Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 168.

13]

Daniel Junt.

Mittwoch, den 30. August.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Hermann Stegemann  . Daniel stand eine Zeitlang im Flur. Er atmete stärker und preßte die Hand, die er ihr gereicht hatte, zur Faust zu­sammen. Ein wilder Drang war in ihm. Sie war blaß, noch das schlanke, jungfernhaft zarte Geschöpf, nur Schatten hatte sie unter den Augen und hielt sich ein wenig geneigt, un­sicher wie ein Rebenschoß ohne Stüte. Aber das Lächeln, das im ersten Augenblick in ihren Mundwinkeln gezittert, das war noch so jung, so zärtlich wie damals, als sie auf den Berg ge­kommen war.

1905

Die kommen bald, so wahr Gott lebt, die kommen, so­bald die Armee fertig ist. Und diesmal ist sie fertig. Es ist fein Ochs" mehr an ihrer Spitze, wie Anno siebzig."

,, Dann wollt ich, fie fämen morgen: Denn die Zeit, wisset Ihr, die frißt ein Loch in den dicksten Pelz. Und wenn das Elsaß   erst einmal dreißig Jahre deutsch   ist, hernach sind die Jungen da, und die wissen nichts mehr von dem Krieg und dem, was vorher war, und wenn sie's in Berlin   geschickt anfangen und nicht ins Feuer blasen, uns zu Vollbürgern machen, statt zu unmündigen Untertanen, die Elsässer Elsässer  fein lassen, dann"

Er zuckte die Achseln.

,, Daniel, Daniel, aber Ihr seid ja Und wenn's hundert Jahre dauert, sie kriegen uns nicht. Aber was red' ich da! Es kann morgen losgehen, und in zehn Jahren ist Er gab sich einen Ruck und klopfte an. alles vorbei wie ein schlechter Traum. Denkt daran, Daniel, Grosjean jaß zwischen ausgezogenen Schubladen und wenn's soweit ist, und jetzt zum Geschäft, wenn's gefällig ist." abgeräumten Regalen.

Er wollte aufstehen, aber Daniel sagte:

Bleibt nur siten, Herr Grosjean," und als der alte Herr ihm freundlich den Stuhl rückte, indem er die Schriften, die darauf gelegen hatten, auf die Dielen warf, saßen sie einen Augenblick schweigend einander gegenüber.

Da wies Grosjean mit einer müden Bewegung rundum. Da seht her, Daniel, in acht Tagen sind wir unterwegs. Meinen Reisepaß habt Ihr ja gelesen."

" Ja, Herr Grosjean. Es war ein schwarzer Rand drum." Grosjean feufzte und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte.

"

Ja, ja, ein schwarzer Rand! Es war alles in Ordnung, das Kind in guten Händen, der Sohn in Belfort  , und auf einmal schießt der Tod dazwischen. Eine Rippenfellentzündung und rot und tot in acht Tagen. Er war über Land gewesen wegen einer Brandschabung und hat sich verkühlt. Und jetzt komme ich an seinen Play, hier ist's doch aus mit dem Gold adler."

Daniel schaute überrascht auf. Es war ihm auf einmal leicht und doch seltsam unruhig ums Herz.

ie meint Ihr das?"

Sie sagen in Berlin  , wir machten Politik, und wer weiß, wie lang's noch geht, dann nehmen uns die Deutschen   die Konzession. Und- Himmelherrgott sie täuschen sich nicht. Wir assekurieren nicht nur gegen Feuerschaden, sondern auch gegen die Allemanderie. Wir sind alle gute Patrioten, ist's nicht so, Daniel! Schaut mal her!"

Er war aufgestanden und wies auf die beiden Stahl­stiche, die Porträts Léon Gambettas und Thiers'. Das kluge Greifengesicht des Erchefs der Nationalversammlung und der feueräugige Kopf des Tribunen der Republik   blickten von den Wänden herab. Eine blauweißrote Kokarde brannte am Rahmen des einen Bildes, als wartete sie nur darauf, an­gesteckt zu werden.

Daniel war eine Flamme übers Herz gefahren. Dressieren lassen wir uns nicht von den Schwaben, niemals!" stieß er heftig hervor und blickte trogig auf die zündende Rosette.

Grosjean war ans Fenster getreten.

Es ist Palmsonntag heute, ein stiller Tag, aber sagt, Daniel, lauft Ihr nicht über einen Kirchhof, wenn Ihr durch die Straßen geht. Die Hirz, die Rieser, Petitdemange, Eckhoff, Zurlinden, de Volksbach, Wurmser, und wer weiß ich, alle sind emigriert. Und wir anderen verkriechen uns in unsere vier Pfähle. Geht auf das Marsfeld, wenn die Musik von den Dragonern oder dem badischen Regiment spielt, die Offiziere, die Beamten vom Gericht, von der Präfeftur und dem Zollamt lauter Deutsche  , aber fein Elsässer  . Geht in ein Café, ganz dieselbe Geschichte. In einem fizzen die Elsässer, im anderen die Deutschen. Es ist eine Wand zwischen uns und den anderen."

Da fam Daniel ein Bedenken.

"

Und Ihr meint, das bleibt jo, Herr Grosjean?"

-

Er war ärgerlich, fühl flangen seine letzten Worte. Daniel merkte es wohl, aber er hatte noch nie einent anderen nach dem Maul geredet. Er antwortete ruhig: " Ich geb die Assekuranz auf, Herr Grosjean." " Was!" rief Grosjean.

Ja, ich geb sie auf, die G'meind soll zahlen, wenn sie die Baracke versichert haben will!"

,, Daniel, das ist wie ein Erbteil! Bedenkt doch! Und dann die Gemeinde! Ihr kennt sie ja, die assekuriert nicht." Herr Grosjean, es ist nicht um die Prämie. Es ist ein Stampf zwischen mir und denen in La Motte. Ich hab's über­legt. Der Goldadler kommt von meiner Tür." Grosjean feufzte resigniert. Der Goldadler, das ist ja wie ein Zeichen!

"

Da trat Daniel zu ihm und streckte ihm die Hand hin. Wir bleiben die Alten, nicht wahr, Herr Grosjean?" Einen Augenblick befann sich Grosjean, dann blitzte es wieder heller in seinen Augen:

,, leberlegt's noch einmal. Es geht doch alles gut auf dem Florimont, Ihr kommt ja in teine Sach wegen der Ver­sicherung." Ich bin wieder einmal am Flicken," erwiderte Daniel kurz und zog die Hand zurück.

Und mit dem Neubau?" fragte Grosjean schlau. ,, Die Gemeinde baut nicht. Der Notari sagt, ich könnt nichts machen," fam's kurz zurück.

" Ja, ja, die alten Gedinge, Allmend und Markgenossen­schaft, es ist ja noch das reine Mittelalter," entgegnete Gros­jean, der die Hoffnung auf Umstimmung seines Klienten schwinden fühlte.

Es wär schon recht, wenn mehr Verstand in den Leuten wär," sprach Daniel kurz. Und dann bot er Grosjean noch einmal die Hand.

Wir sind die Alten, nicht wahr? Glaubt mir, es ist

besser so."

Ihr Augen trafen sich), und sofort schmolz Grosjeans Kälte. Sein Blick wurde freundlich, ein liebenswürdiges Lächeln zog um seinen müden, vom grauen Bart umschatteten Mund, und er ergriff Daniels Hand.

Git gut, Daniel, und jetzt kommt mit, das Berthele gibt uns ein Glas Alten."

,, Sie hat viel ausgestanden, Brau Berthe?" O ja!"

Er jeufzte:

Biel   zu viel aufs Mal. Aber immer noch besser, es hat jetzt sein müssen, als in einem Jahr, wenn sie ein Kind gehabt hätten. Jegt trifft es nur sie allein."

Daniel atmete auf einmal leichter, und als sie schon auf dem Weg in die Wohnstube waren, fragte er auf dem Gange noch haftig:

-

" Sie bleibt jetzt bei Euch ich mein' für immer?" sch zieh nach Altkirch   zu ihr. Der Arzt meint mun, fie müßte im Sommer eine Kur machen. Es hat sie bös ge­schüttelt. Und für immer mein Gott, Berthe ist so jung,

-

Wie? Was sagt Ihr da? Das bleibt, bleibt so, bis auf da wächst ihr noch viel auf dem Weg, was wir nicht wissen." den Tag, wo die roten Hosen wiederkommen."

Aufgeregt klopfte der alte Herr auf den Tisch. " Dann wär's gut, sie fämen bald," warf Daniel trocken ein.

Die junge Witwe empfing den Gast schen wie einen Fremden und schenkte ihnen stumm den Wein. Der Vater hielt das Gespräch mühsam im Gange, aber auch Daniel war wortfarg und schlürfte hastig den fühlen Trant,