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ganz ehrlichen Geldgeschäften. Aber zugleich braust schon wieder und sehen das Notwendige und Natürliche, wo Fremde das in diesem ungezügelten Temperament des Knaben eine rebolu- unbegreifliche oder Komische sehen mögen. Und wir schmunzeln auch tionäre Leidenschaft für das höchste, lenkt ihn ein unbeugsamer heute noch über ihn, wie damals in Polajewo- ja, vielleicht ist das Wille, der furchtlos festhält und durchsetzt, was er einmal auf sich Schmunzeln heute noch herzlicher. genommen. So gab es im elterlichen Hause neben der Misere des Wenn man von ihm reden will, muß man mit seinem Namen Alltagjammers auch seelische Katastrophen, die den lebensgierigen beginnen. Er war einer der unzähligen Hoffmänner des Deutschen  Knaben bis zur Verzweiflung und Zerschmetterung trieben. Gerade Reiches, die schlicht und bieder durch die Welt gehen und es kraft in dieser konfliktreichen Zeit seiner Kindheit, in der geniale Früh ihres Namens schon von vornherein viel schwerer haben, sich zu reise und stürmischer Drang mit der Tradition eines nicht sonderlich unterscheiden. Denn ob einer auch das höchste leistet man wird behaglichen Familienlebens zusammenstößt, entwickelt sich schon immer, selbst wenn man von dem berühmten" Hoffmann spricht, jener Grundzug des Wesens Lassalles, in dem seine tiefste fragen müssen, welcher von den vielen denn nun eigentlich ge­Kraft verbürgt ist. Er ist der Kämpfer geworden, weil er meint sei. jeden Augenblick bereit war, dem Nichts sich auszuliefern. Der Auch in der Sekunda von Polajewo gab es zwei Hoffmanns. Gedanke des freiwilligen Todes war ihm früh vertraut. Sie wurden von den phantasielosen Lehrern einfach als I und I Nach einer leidenschaftlichen Szene mit dem Vater will bezeichnet, während der klassische Philologe denjenigen, von dem der im Innersten getränkte Knabe ins Wasser gehen. Es hier erzählt werden soll, zur Unterscheidung Elpenor" rief. Um­war das biertemal in meinem Leben, daß ich mich gefehrt mußte Odysseus  ' Gefährte in der Homer  - Uebersetzung als völliger Bernichtung gegenüber befunden habe" schreibt Herr Hoffmann" bezeichnet werden. er nach dem Hochverratsprozeß 1864 an seine Schwester. Lassalle   fuhr mit dem Tode als Fährmann in einem Boote, zeitlebens. Der Gedanke der Vernichtung hatte für ihn feine Schrecken. Sein Ende war nur der natürliche Tod eines solchen Menschen. Wahrlich, es ist kein Glück, im Philistersinne, für den Menschen, der sich von dem Dämon der Erkenntnis geleiten läßt, daß das Leben nicht der Güter höchstes sei. Aber es ist ein unermeßliches Glück für die Menschheit; in diesem Ve­wußtsein wachsen ihre Helden. Niemand hat noch je etwas Großes vollbracht, der nicht bereit gewesen ist, im entscheidenden Augenblicke zu siegen oder unterzugehen.

Will man das wundersam innige Verhältnis Lassalles zu seinem Vater recht verstehen, so muß man ein anderes Hindernis über­winden: Lassalle   fühlte sich, schon als Knabe und Jüngling, seinem Vater überlegen. Er kannte alle seine Schwächen, er teilte nicht seine Anschauung. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn er­scheint bisweilen geradezu umgekehrt: Der Junge ist der Erzieher des Alten. Warum trieb ihn dennoch zum Vater diese unendliche Liebe? Es ist das festeste und zugleich zarteste Band inniger menschlicher Zuneigung, die das Verhältnis Lassalles zu seinem Vater bestimmt hat: Ferdinand war des alten Lassalle ganze Liebe, sein Stolz, der Inhalt seines Gemütslebens. Beil er alles für den Vater war, weil er feinem Menschen so unentbehrlich war wie ihm, weil ihn feiner so selbstlos liebte- darum verwuchs der Sohn so innig mit ihm. Seine Liebe war der Neflex der väterlichen Hingebung. Das war der einzige Mensch, dessen ganzes Dasein in ihm wurzelte. So ist denn Lassalles Klage, als er ihn verloren, ebenso erschütternd wie aufrichtig:

"

Mir ist so vieles Harte und Unverdiente schon in meinem Leben zugestoßen, daß mich nichts mehr wundern sollte! Der Einzige, der mich wirklich liebte und verstand, ist dahin! Nun fließen, ob ich äußerlich lache oder tändle, arbeite oder wüte, innerlich meine Tränen!" So schreibt er im Januar 1863 an die Mutter. Und im Oktober desselben Jahres:

" Durch die Uebersendung der sehr wohlgelungenen Photographie des geliebten Vaters hast Du mir neulich eine unendliche Freude gemacht! Seinen Sterbetag habe ich in großer Wehmut zugebracht. Heute habe ich gerade die ganze Nacht von ihm ge­träumt! Ich sah ihn vor mir mit seinen guten blauen Augen der Traum hat mich furchtbar abgemattet!"

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Um so zärtlicher wird nach dem Tode sein Verhältnis zur Mutter, deren verstimmendes Wesen er doch kennt und die oben drein als fromme Jüdin noch allerlei rituelle Ansprüche stellt. Er lädt sie dringend ein, zu ihm nach Berlin   zu ziehen, und als sie Bedenklichkeiten äußert, schreibt er ihr:" Daß alle Deine Befürch tungen ganz unbegründet sind, daß mich Deine Frömmigkeit nicht im geringsten stört, daß Du nicht eine alte Frau", wie Du sagst, und eine Plage", sondern als meine innig und viel geliebte Mutter eine wahre Freude für mich bist und sein wirst".

( Ein Schlußartikel folgt.)

Nachdrud verboten.)

Albinus Hoffmann.

Von Karl Busse  .

Wer seine Kindheit mit offenen Sinnen durchlebt und besonders die schweren Jahre der Schulzeit, der trägt einen solchen Reichtum an Bildern und Gestalten mit sich in sein späteres Leben, daß er gar nicht verarmen kann, so einsam und weltabgeschlossen, von keinerlei neuen Eindrücken durchpflügt, er auch später dahingehen mag. Die enge Knabenwelt enthält doch alles, was die große Welt bewegt, und alles ist offener, dichter beisammen und leichter erkenn­bar. Nicht für die Erwachsenen, die in törichter Ueberhebung nur flüchtig und von zu großer Höhe herab in diese Knabenwelt hinein­schauen. Sie staunen im Gegenteil immer wieder, daß ein Pflänzchen so ganz anders wächst, als sie es erwarteten. Es ist selten, daß ein Kind von seinen Lehrern richtig gewertet wird; fast immer jedoch wissen seine Mitschüler Bescheid, die mit ihm gespielt und geweint haben, die sich mit ihm schlugen und vertrugen..

Reiner von uns engeren Kameraden wundert sich deshalb auch über das Lebensschicksal von Albinus Hoffmann. Denn wir erkennen in dem Mann, in seinem Tun und Lassen, den einstigen Schüler

Die meisten Präceptores aber nannten unseren Hoffmann I nach feinem Vornamen. Albine", tönte es wohl vom Katheder, stehen Sie auf und fangen Sie an!"

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Dann erhob sich von einer der Mittelbänke, dicht am Gange, ein Schüler lang wie der jüngste Tag. Er mußte am Gange siten, denn seine Knie drückten sich, weil er zu groß war, gegen die Bänke, und so hatte er die Erlaubnis erhalten, seine Stelzen schief nach draußen zu stellen, wenn ihm die normale Haltung gar zu unbequem ward. Stand er so in seiner ganzen Länge da, so schwankte er ein wenig bornüber wie eine zu schnell in die Höhe geschossene Birke. Und während der ganzen Zeit, die er stehen mußte, pendelte er leise hin und zurück.

Sonst war weder in seinem Gesichte noch anderswo das geringste Auffällige und Eigentümliche an ihm zu entdecken. Nur eben die heillose Länge sie spielte in seiner äußeren Erscheinung eine ähn= liche Rolle, wie sie vor seinem biederen Namen der Albinus" spielte. Er lachte über diesen Vornamen oft selber. ,, Als ob man' nen aufgeputzten Zirkusgaul vor' ne Britschte spannt!" Und dabei liefen schon damals über sein junges Gesicht, oder wenigstens um die Mundpartie herum die hundert pfiffigen Fältchen, in denen die Fröhlichkeit spielt.

Wir hatten ihn alle gern, denn er schien uns der Typus eines anständigen und bierehrlichen Kerls" zu sein, trotzdem er, wenn ich es recht überlege, alle Seitensprünge, die wilden Schülerstreiche sowohl wie die verbotenen Gelage, nur bis zu einem gewissen Punkte mitmachte. Aber es war selbstverständlich, daß jeder, der irgendwie in eine böse Batsche geraten war, sein schweres Herz zu Albinus Hoffmann trug.

Sein Vater hatte ein Kramlädchen, in dem man niemals einen Kunden sah höchstens ein Kind der Nachbarschaft, das sich für Bei Pfennig Johannisbrot kaufte. Auch der Alte war groß, dabei stark, mit kräftigem Bartwuchs, und von einer Gutmütigkeit, die feine Grenzen kannte. Die Kinder aus den Nebenhäusern rissen kreischend davon. Oder sie verlangten für einen Pfennig teure und täglich ein duzendmal an seiner Klingel und liefen jubelnd und unmögliche Leckerbissen, die in dem Lädchen gar nicht vorhanden waren. Und der alte Hoffmann schimpfte, polterte, jagte sie fort, aber sie wußten wohl, daß er nicht recht böse werden konnte, und quälten ihn, wie die kleinen Kläffer eine große gutmütige Dogge.

Darin

Zu dem Laden gehörte eine Stube, in der die Mahlzeiten ein­genommen wurden und in der auch das Be von Hoffmann senior stand. Die Frau war lange tot; der Mann tochte allein und auf Tellern bestand, die luftdicht übereinandergelegt wurden. einem verzwickten Apparat, der aus zwei gewöhten metallenen briet alles sehr rasch, besonders die Beefsteaks, die des Alten Spe­zialität waren. Albinus hatte zwei Treppen höher eine Giebel­fanimer inne, die mit Verstand gebraucht werden mußte, und in der man sich erst nach geraumer Zeit frei bewegen lernte.

Nach der tüdischen Art dieser Kammern fiel sie nämlich schräg zum Fenster ab. Gerade am Fenster jedoch stand der Arbeitstisch. Und wenn der lange Albinus nun sein Allerheiligstes betrat, so prangte er zwar an der Tür und ein paar Schritt weiter noch in feiner ganzen Größe, aber je mehr er sich dem Fenster näherte, um so mehr zog er seine Stelzen ein, bis er dann sibend den Arbeitsstuhl gewann. Eine fernere Eigentümlichkeit dieser Kammer waren zwei Pythiastühle direkt aus Delphi, sagte Albinus. Sie hatten nämlich nur je drei Beine. Man konnte sie mit Vorsicht benüßen, wenn ihr Herr und Besizer nicht präparierte. Denn dann wurden die invaliden Ecken durch Georgis Lexikon, die Bibel, Schillings Natur­geschichte und durch andere Bücher gestützt. Uebrigens verfehlte Albinus Hoffmann nie, seine Besucher zur Vorsicht zu mahnen. Nur einmal tat er es nicht: als ein recht unbeliebter Lehrer sich bewogen fühlte, die Treppen emporzuklimmen und zu vifitieren. Sieh mal," sagte der Lange," es tat mir leid, daß er so schnell von dem Stuhl, den er sich genommen,' runterfauste, aber warum kontrolliert er mich? Ich wohn' doch bei meinem Alten. Das ist ein Mißtrauens votum gegen meinen Alten. Uebrigens hat er sich auch eine Beule am Giebel gerannt."

Wir aber gingen, wie gesagt, stets hin, wenn uns irgend etwas bedrückte. Albinus Hoffmann hörte bekümmert zu, Albinus Hoff­mann rieb sich das Kinn: Mensch, was machen wir da? Paz auf, das friegen wir schon! Das sollte ja mit einem Dunnerlichting zugehen, wenn wir das nicht kriegen." Und dann machte er mit