Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 166.

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Daniel Junt.

Sonntag, den 27. August.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Hermann Stegemann . Morgen fahr' ich nach La Motte," sagte Daniel am Samstagabend zu Nanette.

Und wann kommt Ihr von da heim, Daniel?" fragte sie. Einen Augenblick zauderte er mit der Antwort. Er hatte noch kein Wort verlauten lassen von Ziel und Zweck der Fahrt. Auch mit seiner Frau hatte er nie von seinen Plänen gesprochen. Das war seine Sach ganz allein. Aber jest lag ihm eine Erklärung auf der Zunge. Doch er zwang sie zurück, schämte sich der Schwäche und erwiderte:

Wenn's nachtet."

Das Nettele fragte nicht weiter.

Da bat Florence, die aufmerksam zugehört hatte: ,, Nimm mich mit, Vatterle."

Und als er dem Kind in die Augen sah, fam's wie ein abergläubischer Zwang über ihn. Vielleicht brachte ihm das

Maidle Glück.

,, Meinetwegen."

Mit starken Armen stieß Daniel am Sonntagmorgen den

Schlitten auf den Hof hinaus. Ein Huhn, das sich auf die Heubühne verirrt hatte, flatterte und schrie über ihm im Sparrenwerk, als er das Tor schloß. Plöblich flog es schwer fällig aus einer Luke im Dach auf den Hof herab, stäubte mit den roten Flügeln den gefrorenen Schnee auf und flüchtete vor der Peitsche Daniels auf die Straße hinaus und auf die Haus­schwelle. Hier blieb es stehen und gluckste triumphierend. ,, Nichts anders, als wär einem das rote Feuer von der Bühne gefallen," murmelte Daniel und schirrte den Joli an.

Die Sonne trat klar aus den Morgendünsten und über­strahlte die weißen Berge, da klingelte der Schlitten talab. Neben dem Daniel hockte Floflo, die Hände in einem mächtigen Muff, eine gestrickte, rote Kappe über die Ohren gezogen und die Augen voll glänzender Freude. An der großen Kehre, wo die Straße am Absturz hinlief, begegnete ihnen der Post­schlitten, der mit schwitzenden Gäulen zu Berg kroch.

" He, Herr Junt!"

Der Postillon framte in der Ledertasche, und als Daniel langsamer fuhr, warf er dem Kind zwei Briefe in den Schoß.

Der Joli fannte den Weg und trabte ohne Zügel. Daniel streifte die Fausthandschuhe ab und griff nach der Briefschaft. Einer trug die Aufschrift der Feuerassekuranz. Er riß ihn auf. Grosjean schrieb ihm, daß er die Repräsentanz für das obere Elsaß niederlege und als Generalagent nach Altfirch übersiedele. Es war ein offizielles Schreiben, von Grosjean nur die Unterschrift und darunter stand von seiner Hand:

" Das übrige werden Sie von der Direktion erfahren." Da, Flo, halt das Leitfeil," sagte Daniel und drückte ihm die Zügel in die Hände. Aber zupf nicht, er bleibt schon im Weg."

Dann schlug Daniel die schwarzgeränderte Todesanzeige auseinander, auf die ihn Grosjean hingewiesen hatte.

Und er zuckte mit dem ganzen Oberleib, als er den Namen las, ein Schwall roten Blutes stieg ihm plößlich vom Herzen auf.

Berthele Witwe!"

Madame Berthe Alleman, geb. Grosjean", stand an der Spitze der Leidtragenden. Charles Alleman war nach kurzer Krankheit gestorben.

Floflo hielt das Leitseil krampfhaft fest. Sicher nahm der Joli die Kehren, und schon tauchte der Schlitten in die Wälder, spann die Sonne sich ein, famen die Täler näher. Unter den Kufen sang der Schnee, hell flangen die Schellen am roten Kummet.

Daniel starrte über den Gaul ins Leere. Das Berthele war Witwe geworden, noch ehe sein Hochzeitstag sich gejährt hatte. Er sah den alten Grosjean noch vor sich, unten am Gemeindehaus, wie er erzählte, daß seine Tochter heirate und sein Sohn emigriere. Alleman war Generalagent des Goldadlers im Sundgau gewesen, nun trat der Schwieger­

1905

vater an seine Stelle. Es war ein Verzicht und eine Liebes­tat für das Berthele, das dann in Altkirch bei dem Vater hausen konnte.

Die Grosjean stammten aus dem Sundgau und kehrten nun dorthin zurück. Daniel sah Madame Berthe vor sich, aber als siebzehnjähriges Mädchen, mit seinen zarten Farben, den blonden, zitternden Löckchen an den kleinen Ohren und den

goldbraunen Augen, die ihn so oft angelacht hatten. Arme, hatte Berthe gekannt und wachsen sehen, als sie mit ihrer fleine Berthe! Und wieder wurde ihm heiß ums Herz, er brustkranken Mutter Jahr für Jahr auf den Berg kam. Vor vier Jahren war sie zum letztenmal oben gewesen. Im Herbst darauf starb Madame Grosjean, und Mamsell Berthe kam nicht mehr wieder.

,, Batterle!"

Er fuhr aus seinen Gedanken, und Floflo sprach mit fläglicher Stimme: ,, Batterle, meine Händ' sind ganz gstiff, nimm Du's Leitfeil."

Gib!"

Er nahm ihr die Zügel aus den rotangelaufenen Fingern und fuhr plötzlich fort:

Kennst Du d' Mamsell Berthe noch, Floflo, wo als im

Sommer auf dem Berg war und Dich immer umeinander­

tragen hat?"

Floflo schüttelte den Kopf.

Wo D einem noch auf dem Schoß herumgerutscht bist? Eine Mamsell in weißen Kleidern, mit Bändern in den Saaren und blonden Löckle? Und gesungen hat sie auf deutsch und französisch und Piano gespielt, und einmal hat sie Dich heimgeholt bei dem großen Wetter, wo Du patschnaß unter Sem Kindlestein gehodt bist."

,, Wo's so gebligt hat, und die alte Bläß über den Hag und den Schlatten hinabgerannt und totgefallen ist?" Stimmt!"

,, Ach, ja, Fräulein Berthe," murmelte das Kind und nickte. Und nach einer Pause:

,, Kommt sie wieder, Batterle?"

Er war einen Augenblick betroffen, dann fragte er mit leiser Stimme: Wär's Dir denn recht, wenn sie käm, für immer am

End?"

Heftig schüttelte sie den Kopf:

,, Nein, für immer nicht!"

Da fuhr Daniel Junt mit einem Peitschenknall in Floflos findliche Rede, daß der Joli einen wilden Satz tat, und das Echo durch die Berge lief.

Florence stieß einen kleinen Schrei aus und rutschte vom Siz unter das Deckleder. Als sie wieder in die Höhe tauchte, hielt sie den Muff in der Hand.

Zug, Vatterle, der Mama ihr Schlupfer. Er ist unter Deinen Füßen gelegen."

Und schnell schob sie die blaugefrorenen Finger wieder in den Iltispelz.

Daniel antwortete nicht. Straff hielt er die Zügel und bezte den Gaul, daß der Schlitten in wilder Fahrt bergab schoß. Jetzt bogen sie in den Karrenweg ein, von den Bäumen fiel händevoll der weiche Schnee, ein feiner grauer Duft hing über den Tälern, und von Hachimette und La Motte herüber flangen die Glocken.

Als sie eine halbe Stunde später in La Motte ankamen, stampften die Weiber gerade an den Haustüren die Stollen von den Schuhen und schüttelten die von den Kirchbänken zerfnitterten Röcke. Der Schulmeister sah den Schlitten, er hatte ein Tuch über die Ohren gezogen und ging nun aus der Safristei geradeswegs ins Gemeindehaus. Daniel jah noch, wie er den Maire auf der Schwelle einholte und ihm erzählte, daß der Bergwirt da sei. Ja, er war da. Das war sein Recht, und seit einer Stunde lag ihm noch mehr daran. Ums Ver­recken hätte er jetzt nicht nachgegeben, die Gemeind mußte bauen, ein neues Leben sollte anheben auf dem Berg, und wenn sie nicht baute, dann zwang er sie, wie es vorbedacht war. Jezt erst recht.

Als er Floflo vom Schlitten hob, sagte das Kind, wäh rend es nach dem kleinen Gottesacker hinüberzeigte, der weiß im weißen Feld vergraben lag: