Fingern. Maroupi war zuerst sehr seettank, und ihre Gefährten sagten:„Der Tod ist auf ihr"; nur schwer gelang es dem Araber, die Leute davon zurückzuhalten, fie zu töten. Die Männer ttagen wollene Unterkleidung, einen dunklen Lendenschurz, dunkle Ueberröcke und einen roten Fez. Nur Magani war von der Größe Londons nicht erstaunt, er ging mit ruhiger Würde auf und ab, paffte eine lange Zigarre und schwang die Fliegenklappe wie ein Dandy seinen Stock. Alkohol kennen fie nicht, und ein mit Kölnischem Wasser be- gossenes Taschentuch erschreckte sie. Beim Anblick eines Schafes und einer Katze zeigten sie sich höchst beunruhigt. An Schmucksachen haben sie eine grosse Freuoe, aber Magani warf verächtlich ein Goldstück fort, nachdem er es genau geprüft hatte. Am Freitag tanzten dann die Pygmäen vor einem geladenen Publikum im Hippodrom. Die vier Männer standen in einem kleinen Kreise auf einer braunen Matte und blickten auf den Boden. Dann schlug Magani mit dem rechten Fuss auf die Matte, ein anderer begann zu summen, und hierauf tanzten alle vier im Kreise, warfen die Köpfe und stampften auf den Boden; der Tanz war so zeremoniell wie ein Menuett. Nachher brachte Oberst Harrison ihnen ihre kleinen Bogen, die fusslangen Pfeile und die schlanken Speere. Sie steckten in ihr wolliges Haar Weitzdornzweige, die aus dem Walde gebracht waren, ergriffen ihre Waffen und tanzten einen Kriegstanz, während einer von ihnen auf einem Tamtam sah und mit den Händen vergnügt ein zweites schlug. DaS Anthropologische Institut in London hat eine Kommission ernannt, die die bisher noch nie von europäischen Gelehrten gesehenen Zwerge untersuchen und messen soll.— — Die Verlegung einer Stadt. Ein überaus seltenes Ereignis vollzieht sich, wie der„Tägl. Rundsch." geschrieben wird, zurzeit im Ssemiretschje- Gebiet im russischen Turan. Die 6000 Köpfe zählende Einwohnerschaft der Stadt L e p s i n s k hat beschlossen, sich mit Hab und Gut auf die Wanderschaft zu begeben und andere Jagdgrände aufzusuchen. Die Stadt besteht seit 22 Jahren. Bei ihrer Gründung wurden ihr vom Generalgouverneur 840 Hektar Land angewiesen, die zu den Ländereien des Ssemiretschje-Kosakenheeres ge- hören und durch das Flützchen Bulenka bewässert werden. In jüngster Zeit sind nun Streitigkeiten zwischen den Kosaken und der Stadtverwaltung Lepsinsk entstanden: der Stadt wurde das Nutzungsrecht an der Bulenka abgesprochen und sie sollte ohne Waffer bleiben. Schliesslich wurde nachgewiesen, daß die Stadt überhaupt keine Daseinsberechti- gung habe, da der Generalgouverneur kein Recht besass, dem Kosaken- Heere gehöriges Land zur Gründung der Stadt herzugeben. Darum soll nun eine grosse Auswanderung stattfinden, die den wenigsten Einwohnern schwer fällt. Denn die Boden- und Wetter- Verhältnisse sind ungünstig, der einst reiche Wald ist ver- nichtet, die Weide ist schlecht. Dagegen sind die 86 Kilometer nord- westlich gelegenen Kirgisenländereieir, wo die Lepsinka in die Terek - tinka mündet, ein verlockendes, ftuchtbares Hügelland mit guten Weiden. Dorthin soll die Stadt verlegt werden. Da sie fast nur aus Holzhäusern besteht, ist die Ueberfiedelung weniger schwierig. Nur die Kaufleute, die die besten Wohnhäuser und grössere Waren- lager haben, find Gegner des Wandertriebes, während die Land- Wirtschaft treibende Bevölkerung entschlossen an die Ueberfiedelung gegangen ist. So ist man denn beim Abbruch, und noch ehe der Sommer scheidet, wird der grosse Umzug bewerkstelligt sein.— -— o— Zur Lebensweise des Mutterkorn«. Wegen seiner giftigen Eigenschaften ist das Mutterkorn bekannter denn irgend eine' andere Beimengung deS Getteides. Es ist bekanntlich em Pilz, der auf den Aehren vom Getreide lebt, und zwar ist da« Mutterkorn, dieses harte, längliche Gebilde, der überwinternde Dauergewebskörper— die Botaniker sagen: das Sklerottum— eines Schlauchpilzes. DaS Mutterkorn entwickelt im Frühjahr Fruchtschläuche, die mit Sporen erfüllt sind. Diese werden ausgeschleudert, keimen und gelangen, durch den Wind getrieben, an die Narben von Grasblüten. In diese dringen sie ein und leben nun parasttisch auf ihnen. Nach einiger Zeit entwickeln sie nun selbst Fortpflanzungszellen, so- (genannte Conidien, und zu gleicher Zeit scheiden sie einen üssen Saft ab. der von den Landwitten Honigtau genannt wird. Die süsse klebrige Flüssigkeit ist nichts anderes als ein AnlockungS- mittel für die Insekten, die, indem sie von dem Honig naschen, sich zugleich mit Conidien bekleben und diese nun bei ihrem Umher- streifen auf andere Pflanzen übettragen. Gelangen die Conidien auf diese Weise an die Narben von GraSblüten, so haben ste wieder den richttgen Boden gefunden, auf dem sie gedeihen körn---!-.
Ausgabe
22 (7.6.1905) 109
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