und w!r könnten immer noch das westliche Aermelmcer mit demOzean vertauschen.Der Morgen erwacht. Der Himmel ist ganz klar, zart grün-blau. Heber die Wiesen und Weiden, über Heiden und Wald fliegendie Nebel, sacht, langsam, in feierlichen Gespensterzügen. Undmählich, mählich tönt ein blasses Rosa am Horizont herauf. Baldmuß die Morgenröte kommen. Bald mutz die Sonne erwachen.Noch aber scheint in die Dämnicrfrühe der blasse Glanz des Mondes.Die Landschaft liegt da, als wäre sie in Silhouetten geschnitten— deutlich der Gegensatz von Dunkel zu Hell, alles Fläche. DieBäume, die Berge, die wenigen Menschen, die Häuser, alle? Fläche.Man möchte die Schere nehmen und die Bilder aus Papier schneiden.Sie wären alle phantastisch, diese Bilder— die Umrisse der Bäume,der Berge, des Waldes, der Dörfer. Seltsame Linien, Biegungen,Ecken, Rundungen, seltsame Zcrknitterungcn, Schnörkclungen, seit-same Zusammenstellungen, hart zu weich, ruhig zu knitterig. Esist eine Lust, dem beständig nachzusehen. Eine Lust, die Phantasiedamit spielen zu lassen. Eine Lust, Bildchen um Bildchen in derFensterscheibe sich umrahmen zu lassen.Und die Morgenröte wird satter, tiefer, leuchtender und steigthöher. Die Landschaft erhält Licht— und ganz zu gleicher Zeitauch Luft. Das ist seltsam, daß die Luft mit dem Licht eintritt,gleich als sei sie vom Licht erzeugt. Der Silhouetten- und Flächen-charakter verschwindet— alles bekommt Rundung, Durchsichtigkeitund Körper. Zuerst sinds die Bäume, die dem Spiele folgen— danndie festeren Gegenstände. Und wieder ein eigener Reiz— dieStämme stehen noch flächenhaft da. die Kronen sind schon körper-Haft. Und so zart, so duftig, mit ihren hellen Lichtlücken, mit ihremgrauen Körperschatten und mit den feinen wehenden Schleiern, diedurch sie hindurchziehen, sie umhüllen, sie freigeben, sich von ihnendurchreißen lassen und andere heranziehen, die in ihren Bestenhängen bleiben. Gleich mutz die Sonne aufgehen— ihre Strahlensind schon hoch in den Himmel hinaufgezogen— auf den Baumkronenschwankt ihr Glanz, auf den Dächern und Wänden der Häuser liegter breit und rein, und den Menschen, die auf den Wegen gehen, folgtschon ein bleicher Schatten nach, lang, dünn, gespenstisch. Das Lichtwill in die Helle wachsen, der Schatten ins Dunkel, damit sie die Weltbeherrschen können. Noch ein Weilchen nur, ein Weilchen nur.Alles ist Erwartung. Die Sinne zittern...Es ist uns ein kleines Unglück begegnet— an der Maschine istein Rohr im Dampfkessel geplatzt. Der weiße Dampf entweicht inmächtigen Wolken mit lautem Zischen und Strömen. Wir sitzen aufeiner kleinen Station fest. Was gilt uns der erwachende Morgen— hier sagen die Füchse den Wölfen gute Nacht. Wie lange wirddas dauern, bis wir weiter kommen I Eine Stunde Verspätunghaben wir schon. Aber ein französischer Beamter ist nicht ganz soein Bureaukrat wie ein deutscher.(Vielleicht ist das nicht richtig,denn ein Bureaukrat ist ein Bureaukrat und ein Beamter einBeamter, das ist etwas Absolutes.) Ein neuer Zug fährt ein. TerBahnvorsteher nimmt ihm kurzer Hand die Maschine und gibt sieuns, der neu eingelaufene Zug kann stehen. Der Automobilist hattemit belehrt, in diesem Nest— Chateau Gontier heißt es— gäbes ein grotzes Schloß, das neu restauriert sei. Ich danke. Diefranzösischen Staatsarchitckten, die alte Schlösser restaurieren—und wenn sie auch keine restaurieren— sind genau so übel wie diedeutschen. Da mache man sich nur nichts vor. Ein Ucbel wirddurchaus nicht besser dadurch, daß es ein französisches ist. Wir habennur so eine Schwäche dem Fremden gegenüber. Es gäbe nochmancherlei zu sagen— von Paris und seiner ganzen Ungegend, dieganz Frankreich ist,— was nicht so ist, wie es deutsche Federn be-schönigt haben, und es wäre gut, da mal eine tüchtige Auskehr zuhalten. Falsches und Unzulängliches und viel Nachplappcrci. Frei-lich, dieses Frankreich hat eines an sich— es verführt leicht; es ver-führt dazu, sich vieles nicht einzugestehen. Das Herz will nichtglauben, was die Augen sehen. Und manchmal wär's ja auch wirklichschade darum, wollte man das Jllusionsschlcierchen lüften. Aller-dings, wenn es gewisse Banausen tun sollten, die zwar nicht dasTalent, aber die Pflicht zu schreiben haben— Wohl ihrer Börse!— da tat ich mich lieber bedanken. Da freu ich mich lieber an derIllusion, denn sie ist mir mehr, als eine täppische Zerstörung gebenkann.Schiffsmasten, Segel, Wimpel, Fahnen, hoher Himmel, auf-steigende Sonne, weite, weite Wasserbläue— im jungen Morgendas Meer— fern noch, aber doch schon nahe— ist nicht der Wogen-ton schon in der Luft, schmecken unsere Lippen nicht schon den Salz-gehakt, frischt unsere Augen nicht die Feuchte! Wohl schon— desMeeres Ferne ist uns nahe. Wir grüßen sie. Alle Augen an denFenstern. Die Unterhaltung schweigt. Dann und wann ein Ruf, eineBeobachtung, ein Hinweis, eine Erklärung. Dann wieder nurSchauen, Suchen, Erwarten, nur Freude und Fülle— nur Gruß,nur Grüßen und Grüßen! Morgen und Meer, Leuchten und Weite.Der Zug hält an unserer vorläufigen Endstation, St. Nazaire,dem Handelshafen an der Mündung der Loire. Jachten, Segler undRiesendampfer harren der Ausfahrt. Hier ist die Welt offen. Wegegehen hier ins Unendliche hinaus— Wege ins Fremde und Neue—Wege zu Welten und Menschen.Kleines feullleton»sn. Versöhnung. Sie trafen sich wie auf Verabredung amBahnhof der vornehmen Villenkolonic und gingen gemeinsam zumMaurermeister Leopold, ihrem Verwandten. Ein großes Erstaunenwar unter ihnen: Leopold hatte sie zu„einer Tasse Kaffee undeiner Stulle" eingeladen,— Leopold, den die meisten von ihnenseit langen Jahren nicht gesehen hatten. Und nun— nachdem ersich eine Villa gebaut und sie eben bezogen— nun fielen ihmplötzlich die armen Verwandten wieder ein? Man schüttelte dieKöpfe. Und Tante Regina sagte gerührt:„'n jutes Herz hat erdoch."„Schlecht is er nie jcwcscn," bestätigte Lehmann, der Brief-träger.„Das mußte doch zujeben, Paule."Paul, der nachdenklich vor sich hingesehen, erwiderte:„Ich sag'ja nischt, Lehmann."„Na, Du hast'n doch immer'runtergerissen."Paul zuckte die Achseln:„Das liegt an mein Gedächtnis. HabtIhr denn schon verjcssen..„Olle Kamellen!" Lehmann wandte sich an die andern:„WißtIhr, was ich jlaube? Leopold legt uns heute was unter'n Teller.Wir kriejcn alles zurück."Paul lachte spöttisch; die anderen nickten eifrig. Sic warenmit der gleichen Hoffnung gekommen.Vor dem schwarzen, schmiedeeisernen Gitter mit goldbronziertcnSpitzen standen sie erst eine gute Weile in neuer Bewunderung.Ein sorgsam gepflegter Vorgarten stieg leicht zu einer kleinen An-höhe hinan. Auf dieser erhob sich ein mittelgroßes Gebäude mitErkern und Türmchcn.„Herrschaft, wie jroßartig!" Lehmann zog beinahe den Hut.Und Tante Regina murmelte:„Ich hab's immer jesagt: derLeopold!"Paul aber wies spöttisch lachend auf ein Feld über der Haustür:zwei leichtgeschürzte Grazien schwangen Girlanden um'den inGoldschrift gemalten Spruch:„Arbeit ist des Bürgers Zierde,Segen ist der Mühe Preis."„So is es," sagte Tante Regina.„Manchmal," nickte Paul.„Manchmal auch nich."Lehmann hatte schon auf den weißen Knopf der elektrischenKlingel gedrückt.Gleich darauf kam ein knirschender Tritt auf dem gelben Kies-wcge herunter: Leopold selbst, ein angehender Fünfziger mit spär-lichem Haar und kleinen, schlauen Augen.„Na, da seid Ihr ja, Kinder! Das is aber famos, die janzeBlase auf einen Haufen!" Er schüttelte jedem jovial die Hand undschob sie durch die Pforte:„Rein niit Euch, Ihr Rasselbande.Hermann und Maxe sind schon da." Er schlug Paul auf die Schulter:„Heut' woll'n wir mal verjnügt sein, was, oller Junge?" Es waretwas Unsicheres in seiner Stimme.„Abwarten!" Paul sah ihn an.Leopold wandte sich ab:„Immer noch der olle Sauertclip!"Ein künstliches Lachen.„Also zuerst besichtigen wir mal die Chose,was? Komm' her, Rejinchen." Er nahm ihren Arm. Sie lächeltestolz.Hermann und Max kamen mit schon etwas geröteten GesichternauS einer Laube und schloffen sich den übrigen an.Dann wanderte» alle unter Führung des Gastgebers durch denGarten, in den weiten, luftigen Keller, höher hinauf die tcppich-belegten Treppen durch alle Etagen bis zum Boden. Kein Zimmerblieb ungesehen. Uebcrall drängte der Eindruck einer heraus-fordernden Wohlhabenheit sich auf.„Na, was sagt Ihr dazu?" Mindestens einmal in jedem Räumebekamen's die Besucher zu hören.Leopold sonnte sich an ihrem Erstaunen, ihrem schlecht ver-hüllten Neide. Nur einer war ihm unbequem: Paul. Der sahmehr auf den Besitzer als auf den Besitz— und sah, wie zuweilender Spott aufleuchtete in den kleinen schlauen Augen.In der hellen, luftigen Veranda war der Kaffeetisch gedeckt.Auf dem schneeweißen Leinen blitzte es von Silber, leuchtete echtesPorzellan.Sie wagten sich kaum heran.Oben, an der Schmalseite des Tisches, nahm der HausherrPlatz. Neben ihm Tante Regina, die ihn begeistert anblickte. Ihnenzunächst Max und Hermann, die Vertrauten Leopolds. Daun dieübrigen.Lehmann sah gleich unter den Teller, aber er blickte enttäuschtauf,— da war nichts— nichts.Paul lachte laut und rührto in seiner Tasse.Leopold schlug mit dem Zuckerlöffel an die Tasse. Erwartungs-volle Stille.„Also, Kinder, bloß'n paar Worte. Ihr habt Euch jewundert— von wegen der Einladung. Mit Recht. Wir haben lange Jahrenich besonders mit'nander jcstanden. Das is nich hübsch unterVerwandten. Wir woll'n nich untersuchen, wer eijentlich die Schuldhat. Kurz und jut: verjessen wir. Deshalb Hab' ich Euch ein»jeladen, meine Villa zu besichtigen, damit Ihr seht: stolz bin ichnich. Ich finde es jeradezu jemein, wenn einer zu was kommt unddann hochnäsig auf seine armen Verwandten'.runterguckt,"„Armen?" fragte Hermann.