Sittzkge mit nichtjüdischem Geld begründete Jargonblatt. Und das kam so. Die Gründer waren die Eigentümer des„Leeds Expreß", eines jetzt eingegangenen Abendblattes, das im liberalen Interesse tätig war. Um der Zeitung unter den in den Leylands angc- siedelten Juden Eingang zu verschaffen, beschlossen die Gründer deS „Leeds Expreß", einen Teil der Auflage in„Diddish" zu drucken. Nach den Leylands ziehen nämlich die meisten aus dem Ausland kommenden Juden, die in Hull landen. Da keiner der am„Leeds Expreß" beschäftigten Setzer und Drucker mit dem„Diddish" bekannt war, beschloß man, einige jüdische Setzer einzustellen und es diesen zu überlassen, die Aufsätze in ihre Mundart zu über» tragen— ein Ausweg, den noch jetzt der Leiter eines im Ostcnde verbreiteten im Jargon gedruckten Blattes einschlägt. Er schreibt seine Aufsätze in seiner Muttersprache und überläßt es seinen Setzern, sie ins„Diddish" zu übersetzen. In LeedS bewährte sich dieser Ausweg nicht. Man mußte, um dem Blatt auf die Beine zu helfen, jüdische Zeitungsschreiber anstellen. Aber auch in dieser Gestalt fand es keinen Absatz. Schließlich wurde es an Kapita- listen verkauft, die das Blatt nach London verpflanzten und ihm als„Jewish Expreß" im Judenviertel Londons als erstes und bisher einziges Jargon-Tagesblatt Eingang verschafften.— Das „Jewish Telephon e", ein anderes in„Diddish" verfaßtes Blatt, ist aus dem vor 3S Jahren in Mainz für die russischen Juden ge- schriebcnen„Lebanon " entstanden. Dieses Blatt, das mit der Bricfpost nach Rußland gesandt wurde, dann eine Zeitlang eingestellt und hierauf in London herausgegeben wurde, ist als„Telephone " neu erstanden und ist eine nichtpolitische Zeitung. Seine größte Leistung siel in die Zeit des Drchfus-Prozesses, als der Verkauf der Jargonblätter im Ostende seinen Höhepunkt erreichte. Der„Tele- phone" war imstande, den Ausgang des Prozesses seinen Lesern mitzuteilen, bevor die anderen Zeitungen, sogar bevor einige Abend- blätter davon Kenntnis hatten.— Ebensalls ein Jargonblatt, aber mit einer ausgeprägten politischen Tendenz, ist der ,.W o r k e r s' F r i e n d", das Organ der jüdisch sprechenden anarchistischen Gruppe in London und Paris . Das Blatt besteht seit mehreren Jahren, ist aber oft eingestellt worden. Sein Leiter ist ein deutscher Nicht- jude und die Mitarbeiter sind zumeist jüdische Schneider und Schuster.— In russischer Sprache gedruckt ist das revolutio- näre, von einem Ausschuß jüdischer Arbeiter aus Rußland und Polen geleitete Blatt mit dem Titel„Neueste Nachrichten". Es kommt in London zum Verkauf und enthält oft wichtige Nach» richten einen Tag oder zwei vor der Londoner„Times". Das Blatt ist auch fürs Ausland bestimmt und gibt den in London lebenden russischen Juden Mitteilungen über ihre Angehörigen in Nußland und Polen.— o. Der Priester im Sprichwort. Ein italienisches Parteiblatt veröffentlicht eine Blütenlese von italienischen Sprichwörtern über die Geistlichen. Einige mögen hier Platz finden. Die Siziliancr sagen: Der Pfarrer hat einen langen Arm zum Nehmen und einen kurzen zum Geben. Die Tos- k a n c r: Priester, Mönche, Nonnen und Hühner sind nie satt. Ein genuesisches Sprichwort lautet: Vater Nimm ist in der Sakristei, Vater Gieb ist nirgends zu finden. Die P i e m o n- tesen: Wer tut, was der Priester sagt, kommt' in den Himmel, wer tut, was der Priester tut, fährt in die Hölle. — Wenn der Priester sagt: lasset uns beten, hat er schon 3 Lire im Sack, heißt es bei den Venezianern. In Verona sagt man: Von Pfaffenhaß, Mönchsdummheit und Nonnenklatsch— bewahre uns, o Herr! Am schärfsten und beißendsten ist ein Sprichwort der Mantuaner: Di« Priester kochen ihre Suppe mit den Flammen des Fegefeuers.— Geographisches. — D i e Natur der Kirgisen st eppe schildert A. S s o- k o w j e w in„Himmel und Erde". Eine erträgliche Reise ist dort nur auf den Post- und Administrationswegen möglich. Im Mai, vielleicht bereits im April, bedeckt infolge warmer Regenschauer die sonst vollkommen gleichförmige Ebene sich mit dem üppigsten Teppich enormer Mengen von Pflanzen, welche nur einer geringen Zahl von Arten angehören. Hauptgewächse sind Pfriemengräser, Schwingel, Wermut, Luzerne; namentlich nach den elfteren kann man Pfriemengrassteppen, Schwingelsteppen und Wermutsteppen unterscheiden. Baumbestand hat die Steppe nur wenig aufzuweisen, nur längs der Flüsse tritt Baumwuchs hervor. Eigentümlich sind der Gegend eine Esche, vier Pappeln und einige Weiden. Die Steppe selbst zeigt nur in dichten Haufen auftretende strauchähnliche Pflanzen. Alle sind krumm gewachsen, die Blätter sind stets grau oder silberhell, der Stamm durchgehends knotig. Wilde Säugetiere sind selten; am ehesten trifft man noch Hasen und Murmeltiere, im Süden wilde Pferde und die Saigaantilopc. Auch Kriechtiere wie Eidechsen und Schlangen treten selten in die Erscheinung, dagegen gibt es massenhaft Insekten und Vögel; spcrlingsartige und Lerchen erscheinen zahlreich, auch Stare, Schwalben, Meisen, Krähen, Elstern, Dohlen, Raben gibt es. Der Sperling selbst soll erst in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eingewandert sein. Natürlich ist die Zahl der Raubvögel dementsprechend. Im allgemeinen herrscht Wassermangel; besonders arm ist die kirgisische Steppe an fließenden Gewässern; kaum vier bis fünf Flüsse verdienen diesen Namen, alle anderen Rinnsale zeigen im Laufe des Jahres kein Süßwasser und trocknen nach dem Hochsommer zu aus. Aber es gibt andererseits wohl kaum ein Gebiet der Erde, welches eine solche Menge von Seen in sich birgt lvie die Kirgisensteppe. Was die atmosphärischen Verhältnisse anlangt, so beginnt nach dem Mairegen die Zeit deS trockenen, westsibirischcn Sommers, das Gras wird trocken und gelb, die Landschaft nimmt eine traurige, gelblich-graue Färbung an, Oede und Schweigen herrschen überall. Der Winter bringt eine Kälte bis zu— 20 Grad, und die Winde fegen Berge von Schnee zusammen. Die mittlere Jahrestemperatur beträgt etwa 2 bis 2� Grad Celsius. Die Temperaturunterschiede erreichen nicht selten 40 Grad! Die Niederschläge steigen bis zu etwa 230 Millimeter, von denen ungefähr 160 auf die Sommermonate entfallen, aber es gibt auch Orte, wo 122 Millimeter herauskamen und der Sommer nur 16 Millimeter erreichte. In der sogenannten Hungersteppe regnet es im Sommer überhaupt niemals.— Meteorologisches. — Eigentümliche Blitze. W. B n tz schreibt dem„Pro- metheus": Bei Gelegenheit des am 6. Juli morgens zwischen � 12'/, und l'/o Uhr über Jena sich entladenden Gewitters fiel mir die eigentümliche Erscheinungsform der von mir beobachteten Blitze auf. Wie cS bei einem sehr heftigen Gewitter häufig der Fall ist, leuch- teten die einzelnen Blitze verhältnismäßig lange, nach meiner Schätzung etwa 2 Sekunden, eine genauere Beobachtung war mir an- fänglich ivegen deS zu grellen Lichtes nicht möglich. Als die Heftigkeit etwas nachgelassen hatte, flammten die Blitze zwar noch im Zenith auf, anscheinend jedoch in sehr bedeutender Höhe, da der Donner erst nach mehreren Sekimden zu vernehmen war und auch schwach einsetzte, dann an Stärke zunahm. Diese Blitze leuchteten nicht in dem gewöhnlichen bläulich-weißen Lichte, sondern gelb oder rötlich, und zwar bestanden sie nicht nur aus einem Strahle, sondern aus .einem ganzen Bündel, das von einem Punkte auszustrahlen schien. Während aber sonst in den meisten Fällen der ganze Weg des elektrischen Funkens dem Auge gleichzeitig erscheint, war hier die Fortbewegung eine relativ langsame, so daß icki den Eindruck eines Funkensprühens hatte, außerdem hatte der Weg eine deutliche Wellenform und nicht das„zerknitterte" Aussehen einer elektrischen Entladung. Eine ähnliche Forin der Blitze beobachtete ich vor etwa zehn Jahren in Elbing , wobei ich ebenfalls den Eindruck hatte, daß von einem Punkte aus eine Garbe von Funken fortgeschleudert wurde. Ein subjektiver falscher Eindruck ist hier um so weniger wahrschein» lich, als ich mit mehreren Kollegen zusammen das in geringer Ent- fernung vorbeiziehende Gelvitter in aller Ruhe beobachtete und wir alle dasselbe sahen. Wenn mich meine Eriimernng nicht täuscht, war damals die Fortbewegung der Funken noch langsamer als bei dem zuletzt beobachteten Gewitter.— Notizen. —„Daniel I u n t unser neuer Roman, spielt im Elsaß , unweit Kalmar hart an der französischen Grenze, kurz nach dem deutsch -französischen Kriege.— — Der Schlväbische Schillervercin zählt gegenwärtig 380 Stifter und 2000 ordentliche Mitglieder. Die Handschriften- sammlung des Marbacher SchillermuseumS ist auf mehr als 18 000 Nummern augewachsen.— — Eine neue Koran -AuSgabe läßt die französische Re- gierung in Algier besorgen; auf eine wissenschaftliche Grundlage wird dabei besonderes Gewicht gelegt.— — Wie's gemacht wird Der„Kunstwart" zitiert aus dem Buche„Theaterrccht" von Dr. Kurt H e i n z m a n n die Stelle: „Der erste Direktor des Berliner Theaters in Berlin erkannte daS Bestehen einer offiziellen Claque in seinem Theater in eigenarttger Weise durch sogenannte„Rnfzettel" an, ohne daß man ihm daraus einen besonderen Vorwurf macheu kann, denn es handelt sich nicht um eine Spezialität gerade seiner Bühne. Die Rufzettel hatten etwa folgende Form: Erster Akt: Erster Hervorruf: Nuscha Butze, Anna Havcrland, Ludwig Bar nah, Ludwig Stahl. Zweiter Hervorruf: Butze, Haverland, B a r n a y. Dritter Hervorruf: Barnay."— Direktor deS Theaters war Ludwig Barnay . In einem Berliner Blatte stand unlängst folgendes Inserat:„Um Dramen zur Aufführung zu bringen, sucht anonym bleibender dramatischer Autor einen hervorragenden und einfluß- reichen Schauspieler als fachinännischen Mitarbeiter und Teil- haber. Gefl. Offerten usw. usw."— — Hermann Bahr hat zwei neue Stücke geschrieben: ein Schauspiel„Die Andere" und eine einaktige Komödie„Klub der Erlöser".— — Karl Schön herrS neues Schauspiel„Die Familie", gelangt im Herbst im Wiener Burgtheater zur Auf- führung.— — Die Stadtverwaltung von Stargard (Pommern) hat an verschiedenen von Malern bevorzugten Punkten der Umgebung kleine Unterkunftshütten errichten lassen, die den nach der Natur malenden 51 ün st lern bei plötzlichem Eintritte ungünstiger Witterung einen Unterschlupf und zugleich Raum zur Unterbringung ihrer Studien und Utensilien gewähren sollein— — Die größte Rnine Deutschlands , die bei Ruth- Weiler im Kreise St. Wendel gelegene, in ihrer Front etlva 360 Meter lange Burg Lichtenberg , soll restauriert werden. Staat, Provinz und Kreis haben sich zusammengetan und die Koste» über- nominen.— PerantvMtl. Redakteur: Paul Büttner , Berlin.— Druck und Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u.Vcrlagsanstalt Paul Singer LeCo., Berlin SW,
Ausgabe
22 (13.8.1905) 156
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