tfn5 bis Mädchen erzählten sich, wenn die Kathl geradeNicht aufpaßte oder nebenan eine Kundin bediente, die Tages-Neuigkeiten:Daß die Liefe! Bachhuber nun endlich geheiratet hatte,Und daß ihr Mann vier Jahre jünger sei als sie, und daß dieTochter des Advokaten Prellinger ins Kloster gehen wolle,und daß der Kapuzinerpater Aloisius gar so erbaulich predigte.Und schließlich, daß der Mensch, der den Pernwerth gestochenhabe, in Rovereto gefaßt worden sei.„Der kann sich gratulieren," sagte Ida Langebner undschneuzte sich umständlich.„Ob sie so einen hängen?"„Bist Du gescheit? Er hat ihn doch nicht tot gemacht!"„Aber eingesperrt wird er lebenslang— wie der Tour-ville, der seine Frau einen Berg hinuntergeschmissen hat."„Wer ist das, der Tourville?"„Wer ist das, der Tourville?"„Meine Mutter hat's mir erzählt; vor fünfzehnJahren ist's gewesen..."Aber Pepi mühte sich, nicht auf das Geschwätz aufzu-Passen; sie zählte im füllen bis hundert und fing dann wiedervon vorne an, sagte sich alle Gedichte her, die sie noch von derSchule wußte; aber zwischendurch ertappte sie sich immerwieder dabei, wie sie auf all die dummen Dinge horchte, die dieanderen vorbrachten. Mein Gott! sie konnte sich doch die Ohrennicht verstopfen! Sie sprach kein Wort und kämpfte die aufsteigenden Tränen tapfer hinunter.„In Roncegno soll er jetzt sein," sagte Toni Mulser, dieimmer alles wußte,„er soll's mit einer Gräfin haben."„Das ist schon eine alte Geschichte. Wie er krank lag undaufgegeben war, hat sie ihn dreimal besucht. Seine Fraukonnt's nicht mit ansehen, so taten sie. Sie ist aufgestandenund von seinem Bett weggegangen."„Ich bitt' Dich, die Frau Pernwerth... die ist das schongewöhnt von ihrem Mann."„Sie soll aber verwandt mit ihm sein, die Gräfin."„Das wird eine schöne Verwandtschaft sein!"„Ich weiß es von meinem Bruder."„Sie soll sehr schön sein, Hab' ich mir sagen lassen."«Wenn ich nur wüßte, auf wen er immer am Obstplatzgelauert hat."Toni lachte belustigt:„Das weißt Du nicht?.,, Ichkönnt's Dir schon sagen!"„Ich auch," sagte Elsa und drehte sich zu Pepi herum,»,gelt, Pepi, wir wissen's genau."Da lachten sie alle wie närrisch. Aber Pepi wurdeglühend rot und hob den Kopf zu einer Entgegnung. Siewollte ihnen ihren ganzen Zorn und ihren Schmerz entrüstetan den Kopf werfen, sie wollte ihnen endlich sagen, wie sehrsie sie haßte, sie alle, die mit plumpen Anspielungen und grau-samen Scherzen ein gequältes Herz zu verwunden vermochten,statt ihm tröstlich aufzuhelfen, sie wollte ihnen zeigen, wie hochsie über ihnen allen stand... aber ihr Blick traf auf lachendeGesichter, auf schlecht verhehlte Schadenfreude und grausamenIlebermut, und da kam noch einmal die Verzweiflung über sieund warf sie in den Staub. Schweres Schluchzen erschütterteihren Körper, sie schlug die Hände vor das Antlitz und wankte,unfähig, sich zu beherrschen oder auch nur ein Wort heraus-zubringen, unter dem Gelächter der Mädchen zur Tür hinaus.Draußen im Treppenflur lehute sie sich an die dumpfigeWand und ließ ihren Tränen freien Lauf.—Als sie sich endlich gefaßt hatte und mit roten Augen undgeschwollenen Lidern das Zimmer wieder betrat, waren dieMädchen still geworden und nähten fleißig. Alle Köpfe warenheuchlerisch über die Arbeit gebeugt. Die Kathl saß streng undspitzig an ihrem Platz am Fenster. Gretel Kvemer las vor.Und es war schon wieder die Geschichte von der heiligenKummernus, die sich bei diesen kichernden, leichtsinnigenMädchen merkwürdigerweise einer besonderen Beliebtheit er-freute.„— aber alles entsetzte sich, und das Volk verlangte, daßman sie als eine böse Zauberin in den Kerker werfe, damit siegehindert wäre, Unheil anzurichten. Und der Richter fragtesie, wer sie in diesen Zustand versetzt. Darauf gestand sie ihm,sie habe ihren Bräutigam, der am Kreuze gestorben, darumgebeten, daß er alle Schönheit: von ihr nehme und sie ihm ähn-lich machen möchte..."Gretel benetzte Daumen und Zeigefinger an d'en Lippenttüd wandte geräuschvoll das Blatt, um weiterzulesen. AberflSepi vermochte der Erzählung nicht zu folgen. Was gingensie diese Dinge an! Das war alles so lange her, daß manNichts dabei fühlen konnte. Ach Gott! sie hatte ja wohl genugmit sich selber zu tun. Und war der Schmerz um vergangeneIGlück und die Aussicht auf ein graues, erbärmliches Daseinnicht auch Martyrium genug? Hinter ihr lag eine Viertel-stunde der Seligkeit, vor ihr aber nichts; sie würde ihre Arbetttun, schlecht und recht, an Vergangenes denken, niemand Vor-würfe machen, sie würde die Dinge nehmen, wie sie waren«und schweigen...Ach Gott! Wie langsam gingen die Stunden! Jetztwar es fünf Uhr! Und erst um sieben konnte sie nach Hause.Die Sonne sank; man merkte, daß es in den Herbst ging,Der Himmel über den Dächern war so blau und durchsichtig,wie er es schon lange nicht gewesen war. Die Dächer lagenin greller Beleuchtung da. Ach, die schönen Tage! Wie gutmußte es sein, in ruhigen Tälern fern der Stadt an einemrauschenden Wasser zu sitzen! Oder am Waldrand, wenndrüben über den Bergen die Sonne sank!Und Pepi starrte sehnsüchtig in die Ferne, folgte demFlug der Tauben, deren Gefieder im Sonnenglanze blitzte,und ihre Sehnsucht stieg. Aber mit ihr kam ein Grauen undeine Angst vor allen Dingen und Menschen und eine Angstvor sich selber. Ach, wer sich opfern könnte, wie die Heiligenes vermocht hätten, und wer Seligkeit dabei empfände wie sie!Für das, was man liebte, zu sterben, war wohl nicht schwer;aber zurückgestoßen sein, verhöhnt und leichthin preisgegeben,das mußte ein jedes Menschenherz vernichten... wer nichtschön war und nicht reich und nicht mehr jung, der trug seinMartyrium, so gut wie die Heiligen, von denen die Bücherberichten...„---- und am nämlichen Tage, als es in den Abend,ging, errichteten sie ein großes Kreuz auf einer Anhöhe imWesten und kreuzigten sie. Sie aber lobte Gott und predigtevom Kreuze herab die drei Tage, die ihr noch zu leben ver-gönnt waren, so eindringlich, daß viele Tausende und selbstder Richter zum christlichen Glauben bekehrt wurden. ZurSiihnung seines Verbrechens erbaute er dann eine Kirche zuEhren der hl. Scholastika und stellte darin von Gold das Bildder Gekreuzigten aus, und es geschahen viele Wunder..."Aber Pepi wußte, es gab keine Wunder. Hätte nicht einWunder geschehen müssen, da sie so heiß geliebt? Hatte ihreSeele nicht so gewaltig um den Geliebten gekämpft, daß er derIhre werden mußte, wenn es Wunder gab? Aber er hattesich abgewandt und war lachend seinen Weg gegangen, dasie in Tränen zusammenbrach. Nun war er fern und würdenimmer zu ihr zurückkehren, und sie, sie hing am Kreuze.Aber sie predigte nicht, nein, sie predigte nicht. Ihre Seelewar finster und klagte an, und Empörung war in ihr. Dennsie wußte nun auch, daß nicht jene heilig war, die sie dieheilige Kummernus nannten: sie selber war es, sie selber;denn sie hatte übermenschliches Leid und konnte nimmerglauben. In ihr war alles zerbrochen und finster und unduldsam.Und die Worte der Legende, die wie aus fernen, ödenTiefen an ihr Ohr klangen, wandelten sich in ihrer Seele zuFlüchen und Verwünschungen und zu einer heißen Klage, dieniemals enden würde...Sie saß bewegungslos da, die Mundwinkel sanken ihrherunter, daß sie einen alten Zug im Gesicht bekam, ihreAugen waren trüb und erloschen. In ihrem grauen, kümmer-lichen Kleid sah sie plötzlich wie eine Nonne aus, die mitWeinen und Kasteien und gedankenlosem Hersagen alter Ge-bete ihre Jugend verscheucht und vernichtet hat. Die Händemit der harten, zerarbeiteten Haut ragten rot und häßlichaus den verblichenen Aermeln heraus.So saß sie da, unscheinbar und vergrämt. Um sie herumraschelte die frische Leinwand in den Händen der Arbeitenden,die Nähmaschine surrte und Gretel Kremer las mit ihrerblechernen Stimme, unharmonisch und eintönig, Wort fürWort, Satz für Satz, alte verstaubte Heiligenlegcnden, ausdenen heiße Anklage und unmenschliches Leid aufftieg, Dinge,die nichts gemein haben dürfen mit dem Leben der Erden-kinder...Draußen aber, hoch über der Stadt, im blauen Himmel,läutete eine tiefe Glocke mit langsamen, lang verhallendenSchlägen....,Das Kreuz auf der Lichthaube des Pergeltschen Hauseslag schon im Schatten.