Straße, die so lange so still gewesen, begann von eitel Jugend zu schwärmen. Endlich kam der Knabe, auf den er gewartet. Ein sehr umständliches Abschiednehmen von einem Kameraden zuvor: ein gnädiger Gruß über die Gasse hinüber, ehe er auf den Harrenden zukam, der ihn mit innigem Vergnügen aus der Entfernung betrachtet hatte. Er war doch ein hübscher Junge; flachsblond, zierlich und dennoch kräftig: nur mit sehr lebendigen braunen Spitzbubenaugen, die immer rundum gingen und nicht ein noch so kleines Weilchen ruhig waren. Und angezogen war er doch, als wär' er eines Oberingenieurs und nicht eines armen Dieners Kind. Und wie ihm nur alles zu Gesicht stand I Der Winterrock war freilich ganz neu; und das frische Knabengesicht sah unter der braunen Pelzmütze so hoffnungsvoll und unternehmend in die WeltI Die beiden gingen eine Weile schweigend nebeneinander: nur manchmal, kosend, strich der Diener dem Knaben über's Gesicht. Endlich: „Du darfst Dir heute zu Mittag was Gutes wünschen, Gregor. Die Professoren sind recht zufrieden mit Dir." „Recht? Ich möcht' wissen, mit wem sie's besser sein können. Du hättest Dir den Weg sparen können." Noch klang die Betonung des Slawen vor: aber schon versuchte sich der Junge in der weicheren, wienerischen Mundart. „Ja," der Alte fiel in Kümmernis,„aber Deine ganze Klasse taugt nicht viel, sagt der Herr Klassenvorstand." „Dafür kann ich doch nichts," entgegnete der Junge. „Ja— aber Du mußt noch braver sein, Gregor. Denk' Dir nur, wenn ich hätte das Glück und Du könntest vielleicht gar einmal wirklich Professor werden." Er war ganz Andacht und Verwunderung über eine solche Möglichkeit. „Na— die werden auch einmal Buben gewesen sein," lachte Gregor und ließ seine munteren und beweglichen Augen schweifen. Denn es war ein heller und blanker Wintertag, an dem die Welt aussieht, als wär' in ihr ein großes Scheuerfest gehalten worden und nun funkelt alles vor Reinlichkeit. Der Schnee flirrte und die Sonne war hell; und ein klingender Frost war, und die Wagen knirschten, wenn sie die Straße durchfuhren. Dazu Aussicht auf ein gutes Zeugnis, auf famose Eisbahn, auf ein gutes Mittagessen. Er schlenkerte mit seinem Bücherriemen vor innerer Vergnüglichkeit und rief manchmal einem Kameraden einen Gruß zu, aber wie einer, der weiß, es ist eine Auszeichnung, mit wem er verkehrt, und es wird auch so aufgenommen. Immer ward herzlich gedankt. Der Alte freute sich sehr darüber. Denn ihm war das ein Beweis, daß sein Gregor was galt, und daß man ihm zugetan war. Und so gingen sie, im letzten Grund zwei glückliche Menschen, heim durch den flockenstiebenden und hellen Wintertag. Hinter dem Franz Josefs-Bahnhof steht noch ein letztes, Wunderliches Stückchen Wien . Mit engen Gäßchen, auf denen die Kinder unbekümmert spielen können, als wären sie in einem Dorf und nicht in einer Großstadt. Noch hat sich die Straßenbahn hier nicht gewaltsam den Pfad gebrochen. Nur ein Streifwagen fährt manchmal mit schwerem Gerumpel durch, zwischen den Häuschen, die niedrig und bunt getüncht sind. Die Kirche in ihrer Mitte ragt wirk- lich beherrschend auf über diese schmalen und verworrenen Gäßchen, ist der Mittelpunkt dieses Dörfchens, das kleine Leute bewohnen, ganz für sich, unter anderen Gewohnheiten und Bedingungen des Lebens, als die sonst in der großen Stadt gültig sind. _ Am Donaukanal , auf den Anlagen um den Bahnhof, ver- gnügt sich die Jugend, die sich als Stamm für sich, mit einer eigenen, sehr reschen Mundar�empfindet. Noch werden hier zahlreiche Singvögel gehaltm und zwitschern an linden Abenden vergnüglich durcheinander. Hier gibt es noch große Tore. Ziemliche Hofräume ,in denen das Geflügel sein Wesen treibt; Treppen, ausgetreten und Hühnerleitern ähnlich, die zu dem ersten und einzigen Stockwerk führen. Beschränkte Wohnräume. Schon erhebt sich da und dort am Rande dieses Eilandes eine Mietskaserne und blickt hoffärtig nieder in das Ge- wimmel unter ihr. Aber noch bestehen billige Mieten: noch ein sehr freundschaftliches Verhältnis zwischen Mietern und Hausherren, die noch mit der ganzen Seele an ihrem Besitz hängen und alles daran wenden, das Häuschen, das den Er» trag der eigenen oder der Lebensarbeit der Ahnen darstellt, so schmuck und heimelig zu erhalten, wie nur möglich. Hier wohnte Gregor Gazda der Aeltere seit vielen Jahren tmb genoß allgemeine Achtung als ein stiller Mann, der nur für sich lebte, von keinem was wollte, niemandem etwas schuldete und ganz ohne Dünkel war: der gerne Freundlich» leiten, ja nach seinen Mitteln Dienste erwies. Hierher hatte er seinen Jungen gebracht aus dem mährischen Dorf, das ihrer. beider Heimat gewesen. Er hatte keine näheren Freunde, kaum einen Umgang, nicht einmal unter seinen engeren Landsleuten, deren einige gleichen Dienst mit ihm taten und etwas von seiner Ver« gangenheit und ihren Schicksalen wußten. Er selbst kam nie darauf zu sprechen. Er hatte vordem schon selten genug mit» getan, wenn sie ins Wirtshaus oder sonst in eine Unterhaltung gingen. Nachdem er sich den kleinen Gregor geholt, schloß er sich noch mehr ab. Er sparte jeden Heller und man schalt ihn dennoch nicht geizig, obwohl man bestimmt wußte, daß er einiges Vermögen habe. An seine Wohnung wendete er manches. Die war sehr sauber und gut eingerichtet und ihm fiel immer wieder was ein, damit man sie behaglicher und seinem Buben, der nun einmal leider Gottes keine Mutter mehr hatte, wohnlicher machen konnte. Er hielt sich eine Menge Blumen und gärtnerte sehr geschickt und sinnreich herum. Es waren ganz weibliche Talente in ihm: und man bespöttelte ihn dennoch nicht zu sehr. Ganz glücklich war er, wenn er, den Dienst hinter sich, zu Hause saß, dem Jungen gegenüber, der so ernst und wiederum so leicht lernte, daß es eine Freude war. Er horchte andächtig und mit der Miene völligen Verstehens den fremden Worten oder den rätselhaften Formeln, die sich der einprägte, und nickte sehr beifällig mit dem Kopf, wenn er endlich seine Lektion herunterschnurrte, daß es nur so eine Lust war. Denn er hatte ein famoses Gedächtnis, der Bursche, und das Lernen machte ihm wirklichen Spaß. An freien Tagen ging er gerne mit dem Buben spazieren. Er versuchte alsdann ein gebildetes Gespräch mit ihm zu führen. Das bekam ihm übel genug: denn der Knabe merkte bald, wie unzulänglich die Kenntnisse seines Begleiters seien, war stolz auf seine junge Schülerweisheit und duldete keinerlei Ab- weichung davon. Etwas Rechthaberisches hatte er immer an sich, das Musterschüler oftmals so unleidlich macht. Es ver- letzte den anderen häufig und er ließ es sich dennoch gefallen, ja nachmals, wenn er sich die Dinge zurechtlegte, so hatte er seine Freude damit, wie treffend und bestimmt der Junge zu antworten wußte. Tausendmal demütigte er sich in seinen Gedanken vor ihm, der ihm tief verpflichtet hätte sein müssen, und oft und oft schien es ihm genug, daß sich der kleine Gregor seine große Liebe eben nur gefallen ließ, (Fortsetzung folgt.) lNachdruck verboten.) LUtticher Weltausstellung. IV. Im Boberie-Viertel, dem aus dem Jardin d'klcclimatation und dem Parc Public bestehenden parkartigen Teil des LlusstellungS» aeländes, haben inmitten prächtiger alter Baumgruppen die franzosi» tchen Kolonien und die kleineren Balkanftaaten ihre malerischen Pavillons errichtet. Wie in der Abteilung Japans deutlich das Be- streben dieses Staates hervortritt, sich zur Geltung zu bringen und zu zeigen, daß er nicht nur auf den mandschurischen Schlachtfeldern, sondern auch auf kunstgewerblichem Gebiet Bedeutende« zu leisten vermag, so zeigt fich auch in der Ausstellung der kleinen Balkan » Völker der Ehrgeiz, etwas aus sich zu machen. Serbien hat stch einen recht ansehnlichen Pavillon mit Vorhalle erbaut, über dessen Slil ich mir nicht ganz klar bin? einige Teile er» innern an byzantinische und altvenetianische Formen, aber dazu patzt nicht der von den oberen Ecken abgeschrägte viereckige Turmaufsatz; allem Anschein nach hat der Architett seine Motive verschiedenen alten Bauten des serbischen Landes entnommen und aus ihnen einen neuen Stil zu komponieren versucht. Ausgestellt hat Serbien fast ausschlictzlich Bodenprodukte, die Industrie ist noch zu weit zurück, als datz sie sich mit jener der westeuropäischen Nationen im öffent« lichen Wettstreit messen könnte, nur die Teppichknüpfcrei leistet An» erkennenSwerteS und Teppiche find denn auch fast der einzige eigent» liche Jndustrieartikel, den wir in der kleinen Halle finden; sonst ent« hält sie nur eine Sammlung von Gold-, Silber-, Kupfer- und Zink» erzen, Proben von Getreide und Hülsenstüchten, verschiedenen Holz» arten, Ledersorten, Weinen und von Tabakfabrikaten der serbischen Tabaksregie. Zur Ergänzung hat man, um die Ausstellung reicher erscheinen zu lasien, in einem Nebenraum eine.ethnographische Abteilung" hinzugefügt und zu diesem Zwecke das Belgrader Museum geplündert. Dre werwolle Sammlung enthält vomehmlich alte Kostüme, Goldstickereien, Schmucksachen und Waffen.
Ausgabe
22 (5.7.1905) 128
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