Aber als sie einander noch einmal die Hand gaben,Berthe und er, beim Adieusagen, da hielt er die kalten Fingerfest und sagte:„Kommt im Sommer zu uns auf den Florimont,Madame Alleman, da findet Ihr Eure Kräfte wieder. Und,wißt Ihr, ich Hab einen kleinen Buben, der wird Euch ge-fallen."In ihren braunen Augen leuchtete das goldene Fischleinauf. das Daniel früher so oft darin gesehen hatte. Sie lächeltezaghaft.„Ihr seid sehr liebenswürdig, Herr Junt," murmelte sie.Grosiean aber rief freudig:„Das ist eine Idee. Daniel. Auf dem Berg bei Euch,da findet sie ihre Jugend wieder. Alsdann, Berthele, fangnicht an zu weinen, sag ja, oder ich sag's für Dich."Berthe machte ihre Hand frei und wandte sich ab. Danielsah ihre Schultern fliegen. Sie schluchzte auf einmal leise.Da erfaßte ihn ein eifersüchtiger Zorn, und zornig nahm erAbschied.Der Vater begleitete ihn hinaus.„Sie kommt zu Euch, Daniel. Wir kommen alle beide.Sorgt nur, daß das Hotel nicht abbrennt bis dahin."„Abbrennt?" fragte Daniel Junt argwöhnisch und fuhrsich über das Gesicht, als müßte er etwas wegwischen, dasdort zu lesen war.Da lachte Grosjean, klopfte ihm auf die Schulter underwiderte:„Ein Schaden wär's nicht um das alte Haus, und derGoldadler säß unterm neuen Dach besser placiert. Aber manwünscht keinem Spatz das rote Feuer ins Nest."Daniel Junt nahm die arglos gesprochenen Worte mit aufden Weg. Sie liefen ihm nach, wo er ging und stand, saßenin seinem Ohr und bliesen in seine Gedanken, daß sie wieFlammen hoch aufschlugen. Also hatte er doch recht gehabt,recht mit allem, was ihm die in La Motte abstritten. SeinSach war's, und die Junt, die seit Jahr und Tag oben aufdein Florimont saßen, geflickt und angebaut hatten, bis jedeSchindel und jede Scheibe, jeder Ziegel und jeder Nagel ihnengehörte, die hatten den Teufel nachzufragen bei allem, wassie ließen und taten. Und das Berthele kam auf den Berg!Das Berthele! Und der Notari mit seinen Auslegungen vonRecht und Gesetz? Auf dem Berg da war sein Recht, und dastrug ihn: keiner weg, da war er gut dafür, der Dani Junt.G.Die Aprilsonne lockte die Gräser aus dem feuchten Grund,die Stiefmütterchen schnitten lustige Fratzen auf der über-grünten Schutthalde vor Jahrtausenden hingeschmolzcnerGletscher, weiße Sommervögel*) mit Blutstropfen auf denbreiten Flügeln gaukelten darüber hin, und im Mai fülltensich die Fermen diesseits und jenseits des Grates. Aus dendeutschen Tälern und von den welschen Hügeln zogen sie zurHöhe, Tag und Nacht klangen die Hcrdcnglocken über dieKuppen, und wenn die Melker des Abends in die hohlenHände und die Hörner aus Baumrinde tuteten, dann jauchztendie Gipfel, daß die Sterne am Himmel die Augen aufschlugenund in der blauen Ebene erschreckte Lichter durcheinander-liefen.Es war noch nicht Pfingsten, da brachte die Post schoneine Anmeldung nach der anderen ins Haus am Paßweg,auf den Sommer bis tief in den Herbst mußte Daniel Zimmerund Kammern versprechen, und bald schrieb er die ersten Ab-sagen. Es war kein Platz mehr, und wenn das Gesind auf demHeuboden und der Wirt in der Geschirrkammer hätte schlafenmüssen.Das war ihm ein bitterer Stachel und trieb ihnvorwärts.„Wie ist's mit dem Pfingslbier, Herr Daniel? Ihr habtdoch nicht vergessen, die Brauerei zu avisiere::?" fragte Nanettewenige Tage vor Pfingsten.„Pfingstbier? Wo kein Tanz wird, braucht's kein Bier.Wer bei mir einen Liter Alten trinkt, kann dabei die Beineunter den Tisch strecke::. Bier schenk ich nur, wenn Tanz ist.">,Aber—" stammelte das Nettele.„Ich halt keine Pfingstkilbe, fertig," schnitt ihr Danieldas Wort ab.„Aber bedenkt doch! Seit Jahr und Tag ist bei unsgetanzt worden am Pfingstmontag."Er antwortete gar nicht mehr.(Fortsetzung folgt.)*)].Schmetterlinge,LaflaUcs familienbriefe.Von den tausend Llrten. auf die der Mensch sich vor sich selbstund den anderen versteckt, ist der Brief vielleicht die feinste undlistigste. Den Gehalt der Briele bestimmt oft mehr noch als derVerfasser der Adressat. Während bei Werken, die in die weite dunkleOcffentlichkeit geschrieben sind, der Schöpfer, gleichsam unbemerkt,ganz für sich allein, redet oder wenigstens reden kann, ist beim Briefder eine bestinunte Mensch, an den er gerichtet ist, ein Hemnmis derfreien Entfaltung. Man zieht sich nicht gern vor Leuten, die mankennt, nackt aus. Außerdem will man mit Briefen gemeinhin bc-stimmte unmittelbare Stimmungen. Wirkungen erzielen— das gilt vomheißesten Liebesbrief bis zum kältesten Geschäftsschreiben. Wer alsoaus Briefen Menschen erkennen will, darf nicht wörtlich_ lesen, ermuß erst aus zahllosen angedeuteten Motiven, unter kritischen Ab-strichen dessen, was auf die Rechnung des Adressaten und des Zweckeszu setzen ist, das Seelenbild erzeugen.Vielleicht sind die Briefe des Genius reinere und wahrere Offen-barungen als die der Menschen von Talent. Denn dem Genie isteine gewisse strotzende und trotzige Naivetät eigen, die in demKraftbewußtsein des eigenen starken und fruchtbaren Wesens wurzelt.Je genialer der Mensch, um so mehr wagt er sich zu be-kennen, und es ist weniger die sittliche Erziehung, dieWahrhaftigkeit zum Leitsatz seines Lebens erhoben hat, als die aus-strömende Natur seiner überragenden Begabung, die es ihm trotzallem im Erwerbsleben der Gesellschaft erworbenen Klugheitsdrillunmöglich macht, aus den Erfahrungen, tvie man Komödienwirkungenin der Welt erzielt, das tote und falsche Nechenexempel seines Lebenszu machen: Trotz aller Zügelung wird er immer zu seinem tiefstenSelbst stehen.In diesen Tagen erscheinen Ferdinand L a s s a l l e S F a m i l i e n-b r i e f e*), deren Veröffentlichung bestimmt und geeignet ist, den Zu-gang zum menschlichen Verständnis dieser seltenen Persönlichkeit zuerleichtern. Man kann im Zweifel sein, ob es überhaupt angemessenist, Dokumente, die nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt sind, demPublikum preiszugeben. Aber Männer, die auf die Geschichte ge-wirkt haben, sind nicht nur durch das, was sie lehrten und taten,Erzieher der Menschen, sondern auch ihr persönlichstes und geheimstesWesen dient dazn, menschliche Größe zu bilden. Es ist alsonicht müßiges Kammerdienerinteresse, auch nicht das in sichruhende Interesse an der anekdotenhaften Psychologie, diees rechtfertigen, daß Männer von geschichtlicher Größein allen: der Welt, der Nachwelt gehören— eS ist das weckendeund werbende Element, das auch das Studium und die ErkenntnisdeS i n t i n: c n Menschen rechtfertigt. Handelt es sich aber umproblematische Gestalten wie die Lassalles, so erfordert es schließlichauch die Gerechtigkeit gegen den großen Mann, durch alle Schlackenund Legenden zu dieser Seele durchzudringen.Die an die Eltern und die Schwester gerichteten, den Zeitraun:von der Entfernung ans dem väterlichen Hause bis fast zum Todeumfassenden Briefe— zwei an Frauen gerichtete Brieffragmente sindzur Kennzeichnung Lassallcschcr Anschauungen über Liebe undEhe anhangsweise eingefügt— haben nicht ganz denstarken und deutenden Reiz jenes Tagebuches, in demder fünfzehnjährige Knabe sich über sein Leben, seinenCharakter, sein Wollen Rechenschaft gab— aber auch sie sind Be-kenntnisse von jener wahrhaftigen Naivetät, welche in das Ge-heimnis des MenschenwunderS hineinleuchten lassen. Nicht als obdiese mehr als ILO Briefe sämtlich bedeutend wären: sie sind wirk-lich vielfach nicht mehr als„Familienbriefe". Auch ihr Zeugniswertkann nicht ohne Prüfung ermittelt werden. Es ist nicht immer derechte Lassalle. Schon der Ton ist verschieden angepaßt, wesentlichanders gegenüber den Eltern als etwa bei der Schwester, mit derer galant plaudert, ins Sinnliche schweifend, gelegentlich auch einwenig leichtfertig. Aber es ist doch genug des' Uriprünglichen, Un-mittelbaren in diesen Briefen enthalten, das ungemein werlvoll istfür die Durchdringung dieser eignen Persönlichkeit.Der„Ben Jochetel", das„einzige Söhnchen" deS wohlhabendenBreSIauer Judenhauses, spricht in diesen Briefen, das Söhnchen, dasmit zärtlicher, hingebender Liebe an seiner Familie hängt, so daß ermit Vorliebe die Jargon-Ausdrücke seiner Heimat bis in diespätesten Jahre gebraucht, auch nachdem er längst ihrem Bann undGeist entwachsen, in der weiten andersartigen Welt lebt, an derenUmgestaltung er selbst arbeitet. Es ist nicht die Erinnerung aneine glückliche Jugend, die solche Liebe erhalten hat. Daheim war'Sgar nicht leicht und freudig. Der Vater herrisch, launenhaft jähzornigund dabei schwankend und schwächlich, leicht verzagend, wie esscheint. Die Mutter schwerhörig, von jener weinerlichen, umständlichen,ewig vergrämten Gemütsart, die alles tief reizt und die beimschwersten Schicksalsschlag nicht viel wilder sich erregt als bei einemzerbrochenen Teller. Da wollte Zank und Streit nicht endigen. Zu-dem war der junge Ferdinand ein Galgenstrick, der faulenzte, weilihn seine Lehrer ungerecht behandelten,— später fieberte er inwahrer Arbeitstrunkenheit—. der seine Zeugnisse sich selber unterschrieb,weil er doch den guten Vater nicht'durch die Wirkungen der Un-gerechtigkeit seiner Lehrer kränken mochte, leichtsinnig, ein Spielerund Nätcher, eitel, anmaßlich, geneigt zu kleinen knabenhaften, nicht•) Intime Briefe Ferdinand Laffalles an Eltern und Schwester.Herausgegeben von Eduard Bernstein, Berlin. Verlag: BuchhandlungVorwärts.