- 734—Leutnant Bei Ausführung dienstlicher Obliegenheiten vor feinemVorgesetzten keine Haltung anzunehmen weiß... Du Hunde-seele," wandte sich Schulgowitsch an Scharafutdinow,„wer istDein Regimentskommandeur?"„Kann ich nicht wissen," erwiderte der Tatar nieder-geschlagen, aber schnell und Bestimmt.„U— Uh!... Ich frage Dich, wer Dein Regiments-kommandeur ist? Wer Bin ich? Ich, ich, ich, ich, ich!...Verstanden?" Und Schulgowitsch schlug sich einige Male mitaller Kraft vor die Brust.„Kann ich nicht wissen."Ter Oberst schimpfte mit einem langen, verwickelten, ganzgemeinen Wortschwall.„Hauptmann Sliwa, lassen Sie ge-fälligst diese Hundeseele sofort in voller Ausrüstung untersGewehr treten. Mag die Kanaille unterm Gewehr verfaulen.Sie, Herr Leutnant, denken mehr an Unterröcke als an denDienst. Schwingen das Tanzbein, lesen Paul de Kock."„Ist das ein Soldat?" stieß er Scharafutdinow mit demFinger gegen die Lippen,„das ist— eine Gemeinheit, eineSchande, ein Ekel, aber nicht ein Soldat!..."Romaschow blickte in das rote, erregte Gesicht und fühlte,wie vor Scham und Erregung sein Herz hämmerte und es vorseinen Augen dunkel wurde... Und plötzlich, fast unerwartetfür sich selbst, sagte er dumpf:„Es ist ein— Tatar, Herr Oberst. Er versteht keinRussisch, und außerdem..."Sofort wurde Schulgowitsch's Gesicht leichenblaß, diewelken Wangen zitterten, und die Augen erschienen leer undfürchterlich.„Was?" Brüllte er mit so unnatürlich lauter Stimme,daß die Judenbuben, die auf der Chaussee auf dem Zaunesaßen, wie Spatzen nach verschiedenen Seiten auseinanderflogen.„Was? Sie wollen noch reden? Mau— aul halten!Der Grünschnabel von Fähnrich erlaubt sich... LeutnantFedorowski, rapportieren Sie im heutigen Tagesbefehl, daßich Unterleutnant Romaschow wegen Unkenntnis der mili-tärischen Disziplin vier Tage Hausarrest zudiktiere. Haupt-mann Sliwa aber erteile ich einen strengen Verweis, weil erseinen jüngeren Offizieren nicht das richtige Verständnis fürDienstpflichten Beizubringen weiß."Der Adjutant machte ehrerbietig und kühl Honneur.Sliwa stand mit hölzernem, ganz ausdruckslosem Gesicht krummda und hielt die ganze Zeit über seine zitternde Hand amMützenschirm.„Schämen Sie sich. Hauptmann Sliwa," Brummte Schul-gowitsch, der sich allmählich beruhigte,„einer unserer bestenOffiziere im Regiment, alter Haudegen, und läßt die Jugendso verwahrlosen. Nehmen Sie die Leute schärfer'ran. zwiebelnSie sie ohne Erbarmen. Keine Umstände machen, sind keineDamen, die zerfließen..Er wandte sich kurz um und ging in Begleitung desAdjutanten zum Wagen. Und während er sich hinsetzte, undwährend der Wagen auf der Chaussee umwandte und hinterder Rottenschule verlchwand— herrschte auf dem Platze eineBange, unentschlossene Stille.„Ach Leute!" meinte einige Minuten später, als dieOffiziere nach Hause gingen, Sliwa verächtlich, trocken undunfreundlich,„reitet Euch der Dcubel zu reden; hättet Ihrnur stillgestanden und geschwiegen, wenn auch der Herrgottselbst niedergesüegen wäre! Jetzt beianmc ich Ihretwegen imRapport einen Verweis; wer zum Teufel hat mich in IhreRotte geschickt? Brauche sie so wenig, wie der Hund das fünfteBein; sollten am Lutschbeutel saugen, aber nicht..."Er sprach nicht zu Ende, schwenkte müde die Hand, drehtedem jungen Offizier den Rücken zu und schleppte sich ganzkrumm und gebückt nach Hause in seine schmutzige, alte undkalte Wohnung. Romaschow sah ihm nach, blickte auf seinenverdrießlichen, schmalen, langen Rücken und fühlte plötzlich, daßtrotz der kürzlichen Kränkung und des öffentlichen Skandalsin seinem Innern Mitleid mit diesem einsamen, rauhen, vonniemand geliebten Manne sich regte, der in der ganzen Weltnur zwei Obliegenheiten kannte: dienstliche Akkuratesse seinerRotte und tägliches, sülles, einsames Sich-betrinken abends—«zur Erlangung der nötigen Bettschwere", wie die alten Sauf-kumpane sich ausdrückten.Und weil Romaschow die etwas lächerliche, naive, beijungen Leuten sehr häufige Gewohnheit hatte, von sich selbstin der dritten Person, in schablonenhaften Romanausdrückenzu denken, sc äußerte er auch jetzt innerlich:„Und seine guten, ausdrucksvollen Augen überzogen sichmit einer Wolke von Gram...'2.Die Soldaten gingen zugweise ins Quartier. Der Platzwurde leer. Romaschow stand eine Zeitlang unentschlossen aufder Chaussee. Es war nicht das erstemal, daß er währendseiner anderthalb Dienstjahre als Offizier dieses quälendeGefühl der Einsamkeit, des Verlorenseins unter fremden, ihmmißgünstig gesinnten oder gleichgültigen Leuten empfand—dieses traurige Gefühl, nicht zu wissen, wo er den heuttgenAbend zubringen sollte. Seine Wohnung, das Offiziers-kasino waren ihm verhaßt. Im Kasino war es jetzt öde; sicherspielten da zwei Fähnriche auf dem schmutzigen kleinen Billard,tranken Bier, rauchten, fluchten und schimpften bei jedem Ballfürchterlich: in dem Räume lag ein abgestandener Geruch vonschlechtem Wirtshausessen— schrecklich!...„Ich gehe zum Bahnhof," sprach Romaschow mit sich selbst.„Ganz egal."In der ärmlichen jüdischen Ortschaft war nicht einRestaurant. Die Kasinos für das Militär wie das Bürger-liche Kasino Befanden sich in höchst traurigem, ödem Zustande,und deswegen bildete der Bahnhof den einzigen Ort, wo dieBewohner bisweilen zechten und aus sich herausgingen, jasogar Karten spielten. Selbst Damen fuhren zur Ankunft derPassagierzüge hin, woraus ihnen wenigstens eine kleine Ab-wechselung in der traurigen Oede des Provinzlebens erwuchs.Romaschow liebte es, abends zum Kurierzuge zur Bahnzu gehen, der hier zum letzten Male vor der preußischenGrenze hielt. Mit sonderbarem Gefühl, fast erregt beobachteteer,'wie der nur aus fünf neuen, glänzenden Wagen bestehendeZug schnell hinter der Biegung hervorjagte und mit Voll-dampf an die Etation heranfuhr; wie seine Feueraugen schnellwuchsen und Brannten, vor sich auf die Schienen helle Fleckewarfen, und wie er, schon im Begriff, die Statton zu durch-fahren, plötzlich zischend und donnernd anhielt—„wie einRiese, der sich im vollen Lauf an einen Felsen klammert,"dachte Romaschow. Aus den durch und durch hell und festlicherleuchteten Waggons traten hübsche, schön gekleidete, feineDamen mit auffallenden Hüten und in ungewöhnlich schönenKostümen; kamen vornehme, fein gekleidete, unbekümmerte,bessimmt auftretende Herren mit lauten, gebietenden Stimmen,Franzosen und Deutsche, die sich frei bewegten und nachlässiglachten. Niemand von ihnen verwandte jemals auch nur ganzflüchtig die geringste Aufmerksamkeit auf Romaschow; der abererblickte in ihnen Wesen aus einer ihm unzugänglichen, aus-erlesenen, herrlichen Welt, in der das Leben ein ewiger Fest-und Feiertag war...Acht Minuten vergingen. Es läutete; die Lokomotivepfiff und der beleuchtete Zug verließ die Statton. Schnellwurden die Lichter auf dem Perron und am Büfett ausgelöscht.Mit einemmal herrschte wieder düsteres Alltagsleben. UndRomaschow verfolgte stets lange mit leiser, traumhafter Be-kümmernis die rote Laterne, die hinten am letzten Wagengleichmäßig schaukelte lind, zu einem kaum bemerkbarenFllnkchen geworden, schließlich in der nächtlichen Finsternisverschwand.„Ich gehe zum Bahnhof," dachte Romaschow, aber alsbaldblickte er auf seine Galoschen und wurde rot vor brennenderSchani. Es waren schwere, bis oben hin mit schwarzem, wieTeig so zähem Schmutz bedeckte anderthalb Tschetwert ttefeGummigaloschen. Solche Schuhe trugen alle Offiziere imRegiment. Dann sah er seinen Mantel an, der ebenfalls wegendes Schmutzes ringsum bis an die Knie abgeschnitten war,an den: Fransen herabhingen, die Knopflöcher ausgerissen undbeschmutzt waren— und seufzte. Als er letzte Woche aus demPerron am Kurierzuge vorbeigegangen war, hatte er eine hohe,stattliche, sehr hübsche Dame im schwarzen Kleide bemerkt, diein der Tür eines Waggons erster Klasse stand. Sie war ohneHut, und Romaschow konnte schnell, aber genau ihre feine,regelmäßige Nase, die reizenden kleinen, vollen Lippen und dasglänzende schwarze, wellige Haar sehen, das vom geradenScheitel mitten auf dem Kopf zu beiden Seiten auf die Wangenherabfiel und die Schläfen, die Enden der Augenbrauen unddie Ohren bedeckte. Hinter ihr stand ein großer junger Mannin hellem Anzug mit anmaßendem Gesicht und a In Haby hochgedrehtem Schnurrbart; er blickte der Dame über die Schulter.Die Dame sah ebenfalls nach Romaschow hin und zwar, wieihm schien, mit unverwandter Aufmerksamkeit, und als derLeutnant an ihr vorüberging, dachte er seiner Gewohnheitgemäß:„Die Augen der schönen Unbekannten ruhten mit Wohl-gefallen auf der stattlichen, hageren Gestalt des jungenOffiziers."(Fortsetzung folgt.)