Nnterhaltungsbtatt des Horwärts Nr. 152. Dienstag, den 8. August. 1905 .....----—" � (Nachdruck verboten.) 71 Die keilige Kummernus. Novelle von Richard Huldschiner. Als die Kellnerin aufsah, ging ein Ausdruck des Un- behagens über ihre Züge, und sie machte sich von Pern- Werth los. Dann kamen ein paar junge Leute, die sich zu ihm setzten. Sie redeten von dem Stand der Weinberge, von den Aus- sichten der Apfelernte, dann von einer Ersteigung des Winkler- turmes, die der eine von ihnen allein durchgeführt, von einer Radtour ins Nonstal , die sie gemeinsam machen wollten, von der Heirat des Kaufmanns Reckelberg, und zuletzt von den Weibern. Die Kellnerin ging ab und zu, brachte Bier und Zigarren und stand einen Augenblick bei dem Einsamen am Ofentisch, der erregt auf sie einredete. Aber sie zuckte nur spöttisch mit den Achseln und lachte. Da warf er ein Geldstück auf den Tisch und ging. „Moidl, wer ist denn der Kerl?" fragte Pernwerth das Mädchen. „Ein Mechaniker aus Gries. Er arbeitet in der Gas- fabrik." „Was will er denn von Dir?" „Ich gefall' ihm halt..." „Sein Geschmack ist nicht schlecht." „Ja... aber ich habe keine Zeit für den tückischen Kerl. Ordentlich Angst macht er einem... Puhl"-- Als Pernwerth allein nach Hause ging und den dunklen Viehmarkt qucrte, sprang plötzlich ein Mensch hinter einem Baume hervor und versetzte ihm, ehe er noch Zeit gefunden hatte, sich zur Wehr zu setzen, einen Messerstich in den Rücken. Pernwerth verspürte einen jähen Schmerz, dann niachte er einen Schritt auf den Angreifer zu, um ihn zu fassen. Aber dann wurde es ihm plötzlich dunkel vor den Augen. Er griff mit den Händen um sich und stürzte zusammen. Der andere floh.-, 4. Toni Mulser gähnte, daß man alle ihre Zähne, die Zunge und weit in den Rachen hineinsehen konnte. „Ich bin so müde," sagte sie dann gleichsam ent- schuldigend. „Möcht' wissen, wann Du nicht müde bist," höhnte ihre Nachbarin Ida. „Ja, Ihr habt gut Lachen. Wenn Ihr so weit wohnen solltet wie ich, möcht' ich sehen, ob Ihr nicht auch ins Gähnen kommt. Uff... uhu... u... u.. Aber jetzt hielt sie die Hand vor. Die anderen lachten. Barbara, die Rothaarige mit den vielen Sommersprossen, sang leise vor sich hin: „Zu Mantua in Ba.,, anden Der treue Hofer lag.,." Es war ihr Lieblingslied: sie kannte übrigens kein an- Leres. Sie sang es jeden Tag, zu Hause, auf dem Wege zur Arbeitsstube und auf dem Heimwege, sie sang es auch während der Arbeitszeit, wenn die Kathl grad' nicht im Zimmer war. „Hör' doch auf mit dem Geschrei!" sagte Ida ärgerlich. „Du machst einem ja ganz blöd' damit," „Brauchst ja nicht zuzuhören,,« Zu Mantua in Ba.-. anden" Berta Taler holte sich aus ihrem Körbchen ein großes Stück Schwarzbrot, in das sie mit kräftigen Zähnen hineinbiß. Dabei schaute sie neugierig auf die Photographie, die Toni ihr hinübergereicht hatte. Ida niachte sich mit ihren Haaren zu schaffen, und Grete! Bremer stritt sich mit einer sehr lang aufgeschossenen Bleich- süchtigen über den neuen Katecheten der Mädchenschule. Sie hatte behauptet, daß er blaue Augen habe, während die Geg- nerin meinte, sie sähen nur blau aus, wären aber in Wirk- lichkeit ganz grünlich. Schließlich wetteten sie um ein kleines Bildchen der Mutter Gottes von Weißenstein, das beim Kauf- mann Prantl unter den Lauben für dreißig Kreuzer zu haben war. Es hatte einen schwarzen Rahmen mit schmaler Gold- leiste und galt als etwas ganz Besonderes. Martha Breineßl, die Aelteste der Nähmädchen, ein leises, dürftiges Geschöpf, das immer nach grüner Seife roch, sollte die Entscheidung im Streite treffen. Sie übernahm es, unter irgend einem Vorwand mit ihrem Schwesterchen zum Katecheten hinzu- gehen. Es arbeitete keine mehr. Die Kathl war nebenan, da konnte man sich schon etwas Zeit gönnen. Die Unterhaltung, die erst leise geführt worden war, wurde immer lauter und sorgloser. Einzelne von den Mädchen hatten sich von ihren Stühlen erhoben und standen in Gruppen beieinander. Uff! wie tat das wohl, sich wieder einmal recken zu können! Nur Pepi war bei ihrer Arbeit geblieben. Sie hatte ein feines Spitzenhemd in den Händen. Den Kopf hatte sie gesenkt. Aber sie regte sich nicht. Von all dem Lärmen, das um sie brandete und langsam wachsend anstieg wie eine Meeresflut, hörte sie nichts. Ihre Gedanken waren weit, weit fort von allen diesen Dingen. Sie dachte immer nur an ihre Liebe, an die heißen Küsse, die sie gestern im Hausgang mit dem Geliebten ausgetauscht, sie fragte sich, was er jetzt in diesem Augenblick wohl tun möge, ob er an sie denke, wie sie an ihn, und während sie sich mit ihm beschäftigte, stieg ihre Sehnsucht und ihre Ungeduld. Ach! Es war erst zehn Uhr und erst am Nachmittag konnte sie ihn erwarten. Aber viel» leicht kam er um zwölf, wenn sie zum Essen nach Hause ging.- Möglich war es schon. Er konnte sich wohl freimachen. Ach Gott, der liebe, liebe Mensch! Ihre Hände sanken herunter, in ihre Augen kam jener Ausdruck flackernder Glut, den er so gern hatte. Und um den Mund spielte ein leises, träumerisches Lächeln. Plötzlich ging die Tür vom Nebenzimmer, Kathl steckte den Kopf herein und verbat sich das Lärmen. Dann rief sie Pepi zu sich. Sie sollte einen Gang machen, zur Stickerin Helene: die Hemden, an denen sie die ganze letzte Woche gearbeitet hatte, sollten ein schönes Monogramm bekommen. Pepi sollte ihr alles auseinandersetzen. Die Dame, die in einem mit gebliimten Stoff überzogenen Sessel am Fenster gesessen hatte, stand auf und redete auf Pepi ein. Also alles genau wie auf den übrigen Stücken der Aus- steuer. Und die siebenzackige Krone nicht vergessen. Und die Helena möge ja acht geben, daß nichts beschmutzt würde. Und bis nächsten Montag. Aber ja mit den Spitzen recht vor- sichtig sein.... Pepi hörte nur mit halbem Ohr zu. Wie gleichgültig war ihr das alles! Aber im Grunde freute sie sich, den Gang machen zu können. Das war doch besser als noch stundenlang mit den anderen dazusitzen und immer nur eine lange Naht nach der andern nähen zu müssen. Und vielleicht— sah sie ihn unterwegs«.-. Die Helene wohnte in einer Stube der Franziskanergasse, hoch oben im vierten Stock. Ein richtiges Armeleutehaus, mit ausgetretenen Treppenstufen, langen, dunklen Gängen und niedrigen Türen. Aber wenn man oben war, dann wurde es auf einmal hell und freundlich. Und wenn man in das Stllbchen der Stickerin eintrat, war man im Himmel. Blumentöpfe standen vor dem Fenster des breiten Erkers, Vogelgezwitscher hallte von den Wänden und vor jedem Heiligenbildchen brannte eine Ampel oder steckte eine bunte künstliche Blume. Und im Erker saß die Helene selber, eine freundliche Person mit großem Gesicht und hoher Stirn mit ein paar Blatternarben drauf und einem dünnen, graublonden Scheitel darüber. Sie trug eine Hornbrille, durch die ein paar freund« liche Augen schauten: um den großen Mund mit den starken Zähnen spielte stets ein bescheidenes Lächeln. Sie war blaß wie alle die arbeitsamen Frauen, deren Hauptnahrung ein kümmerlicher Kaffee bildet und die, statt in freien Stunden spazieren zu gehen, lieber in irgend einer dämmerigen Kapelle knieen. Aber wenn es in der Pfarre oder bei den Franziskanern oder in Gries eine Prozession gab, dann ging die Helene, um den Hals eine Medaille am weißen Band, stolz und fröhlich in den Reiyen der Jungfrauen einher und sang und zeigte all» ihre Zähne und war glücklich.
Ausgabe
22 (8.8.1905) 152
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