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„ Sie geben offenbar schon sehr früh aus, nicht wahr, mein Fräulein?" Ich bin nur selten außer dem Hause. Wenn man aber des Nachts arbeitet, so muß man wohl öfter ein Bad nehmen." Ich betrachtete sie aufmerksam. Mit einem einzigen Blick hatte ich alles erraten. Das war ein Mädchen, das irgend ein Unglück zu schwerer Arbeit verurteilte; sie stammte ficherlich aus einer ehrenwerten Pächterfamilie, denn sie hatte einige jener besonderen Sommersprossen, die den Leuten vom Lande eigen find. Ein umbeschreiblicher, bezwingender Hauch von Reinheit und Tugend atmete aus ihren Zügen. Mir war es, als zöge ich den Duft einer unbekannten Atmosphäre von Unberührtheit und Schlichtheit ein, die meine Lungen erfrischte. Armes Kind! Sie glaubte noch an etwas! Ueber ihrem einfachen Bett aus gestrichenem Holz hing ein Kruzifir, das zwei geweihte Zweige schmückten. Mir war beinahe ganz gerührt zumute. Ich empfand den Wunsch, ihr Geld anzubieten, und zwar zu höchstens zwölf Prozent, um ihr auf diese Weise den Ankauf irgend eines guten, fleinen Geschäftes zu ermöglichen. Aber ich sagte mir, daß sie vielleicht einen fleinen Freund ihr eigen nannte, der sich dann mit ihrer Unterschrift Geld berschaffen und das arme Geschöpf auf diese Weise aussaugen Könnte.
Ich wappnete mich mit Gleichgültigkeit gegen meine edlen Freigebigkeitsgedanken und entfernte mich, da ich bereits mehrfach Gelegenheit zu der Beobachtung gehabt hatte, daß die Wohltaten dem Wohltäter zwar nicht sonderlich schädlich sind, dafür aber den Beschenkten zuweilen umbringen können. Als wir ins Zimmer traten, dachte ich gerade daran, daß Jenny Malvaut eines Tages eine gute, fleine Frau werden würde; ich stellte ihr reines, einsames Leben dem der Gräfin gegenüber, die, dem Dämon des Wechsels schon verfallen, im Abgrund der Laster und Untaten versinken muß.
Was meinen Sie nun?" fragte er nach einer Pause des Stillschweigens, während der ich ihn noch einmal eingehend musterte. Glauben Sie, daß es nichts bedeutet, wenn man so in die verborgensten Falten des menschlichen Herzens eindringt, wenn man an dem Leben der anderen teilnimmt, es fich zu eigen macht und in seiner Nacktheit vor sich sieht. Das ist ein immerwährend wechselndes Schauspiel: grauen erregende Wunden, todbringende Leiden der Seele, Liebesabenteuer, das Elend, das dem Seinewasser zustrebt, die Freuden und Genüsse des Jünglings, die aufs Schafatt führen, das grinsende Lachen der Verzweiflung, der Taumel pomp
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einander gemengt werden. Man wird nie dazu gelangen, die Seele von den Sinnen zu trennen, den Geist von der Materie. Das Gold ist die vergeistigte Form der modernen menschlichen Gesellschaft.
Und so vereinigen wir zwölf uns, von den gleichen Interessen zusammengeführt, an bestimmten Tagen der Woche im Café Thémis, nahe am Pont Neuf . Dort decken wir die Mysterien der Finanz auf. Keines Menschen Vermögen vermag uns zu täuschen. Wir besitzen die Geheimnisse aller Familien. Wir führen eine Art schwarzer Liste, auf der die wichtigsten Tatsachen über den allgemeinen Kredit, über Bank und Handel aufgezeichnet sind. Als Kajuistiker der Börse bilden wir eine Art geheimer Werkstatt, in der die scheinbar nebensächlichsten Handlungen aller Leute, die in irgend einer Form ein Vermögen befizen, analysiert und beurteilt werdenund wir sagen immer das Richtige voraus. Der eine beschäftigt sich mit dem gerichtlichen Material, der andere mit dem finanziellen, dieser mit dem behördlichen Teil, jener mit dem faufmännischen. Mein Bereich sind die Töchter aus guter Familie, die Künstler, die Leute der Gesellschaft, die Spieler furzum der bewegtefte und abwechselungsreichste menschliche Bestandteil von Paris . Uns erzählt ein jeder die Geheimnisse seines Nachbars . Enttäuschte Leidenschaft, betrogene Riebe und gekränkte Eitelkeit ist geschwätig. Das Laster, die Enttäuschung, die Nachsucht sind die besten Polizeispitel. Wie ich, so haben auch alle diese meine Freunde bereits alles genoffen. Sie haben sich übersättigt und sind soweit gelangt, die Macht und das Geld mur um der Macht und des Geldes wegen zu lieben. Hier in diesem Zimmer," fuhr er fort, indem er mit einer Armbewegung den Raum zu umfassen suchte, hier wird der leidenschaftlichste Liebhaber zahm, der anderswo über das harmloseste Wörtchen ergrimmt und gleich mit ge30genem Degen bei der Hand ist; hier ringt er flehend die Hände. Der stolzeste Großfaufmann, die in ihrer Schönheit eitelste Frau, der hochmütigste Offizier fie alle bitten hier mit Tränen der Wut oder des Schmerzes in den Augen. Hier erniedrigt sich der berühmteste Künstler und der Schriftsteller, dessen Namen der Nachwelt erhalten bleiben soll. Und hier," setzte er hinzu, indem er mit der Hand auf seine Stirn zeigte, hier steht eine Wage, in der alle Erbschaften, alle Wünsche und Begehrlichkeiten von ganz Paris abgewogen werden. ( Forts. folgt.)
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hafter Feste. Heute eine Tragödie: ein braver Familienbater, Naturwiffenfchaftliche Uebersicht.
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Von Curt Grottewig.
der sich mit Kohlendunst vergiftet, weil er seine Kinder nicht mehr ernähren fann. Morgen eine Komödie: ein junger Mann Das Atmen ist ein so energischer und leicht wahrnehmbarer will mir mit den Varianten der auf ihn passenden Neben- Lebensprozeß, daß ihm wohl von Anbeginn an die Menschen große umstände die Rolle des mildtätigen Gläubigers aufzwingen. Beachtung geschenkt haben. Selbstverständlich konnte man über die Sie haben von der Beredsamkeit der Volksbeglücker und Natur der Atmung nicht einmal den oberflächlichen Begriff beLebensprediger der Revolutionszeit wohl gehört. Ich habe oft tommen, solange man noch nicht die Zusammensetzung der Luft meine Zeit damit verloren, ihnen zuzuhören; sie haben wie fannte. Der Sauerstoff, der für die Atmung so bedeutjame Stoff, einmal einer gesagt hat mich wohl meine Meinung, aber wurde erst zu Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts, im Jahre nicht meine Handlungsweise ändern machen. Oh diese braven 1774, entbedt, und erst von dieser Zeit an fonnte man feststellen, Priester, Ihr Mirabeau und Vergniaud und wie sie sonst noch der Luftröhre ausgestoßen wird. Es wurde bald darauf auch die daß bei der Atmung Sauerstoff verschwindet und Kohlensäure aus heißen mögen, sind lauter Stotterer im Vergleich zu den Rede- Ausscheidung der Kohlensäure durch die Pflanzen erkannt, indes tünstlern, die zu mir fommen. Ein verliebtes Mädchen ist noch bis auf jüngere Zeit die Atmung der Pflanzen bielfach mit ein alter, ehrlicher Geschäftsmann am Rande des Ruins der Assimilation, der Aufnahme von Kohlensäure, beriwechselt eine Mutter, die den Fehltritt ihres Sohnes verbergen will worden. Noch in den heutigen populären Lehrbüchern kann man ein Künstler ohne Brotein Großer", der durch das Ab- häufig den Sak finden, daß die Pflanze am Tage Sauerstoff ausflauen allerhöchster Gunst infolge seines Mangels an Geld fcheide und Kohlensäure einatme, in der Nacht dagegen Kohlene der Früchte jahrelanger Mühen verlustig gehen sollalle fäure abgebe und Sauerstoff einatme. Beide Prozesse haben indes diese haben mich oft durch die Gewalt ihrer Worte erschandern nichts mit einander zu tun. Und nur der lettere iſt eine wirkliche Atmung, eine Aufnahme von Sauerstoff. Gegenwärtig steht es fest, daß die Atmung bei Pflanzen wie bei Tieren genau diefelbe ist. Die Pflanze stirbt ebenso wie das Tier, wenn sie in Luft gebracht wird, die keinen Sauerstoff enthält.
machen.
Diese grandiosen Schauspieler deklamieren für mich allein und ohne mich täuschen zu können. Mein Blick ist wie das Auge Gottes ich gehe in die Herzen, mir fann nichts verborgen bleiben. Dem, der die Schlinge des Geldjackes aufund zuzieht, wird nichts auf dieser Welt verweigert. Ich bin reich genug, um das Gewissen derer zu erkaufen, die die Ministerien in Bewegung halten, vom Bureauschreiber an bis hinauf zu ihren Maitressen. Ist das vielleicht keine Macht? Ich kann die schönsten Frauen haben und die zärtlichsten Liebfofungen. Ist das kein Vergnügen? Und machen Macht und Vergnügen nicht die Stufenleiter der ganzen sozialen Ordnung aus?
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Nun ist aber die Pflanze nicht ganz so empfindlich wie die höheren Tiere gegen einen zeitweiligen Sauerstoffmangel. Wohl hören sofort alle Lebensfunktionen im pflanzlichen Organismus auf, wenn es an diesem wichtigen Gas gebricht. Aber die Pflanze erstickt doch nicht sofort, und dann: sie kann, oder wenigstens verschiedene Pflanzen können den Baustoffen ihres eigenen Körpers Sauerstoff entziehen. Sie atmen denn auch Stohlensäure aus, ohne daß fie mit der Luft irgendwie in Verbindung stünden. Diese Art Atmung, wobei die Pflanze die Gase ihrem eigenen Körpermaterial entzieht, nennt man intramolekulare Atmung.
Um die Natur dieses intramolekularen Gasumsabes fennen zu Wir sind unserer ein Dukend in Paris , wir find alle un- schon früher und auch neuerdings wiedet angestellt hat. Dieser lernen, sind die Experimente besonders lehrreich, die Emil Godlewski bekannte, verschwiegene Könige, die Herren und Meister über Forscher hielt Erbsen- und Lupinensamen unter Luftabschluß in Euer Schidfal. Das Leben ist nur eine Maschine, der das einer vergärbaren Zuckerlösung. Sie enttidelten darin eine sehr Geld die Schnelligkeit ihrer Rotation anweist. Denn Sie große Menge von Kohlensäure, ein Beweis dafür, daß in den müssen wisser- Ursache und Wirkung werden immer durch- Samen eine lebhafte intramolekulare Atmung vor sich ging. Da