— 642—5em es die Magd hielt, und zog es zu sich herüber. Es ließes geschehen, nur ein Zittern lies durch seine Glieder, undseine Augen schienen noch einmal so groß und dunkel. KeinTon kam über seine Lippen.Schon führte er es mit sich, da stellte sich die alte Mamsellihm resolut in den Weg, den L6on noch auf den Armen.Mit ihrer schwachen, dürftigen Gestalt sperrte sie ihm denAusgang.„Wo wollt Ihr hin? Was habt Ihr im Sinn mit demKind? Sie hat's für mich getan? und wenn Ihr ihr ein Leidtut, dann geh' ich aus dem Haus. Floflo und ich."Einen Augenblick- sah er sie schweigend an. Da kamaus der Stube ein Wimmern, die schöne Cornslie tat, alsmüßte sie vergehen vor Schmerz.Ein verächtlicher Zug lief über sein Gesicht. Er schobdie alte Mamsell leichterhand beiseite.„Ihr seid Narren, Ihr und die Nelie," sagte er ruhigUnd zog Florence über die Schwelle.Als er die Treppe hinaufstieg, das Kind an der Hand,das stumm neben ihm herging, huschte das Nettele hinter ihmdrein, den kleinen Läon auf dem Arm. Er tat, als hörte er sienicht, und ging über den Gang, durch den ausgeräumtenTanzsaal in das kleine Eckstübchen, in dem er seine Schreibereimbesorgte und seine Kasse verwahrte.Ein violetter Schein lag in den Scheiben, lieber einemdünkelrot glühenden Wolkenschiff, das vom Hohnack hertrieb,schössen die letzten Sonnenstrahlen wie Raketen in die Höheund färbtm die Lämmerwölkchen rosenrot.Floflo verwandte keinen Blick von dem Himmelswuuder.Dort oben war das Mütterle, irgendwo dort oben ging eszwischen den bunten Schäflein einher. Und auf einmal braches in ein wildes, fassungsloses Weinen aus und klammertesich an die Hand, die es so fest im Griff hatte und legte dieBacke darauf und schluchzte zum Erbarmen.Daniel preßte ihr Handgelenk fester, aber seine Fingerübten jetzt trotzdem einen weicheren Druck aus. Das Nettelestand mitten im Zimmer, wiegte dm unruhig mit denAermchm umhersahrmden Säugling und suchte vergebensnach Worten. Es würgte und schluckte, Angst und Mitleid,Eifersucht und Zorn stritten in ihm, und das welke, spitze Ge-ficht verschwamm in dem weinroten Licht, das in einem breitenStrome durch das Zimmer floß.Da horchte es plötzlich hoch auf.„Also beißen tust Du die Nelie, Floflo, und wegen demNettele?" fragte Daniel mit leiser, unsicherer Stimme.Das Kind antwortete nicht. Er fühlte nur, daß es sichdichter an ihn schmiegte, als er sich auf den Lederstuhl setzte.Seit Wochm war es ihm aus dem Weg gegangen, das fielihm jetzt ein, und unwillkürlich zog er es ganz auf fein Knie.„Ja, wegen mir," erwiderte Nanette an seiner Statt underzählte, was geschehen war, wie sie in Streit gekommen seien,und die Amme die Hand gegm sie gehoben habe.„Langsam, und warum so giftig?" fragte Danielspöttisch.� Das Nettele zauderte, nahm das Kleine vom linken aufden rechten Arm und tat dann entschlossen einen Schritt aufihn zu.„Warum? Ihr fragt nicht umsonst, das weiß rch.Uber wenn Ihr meint, ich erzählt Euch jetzt jedes Wort, sotäuscht Ihr Euch. Ihr wollt es nur von mir hören, was Ihrschon lang gemerkt habt."„Ich? Was denn?"Nanette wurde immer heftiger und schluckte an ihremKorn.Am liebsten hätte sie ihm alles an den Kopf geworfen.Laß das � Mädchen ihm schöne Augen machte, so ein wälschesHuhn, das sich hatte karessieren lassen und ein lediges Kindhatte drüben in Katzental. O, sie hätte sich selbst prügelnmögen, weil sie das blanke Gesicht ins Haus gebracht hatte!Ein Frauenzimmer, so frisch wie ein warmer Laib Brot undmit Augen im Kopf wie feurige Kohlen! Aber die MutterLoriot war schuld an dem Engagement, die hatte ihr die Ammezugeführt. Und wer kann so'was denken! Ein Kind daheim,das noch nicht gezahnt hat, ein fremdes an der Brust undschwenkt schon wieder den Rock und streicht umher wie dieKätzin im Hornung!Das Nettele schoß wild im Zimmer auf und ab undschwenkte den Buben, aber kein Wort von all denen, die ihrauf dem Herzen brannten, kam über ihre Zunge.„Nein, nein, Daniel, ich verbrenn' mir den SchnabelVicht. Nbex das sag ich Euch, ich oder das välsche Huhn.Und wenn ich aus dem Haus muß, wo ich daheim bin, seit icheinen Strumpf verstechen kann, dann lüpft es unten in LaMotte einen Grabstein auf."Das Knäblein schrie, daß man ihm bis in den Leibsehen konnte, aber das Nettele schwenkte es, ohne weiter daraufzu achten, auf beiden Armen und schoß atemlos im Zimmerhin und her.Da stand Daniel langsam auf und' zog eine Lade ausdem Zylinderbureau.„Zwanzig Franken bekommt die Amme Lohn. Da liegensie. Wenn Ihr eine andere wißt, so laßt sie gehen. Abervon dem Grab redet Ihr mir keinen Schnaufer mehr. Mitdem bringt Ihr mich zu nichts."Er klappte die Frankentaler, einen nach dem anderen,hart auf den Tisch. Als er den letzten aufschlug, klirrte dieganze Tischplatte.„Monsieur Daniel," stammelte Nanette bestürzt und zu-gleich von einer Last befreit.Er wandte ihr den Rücken und trat ans Fenster. Siewollte noch etwas sagen, wußte aber nicht recht was, da riefFloflo auf einmal laut:„Gschwind, Nettele, geschwind, die Windel läuft aus."Das Nettele griff mit der Hand nach der Kehrseite seinesWickelkindchens, warf einen entsetzten Blick auf den weiß-gescheuerten Fußboden und rannte mit dem schreienden Babyaus der Stube.Floflo hinter ihr her, wichtig, mit noch nassen Backen,und als der Lson unten aufgewickelt auf der Kommode lagund die nackten, roten Beinchen an den Leib zog, lief dasMädchen wie ein kleines Weiblein mit Schwamm und Streu»mehl hin und her und sorgte sich um das Hülflose Geschöpf.„Du wirst einmal dem Läon seine beste Pflege," sagteNanette ihr zum Lobe, ehe sie es nach der Amme schickte.Da blieb es stehen, sah ernst zu ihr auf und antwortete:„Ja, gewiß werd ich das. Aber horch, Nettele, eineAmme wollen wir keine mehr. Ich bin dem L6on seineoder Du, Du darfst auch, wenn Du willst."3.An der Pfingstkilbe hallte das Haus von Musik undTanz.Die Fermen waren bezogen, das Vieh ging über dieBergweide, die Sonne las den funkelnden Tau aus dmGräsern, und der Abend spann täglich die Täler in jenenDust, der einen sonnigen Tag verheißt.Daniel Junt sah die Melker von allen Fermen rings-umher und das junge Volk aus dem Tal unter seinem Dache.Von Gerardmer war der Trompetertoni mit seinen Musikantenüber die neugezogene Grenze spaziert und blies sich die Kehletrocken, daß die Katherine und das Mariele, die Sommer-magd, ihm nicht genug Bier zuschleppen konnten. Und wenner nicht blies und nicht am Glas sog, erzählte er allerleiSchnurren.�Fortsetzung folgt.)Das LxchtUinhchen.Irgendwo in einem fernen, fremden Erdteil, vielleicht auch aufeinem anderen verloren im Universum kreisenden Stern, grenzenzwei Völker aneinander. Nur ein schmaler Bach, den man in stillerZeit durchwaten kann, scheidet die beiden Völker; eine Holzbrücke.schwank und morsch, führt hinüber.So eng die beiden Nachbarvölker gesellt sind, sie haben nichtsmiteinander gemein.Nur eine Million Seelen zählt das eine, in 50 Millionen entfaltet sich das andere Volk, aber an Land besitzt die eine Milliondas 50fache des Raumes, auf dem die 50 Millionen Hausen.In dem Volk der einen Million besitzt jeder eine weite Flächestuchtbaren Landes, jeder Paläste mit zahllosen Räumen, kunstvollenMöbeln und allerlei schwelgerischem Gerät. Indessen die Palästeverfallen— denn die Hände der Besitzer verstehen sich nicht aufMaurer-, Zimmerer-, Schlosser- und Malerarbeit. Die Möbel er-blinden und das Gerät rostet; denn ihre Arme reichen nicht aus,um auch nur den Staub von den tausend kostbaren Dingen zu ent-fernen. Nur ein Fenster halten sie noch sauber, um doch durch dieScheiben in die Sonne sehen zu können. Und die Felder sind dürroder überwuchert von Unkraut. Nur einige Handbreiten sind mitelendem Korn. Küchen- und Futtergewächsen bestanden. In denStallruinen stehen traurig ein paar Stück mageren Viehes, krankund schmutzig; wenn sie es schlachten wollen, probieren sie mühseligund grausam stumpfe, rostige und schartige Messer; denn wer