Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 170.

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Daniel Junt.

Freitag, den 1. September.

( Nachdrud verboten.)

Roman von Hermann Stegemann . Daniel hatte die Stalltür und die Bodenklappe der Heu­bühne aufgerissen. Es roch wieder dumpf und stickig in dem alten Gemäuer, und als der Melker nicht zur Stelle war, griff er selbst zur Mistgabel.

Da nahm die Catherine sie ihm aus der Hand: Mit Verlaub, Herr Daniel, das ist nicht dem Herrn feine Sach."

Sie hatte den Rod in einem Winkel abgeschüttelt, stopfte jetzt den brandroten Unterrock zwischen die Beine und miſtete den Stall, daß ihr das helle Wasser über die Stirn lief. Ihre Schnürschuhe glucksten in der Jauche, um die blanken Beine, die von den heruntergerutschten blauen Strümpfen nur noch bis zur Wade geschützt waren, klatschte das klebrige Ried, wenn sie mit der Gabel in die Stände fuhr, aber sie atmete fröhlich den beizenden Geruch, der aus den dampfenden Schütten stieg und in die warme Frühlingsluft hinauswolfte.

Und als gar Daniel rief:

Brav, Maidle, recht geschafft ist recht geschlafen," da hüpfte ihr das Herz, und dem Sepple, der just von der Käs­hütte kam mit einem Dutzend frischer Laibe, sprangen die braunen Tropfen bis ins Gesicht, so flog die Gabel in ihren roten Fäusten.

7.

Am anderen Tage fuhr Daniel nach Kolmar und holte Floflo heim über die Pfingstzeit.

Das Kind war ernst und blaß und suchte unterwegs die Hand des Vaters. Erst als sie auf dem Florimont ankamen, löste sich ihr Wesen und dann erzählte sie bis spät in die Pfingst­nacht von dem Pensionat und den guten Schwestern. Etwas Efstatisches war in diesen Erzählungen, die Augen leuchteten, die Finger bebten. Und als das Kind zu deklamieren anfing, fromme Gedichte, und französisch, alles französisch, mit einem feinen Stimmchen, da horchten das Nettele und die Mägde und verwunderten sich laut über das, was sechzig Tage in der Klosterschule aus dem wilden Bergkind gemacht hatten.

" Nun sag auch dem Vater so ein schönes Sprüchle," mahnte Nanette und stupfte es, bis es sich ein Herz faßte und zu Daniel hinüberging an den Tisch, wo der Wirt über Papieren und Rechnungen saß.

Er horchte, ohne es fich merken zu lassen, und als Floflo das vom kleinen Jesus und vom Schutzengel, der von den Sternen herabkommt, gesagt hatte, da fragte er:

Weißt Du sonst keins, Maidle, nur vom Herrn Jesus und der heiligen Jungfrau?"

,, Was denkst Du!" antwortete Florence, machte ein ernstes, begeistertes Gesicht, hob den Kopf, stellte den rechten Fuß vor, so wie sie es der Schwester und den anderen ab­geguckt hatte, und begann:

" Fragt nicht nach der Elsässerin, sie weint

Alle hörten zu, sogar der Sepple strich sich über die Schwelle in die Stube, drückte die glühende Asche in der Pfeife mit dem Daumen, damit kein Räuchlein aufsteige, und lauschte auf das Lied der Elsässerin, die um Frankreich weint. " Bravo , Kleine," murmelte die Köchin, eine Wälsche von Hachimette, als Floflo zu Ende war.

1905

Tief erschrocken brach sie ab. Es hätte feines Husten­anfalls von seiten des Sepple mehr bedurft. Sie hätte sich die Zunge abbeißen mögen, und als der Herr rauh sagte: Mach', Catherine, bring das Kind ins Bett," da schlich das Nettele zerknirscht hinterdrein.

In der Kammer, wo die Mamsell mit dem Léon schlief, wurde das Maidle zur Ruhe gebracht. Als es schon im Nachthemd war, verlangte es noch einmal ans Fenster. Der Himmel war voller Sterne und glänzte silberhell, die Kuppen schimmerten, so weit die glatte Weide reichte, und zwischen den Felsbrocken lagen kleine, dunkle Klumpen, bewegten sich hie und da schwarze Schatten, die Kühe der Fermen von La Motte. Verschlafene, blecherne Glockentöne zitterten durch das Schweigen, und als Catherine den Riegel zog und eine Scheibe öffnete, drang das Rauschen des Wassers herein, das in der Ferne über die Felsplatte in die Tiefe sprang. In der Weite, dort, wo die Bergseen lagen, zog ein Gespinst einher, das langsam ins Tal hinabglitt.

Die Erdwibele, sie ziehen immer noch um," flüsterte Floflo, und als irgendwo im Tannenwald der Kauz lachte, drückte sie sich an die Magd und sagte:

,, Und das ist ein Schrab, gelt, Catherine?"

Da kam Daniel die Treppe herauf und ging in seine Kammer. Das Kind schlüpfte ins Bett, und Catherine nahm das Licht und ging. Nebenan schritt der Vater auf und nieder. ezt öffnete er die Tür, horchte ins Zimmer, wo der Léon schnarchte wie ein Alter, trat ein, blieb einen Augenblick im Dunkel stehen und kehrte dann in sein Zimmer zurück. Horch, Vatterle!" flang's hinter ihm. " Schlaf, Floflo," antwortete er.

Nein, horch! Madame Berthe ist auch bei mir gewesen. Und sie kommt auf den Berg, weißt Du's?" ,, Hat sie Dir's gesagt?"

Seine Stimme flang gepreßt. Er war wieder näher ge­fommen. Floflo tastete nach seiner Hand.

" Ja, freilich. Und einen großen schwarzen Schleier hat fie an."

Er strich ihr über den Kopf. ,, Schlaf jetzt."

Floflo schlief in den hellen Tag. Dann strich es im Haus herum. Da fand es im Hof zwischen dem Scheitholz eine Blechtafel mit einem goldenen Vogel darauf. Die Nägel waren herausgerissen. Goldadler" buchstabierte es mühsam mit Hülfe der Catherine und zog alsbald mit dem goldenen Adler hinaus auf die Weide. Unter dem Mönchsfelsen grub sie ein Loch und legte den Goldadler hinein. Dann kniete sie hin und sang ein Marienlied, blickte mit feierlichen Augen in den blauen Himmel und tat, als ob sie etwas Heiliges be­graben hätte. Um sie her geschäftete der frische Wind, und vom Sträßchen herüber kam Peitschenknall.

Zwei Breaks fuhren schon am Vormittag über den Berg, am Nachmittag kehrte eine Gesellschaft aus Kolmar im Hauſe ein, Deutsche, Herren und Damen, die die Mägde in Atem hielten. Dann kam die Fanfare von Schlettstadt mit der Fahne, und die Weide hallte von ihren schmetternden Märschen. Es war ein Laufen und Rennen, Absträngen und Anschirren den ganzen Tag, bis spät in die Nacht. Als der Mond hinter dem Wald hervorkam, und ein Trüpplein ver­späteter rosiger Wölflein vor sich hertrieb, da wurde es still auf dem Florimont. Aus allen Fenstern war der Lärm ent­wichen, jetzt brannten die Lampen ruhig, und in der Küche Klapperten die Catherine und die Sommermagd mit Tellern

Daniel starrte still vor sich hin. Da legte Florence ihm die Hand auf das Knie und und Gläsern. sprach leise:

" Ich weiß noch eins, das allerschönste."

Na, sag's," erwiderte er mechanisch und sah nicht ein­mal auf.

Das Kind zögerte ein Weilchen, dann drängte es sich leicht an ihn, rieb die Backe an seiner Schulter und sprach mit einer Stimme, die ganz leise zitterte vor innerer Erregung und mit einem tiefen, glücklichen Ausdruck:

a

Mein liebster Freund, das ist mein Vater.. Sie saßen alle ohne sich zu rühren, und als es fertig war, schneuzte sich das Nettele mit lautem Schall und seufzte: " Jesus , wenn das die Mutter noch erlebt hätt'! Kind, das sie auf der Holzbeige"

-

Das

,, Und ist gewiß kein Tanz morgen?" fragte das Salmele. Wenn's der Herr gesagt hat, dann ist keiner," ant­wortete Catherine kurz.

" Ja, der Herr, das ist einer," murrte die andere. Aber wenn sie kommen und d' Musik mitbringen, hernach tanzen wir doch noch. Der Jacques ist mir gut dafür."

" Der Jacques? Welcher Jacques, der von der Ferme Hüß? Der soll Dir wegen mir das Bett machen, aber zu fommandieren hat der nir auf dem Florimont."

Und Catherine lachte spöttisch auf. Später aber raunte sie dem Nettele zu, was das Salmele ihr verraten hatte, und Nanette wurde besorgt. Daniel aber ließ sie gar nicht zu Worte kommen, als sie davon zu reden begann.