MnterhaltMgsblatt des Horwärts Nr. 137. Dienstag, den 18. Juli. 1905 (Nachdruck verboten.) 3] Gobseck. Von Honorö Balzac. Deutsch von Alfred Brieger. Die Schubladen der Kommode standen offen: Blumen, Diamanten, Handschuhe, ein Bukett und ein Gürtel lagen hier und da verstreut. Der Duft eines zarten Parfüms schlug mir entgegen. Alles war Luxus und Unordnung, Schönheit ohne Harmonie. Aber schon kauerte das Elend für sie und ihren Anbeter in den Ecken: es streckte den Kopf hervor und zeigte ihr seine scharfen Zähne. Die übermüdeten, schlaffen Züge der Gräfin waren ein Abbild dieses Zimmers, in dem die Ueberreste eines Festes wirr durcheinander lagen. Diese planlos umherliegenden kostbaren Nichtigkeiten taten mir leid. In ihrer wohl abgemessenen Zusammenstellung und Gesamt- heit waren sie noch am Abend vorher imstande gewesen, den süßesten Rausch zu entfachen. Diese Spuren einer von Neue gehetzten Liebe, dies Abbild eines Daseins voller Ver- schwendung, Luxus, Taumel und Lärm— alles das deutete auf eine Tantalusarbeit, die sich fruchtlos abmühte, den flüchtigen, entweichenden Genuß zurückzuhalten. Leichte, röt- liche Flecke, die sich auf den Zügen der jungen Frau hervor- wagten, zeugten von der Zartheit ihrer Haut. Jetzt aber waren die Linien ihres Gesichtes sozusagen vergröbert und die braunen Ringe, die sich unter ihren Augen abzeichneten, schienen deutlicher hervorzutreten, als es wohl sonst der Fall war. Bei allem aber verfügte ihr eigenstes Naturell noch immer über eine ausreichende Energie, um diese Anzeichen eines tollen, wüsten Lebens keinen Einfluß auf ihre Schönheit gewinnen zu lassen. Ihre Augen glänzten und flackerten unstät. Wie jene Herodias, die wir dem Pinsel Leonarda da Vincis verdanken— ich habe auch mit Bildern gehandelt—, war auch sie ein herrliches Bild von Leben und Kraft. Nichts Kleinliches, Gewöhnliches war in dm Konturen ihrer Formen und ihrer Züge: sie war geschaffen, um Liebe zu erwecken, und sie schien mir noch stärker zu sein wie die Liebe. Sie ge- fiel mir über alle Maßen. Es war schon lange her, daß mein Herz schneller geschlagen. Ich war bereits bezahlt. Noch he�te würde ich tausend Frank für eine Empfindung geben, die mir die Zeiten meiner Jugend zurückruft! „Würden Sie die Güte haben, mit der Zahlung noch etwas zu warten, mein Herr?" sagte sie, indem sie mir einen Stuhl anwies. „Bis morgen mittag, Frau Gräfin, " entgegnete ich, in- dem ich den Wechsel wieder zusammenfaltete, den ich ihr vor- gezeigt hatte.„Ich habe nur bis zu diesem Zeitpunkt das Recht des Protestes." Mir selbst aber sagte ich: Zahle für Deinen Luxus, zahle für Deinen Namen, zahle für Dein Glück und für die Vor- rechte, die Du genießt. Um sich den Besitz ihrer Güter zu sichern, haben die Reichen Gerichte erfunden und Richter und die Guillotine— jenes Licht, an dem die Unwissenden sich die Flügel verbrennen. Für Dich aber, die Du auf Seide und unter Seide schläfst, gibt es eine Reue. Es gibt ein Zähneklappern, das sich unter einem freundlichen Lächeln verbirgt. Es gibt für Dich in Deiner Einbildungskraft gierige Raubtierzähne, die sich in Dein zuckendes Herz eingraben. „Einen Protest? Denken Sie denn wirklich daran?" rief sie, indem sie mir ihre Augen zuwandte.„Könnten Sie so wenig Rücksicht auf mich nehmen?" „Wenn der König mein Schuldner wäre, Frau Gräfin , und er mich nicht bezahlte, so würde ich ihn noch eher als jeden anderen Schuldner dem Gerichte übergeben." In diesem Augeirblick hörten wir leise an die Tür pochen. „Ich bin nicht zu sprechm," sagte die junge Frau in be- fehlerischem Tone. „Anastasie, ich möchte Dich dennoch gern einen Augenblick sehen." „Nicht einen Augenblick, mein Lieber," entgegnete sie mit etwas weniger harter Stimme, aber doch ohne jegliche Zärt- lichkeit. „Was machst Du denn für Scherze? Du sprichst doch mit jemandem," entgegnete eintretend ein Mann, der niemand anders als der Graf selbst sein konnte. Seine Gattin warf mir einen Blick zu. Ich verstand sie. In diesem Moment wurde sie zu meiner Sklavin. Es gab eine Zeit, mein lieber Freund, wo ich vielleicht dumm genug gewesen wäre, den Wechsel nicht zu Protest gehen zu lassen. Im Jahre 1763 habe ich in Pondichery einer Frau gegenüber Gnade geübt, und sie hat mich dann dafür prächtig hineingelegt. Ich hatte es verdient. Wozu setzte ich Vertrauen in sie? „Was wünscht dieser Herr?" fragte der Graf. Ich sah die Frau von Kopf bis zu den Füßen erschauern. Die weiche, sammetartige Haut ihres Nackens wurde rauh. Sie bekam— wie man sich wohl etwas gewöhnlicher aus- drückt— eine Gänsehaut. Ich aber— ich lachte, ohne daß eine einzige meiner Muskeln sich bewegte. „Der Herr ist einer meiner Lieferanten," sagte sie. Der Graf wandte mir den Rücken zu und ich zog den Wechsel zur Hälfte aus meiner Tasche. Bei dieser Gebärde der Unerbittlichkeit stürzte die junge Frau auf mich zu und hielt mir einen Diamanten hin. „Da nehmen Sie," flüsterte sie,„und gehen Sie schnell." Wir tauschten die beiden Wertgegenstände aus und ich entfernte mich mit einem respekvollen Gruße. Der Diamant war gut seine zwölf- bis vierzehnhundert Frank für mich wert. Auf dem Hofe fand ich einen Schwärm vfcn Bediensteten, die ihre Livreen ausbürsteten, ihre Stiefel blank putzten und prächtige Equipagen reinigten. „Dies ist es also," sagte ich mir,„was diese Leute in meine Arme treibt. Das ist es, was sie dazu bringt, unter dem Scheine des Anstandes und der Ehrlichkeit Millionen zu stehlen und ihr Vaterland zu verraten. Um nicht seine feinen Schuhs zu bestauben, und nicht zu Fuß zu gehen, muß der Grand- seigneur oder jener, der ihm nachzuäffen sucht, von Zeit zu Zeit sich im Schmutze baden. In diesem Augenblick öffnete sich das Straßentor und ließ ein Kabriolett einfahren, in dem der junge Mann saß, der mir den Wechsel überbracht hatte. Ich ging auf ihn zu. „Sie verzeihen, mein Herr," redete ich ihn an, als er seinem Wagen entstiegen war. JJch gebe Ihnen hier zwei- hundert Frank, die ich der Frau Gräfin zuzustellen bitte. Sie werden ferner die Güte haben, sie darauf aufmerksam zu machen, daß ich das Pfand, welches sie mir heute morgen eingehändigt hat, zu ihrer Verfügung halte." Er nahm die zweihundert Frank und ließ etwas wie ein spöttisches Lächeln über seine Lippen gleiten. Das hieß offenbar soviel wie:„Haha, sie hat also doch gezahlt. Desto besser." In diesem Gesicht las ich die ganze Zukunft der Gräfin. Dieser hübsche, blonde Herr, dieser kalte, seelenlose Spieler würde sich ruinieren, die Gräfin, den Gatten, die Kinder an den Bettelstab bringen, ihre Mitgift aufzehren und mehr Unheil in den Salons der reichen Leute anrichten, als eine Batterie Haubitzen in einem Regiment Soldaten. Ich begab mich jetzt in die Rue Montmartre zu Fräulein Jenny. Ich mußte eine recht steile, schmale Treppe hinaufsteigen. Auf dem fünften Stockwerk wurde ich in eine kleine Wohnung eingelassen, die aus zwei Zimmern bestand und in der alles sauber und freundlich war wie ein neugeprägter Dukaten. Nicht die geringste Spur von Staub konnte ich auf den Möbeln des ersten Zimmers entdecken, in dem mich Made- moiselle Jenny empfing, eine junge, einfach gekleidete, echte Pariserin: elegantes, frisches Köpfchen, einnehmendes Wesen, wohlgekämmtes, kastanienbraunes Haar, das in zwei Wellen über die Schläfen zurückgestrichen war, große, blaue Augen, die so klar und durchsichtig leuchteten wie Kristall. Das Tageslicht, das durch die kleinen Vorhänge fiel, warf einen sanften Schimmer auf das bescheidene Gesichtchen. Eine große Anzahl von Leinenstücken, die um sie her auf den verschiedenen Möbeln aufgeschichtet lagen, erklärte mir ihren Beruf: sie war Wäschenäherin. Wie sie so dastand, erschien sie mir wie der Genius der Einsamkeit. Als ich ihr jetzt den Wechsel vorwies, bemerkte ich, daß ich sie am Vormittage nicht zu Hause getroffen hätte. „Das Geld lag doch aber bei der Portiersfra»," meinte sie. Ich tat so, als ob ich ihre Worte überhört hätte.
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22 (18.7.1905) 137
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