736 Tauben bekam man ebenfalls schon für 1<1 Kopeken 18 20 Pf das Paar. Es wollte mir zuerst gar nicht einleuchten, daß eine politische und geographische Grenze auch in den Wirklichkeitsverhältnissen zweier so eng bei einander liegenden Ortschaften einen so ein- schneidenden Unterschied in der Lebensführung machen kann. Aber links von der Drewenzabrücke steht auf sauberen, schwarz- weißen Pfählen das Wort:Preußen", und da hat alles stramm zu stehen. Und rechts sind die etwas weniger sauberen Planken rot gestrichen, und da liegt alles auf dem Bauche, sogar die Grenz- wachen, die sich behaglich auf den Kartoffeläckern rekeln. Nur dürfen sie dabei niemals den Finger vom Gewehrhahn lasten, denn die Grenzen werden scharf bewacht und Punkt 3 Uhr abends wird Ruß land zugeschlossen. Ich mutzte immer an das Andersensche Märchen denken:Da ging der Prinz in sein Königreich und schloß die Tür hinter sich zu. Das große Tor inmitten der Brücke klappt zu, und keine Maus dar mehr hinüber. Die einzigen, die die Grenze selbst dann nicht respektieren, sind die polnischen Marinkas und Katinkas von der preußischen Seite, die ihren kriegerischen Kosakenschatz auch nach 3 Uhr abends noch mühselig durch Gitterstäbe hindurch küssen. Theater. L e s s i n g t h e a t e r. Benignens Erlebnis. Zwei Akte von E. von Keyserling. Hanneles Himmel- fahrt. Trauiiidichtung von Gerhart Hauptmann.   Mit unvergleichlich größerer Spannung als die Premiere wurde Hauptmanns wundervolle Traumdichtung erwartet. Seit langem ist das Stück in Berlin   nicht mehr gespielt. Die Direktion des Kgl Schauspielhauses, in dem dasHannele" vor mehr als einem Jahr- zehnt seine Erstaufführung erlebte, hat das Rollcnwidrige eines solchen Seitensprungs, sei es in nachträglicher Selbstprüfung, sei es auf einen Wink von oben, bald eingesehen und das einzige bcdcut- same moderne Drama, das überhaupt je Einlaß in diese geheiligte Stätte offizieller Tradition gefunden, prompt aus dem Repertoire gestrichen. Hauptmann ist kein hoffähiger Poet; werDie Weber  geschrieben, rangiert zur Rinnsteinkunst. Die Hannelcszencii werden leben, wenn von dem Lebenswerk des Dichters viel, das meiste schon vergessen sein wird. So ergreifend, so loahr und tiefsinnig bedeutsam hat noch kein Dramatiker Wirk- lichkeit und Traum in eins gesponnen. In den Fiebcrvisionen des zertretenen, licbcbcdürftigen Kindes, das im Armenhaus sein Leben aushaucht, enthüllen sich all seine still verschwiegenen Seelengeheim- nisse, enthüllt sich darüber hinaus in individuellster Form ein All- gemeines, jener uralt ewige Zusammenhang von Leiden und Glauben, der Ursprung religiöser Vorstellungen aus den Wünschen und Bc- dürfnifsen des im ausweglosen Elend verschmachtenden Herzens. Die gleiche Sehnsucht, die Hannele   zur bunten, frohen Märchenwelt zieht, lebt auch in ihrem Christus- und Himmelsglaubcn; wunderbar zart und rührend hat Hauptmann das Ineinanderfließen dieser beiden Welten in Hanneles Phantasien dargestellt; ihr Christus ist ein echter Märchcnchristus, trägt die verklärten Züge des sanften Lehrers Gottwald, zu dem ihr Mädchensinn in schwärmerischer Liebe aufschaut. Immer glänzender, herrlicher lvcrdcn die Bilder, die sie träumt. Angetan wie eine Prinzessin liegt sie im gläsernen Sarge, ehrfurchtsvoll, jedes Unrecht ihr abbittend, drängen sich die Schul- kinder um sie, die Nachbarn flüstern, sie sei eine Heilige, Gottwald- Christus scheucht den rohen Peiniger, den Stiefvater, hinweg, heißt sie liebevoll aufstehen und verkündet die Herrlichkeit der Himmels- sluren, die Engel singen. Da plötzlich erlischt das Licht; das Armen- haus ist wieder Armenhaus, der Doktor beugt sich über Hanneles wundenbedecktcn Körper. Trüb nickt er der Krankenschwester zu: das Kind ist tot. Die Aufführung bot vieles Treffliche. Oskar Sauer spielte !den Lehrer Gottwald, Else Lehmann   die freundliche Kranken- schwester, die in der Gestalt der toten Mutter erscheint, ein Fräulein Ida Orloff  , die das Kindliche mit sicherem Instinkte traf, gab das Hannele  . Freilich, gemessen an dem mächtigen Eindruck, den die Dichtung beim Lesen macht, entsprach die Wirkung nicht völlig der Erwartung. Hier und da störte etwas in der Deklamation. Die Verse, die die drei Engel sprachen, klangen.im Tonfall wenig uberirdisch, und Hedwig Pauly blieb in ihrer kleinen, aber für die Stimmung außerordentlich wichtigen Episodenrolle trocken monoton. Vor allein aber verlangsamt jede Aufführung naturgemäß das Tempo, indem die Eindrücke beim Lesen auseinanderfolgen. Sie kann das rasch Vorüberhuschende, was doch zum Wesen des Traumes gehört, nicht ungeschmälert wiedergeben. Immerhin, eS war eine Erschütterung, wie man sie selten im modernen Theater erlebt. Die voraufgehenden zwei Akte des Grafen Keyserling, des Ver- faßcrs von.Frühlingsopfer", brachten es trotz der warmen Auf. uahme, die sie in München   gefunden, hier nur zu einem lauen Achtungserfolge. Der Stoff hätte von dem feinfinnigen Erzähler zu einer sehr interessanten Novelle verarbeitet werden können, aber bei der Einzwängung in die dramatische Form ist das, woraus es ankam die Psychologie Benignens, in ziemlich kümmerlichen An- fatzen stecken geblieben, hat die Gegenüberstellung der Personen und die_»Handlung" ebenso wie der Dialog etwas thesenhast Kon- struiertes erhalten. Benigne leidet unter dem öden Gleichmaß ihres tomteyenlebens. Keinen Ton aus der Welt da draußen, so will es der alte, konservative, kränklich-zänkische Baron, soll durch die Mauern seines Wiener   Schlosses dringen. Sie, die Gehegte und Gepslegte, träumt von Freiheit, Sturm und Drang  , Abenteuern und Leidenschaften, von einerWirklichkeit", die ihre matten Nerven auf- peitschen soll. Da wird ein Mensch aus dieser fremden Welt, ein im Revolutionskampf verwundeter Student das Stück spielt in dem Wien   des Jahres 48 ins Schloß gebracht. Sie will ihn hüten, endlich einen Roman mif ihm verleben. Aber nun trifft das sen- sationslustige Fräulein ein Hauch der schmerzhaft wahren Wirklich- keit. Die Wunde ist ernsthaft, bar jeder Poesie, und der Sterbende stößt in ächzendem Todeskampf die romantische Dame von sich. Ein rauher Windstoß, und sie flieht zurück in die wattierte stille Schein- Welt, von der der philosophische Onkel sagt, daß in ihr alleinSchön- heit" gedeihen könne. Die Darstellung des kleinen Stimmungs- bildchens, in dem Irene Driesch, Margarete Albrecht, Reicher, Bassermann und M a r r zusammenwirtten, war vollendet.' dt. Medizinisches. hr. Nachwirkungen der Leuchtgasvergiftung. Häufig genug kommen Vergiftungen durch Leuchtgas   bor. meist durch Unvorsichtigkeit, seltener absichtlich zum Zweck des Selbstmordes. Das Leuchtgas wirkt wie alle Kohlcngase auf das Blut, der rote Blutfarbstoff wird verändert und verliert die Fähigkeit, in der Lunge den für die Vorgänge des Lebens so notwendigen Sauerstoff auf- zunehmen. Eine Art Erstickungstod tritt ein. Kommt rechtzeitig Hülfe, wird den Lungen statt des Leuchtgases Luft zugeführt, so kann eine Erholung und oft sogar eine völlige Gesundung eintreten, so daß die mit Leuchtgas   vergiftete Person späterhin keine nach» teiligen Folgen zu tragen hat. Visweilen hat aber die geschilderte Veränderung des Blutes zur Folge, daß einzelne Körperteile, die besonders empfindlich auf eine Zufuhr veränderten, verdorbenen Blutes antworten, schwer erkranken, so daß als mittelbare Folge der Gasvergiftung sogar noch nach Wochen der Tod eintritt. In dieser Hmsichl sehr lehrreiche Fälle beschreibt Dr. Krenrbholz in der Wiener Mediz. Wochenschrift". In einem Fall trat nach Tagen eine Erweichung einzelner Gehirnteile auf, die sich in schwerer, geistiger Störung und Unfähigkeit, die Sprache zu gebrauchen, äußerte. Eine Heilung erfolgte nicht. Der zweite Fall zeichnete sich dadurch aus, daß zunächst mehrere Tage nach der Vergiftung mir Leuchtgas an der Haut des Bauches dunkle Flecken auftraten, sie wurden im weiteren Verlaufe brandig, zerfielen und wurden schließ- lich der Sitz einer eitrigen Entzündung. An diese schloß sich eine Blutvergiftung an und die Patientin starb. Solche Fälle mahnen doppelt zur Vorsicht, denn nicht baldiger Tod oder baldige.Heilung find nach Lcuchtgaseinatmung zu gewärtigen, sondern oft auch schweres Siechtum oder langes qualvolles Leiden mit tödlichem Ausgange. Humoristisches. Kann stimmen. Kornmerzienrat(verschiedenen Gästen sein kürzlich erworbenes altes Schloß zeigend):Was meinen die Herren, wie lange der Efeu hier schon wuchert?" Gast:Na. jedenfalls schon länger wie Sie. Herr Kornmerzienrat!" Ausrede. Richter(zum Angeklagten):«Sie haben den Kläger wiederholt einen saudummen Kerl genannt!" Bauer:Ja. er i« a Weng schwerhörig!" Ein Choleriker.I nmß wen hab'n, an dem i als mesi Wut auslassen loa. Entweder i Heirat' oder i schaff' mir a Tölephon an." (Meggendorfer-Blätter.") Notizen. Im Verlage von Johann Sassenbach  , Berlin  , er- scheint demnächst unter dem TitelAus Welt und Ein- s a m k e i t" ein neuer Band Gedichte von Otto Krille  . Preis 60Pf. Die Liebesmüden", ein neue« dreiaktiges Lustspiel von F e l i x D ö r m a n n. ist im Verlage der Wallishaußerschen Buchhandlung in Wien   erschienen. t. Ein neues Wort wurde gelegentlich eines»jüngst in London   abgehaltenen Kongresses für Gesundheitspflege gemünzt. Es trifft allerdings zunächst auf Londoner   Verhältnisse zu, dürste sich vielleicht aber auch in anderen Großstädten einbürgern. Es lautetSmog" und ist zusammengezogen an? den englischen Worten«mok«(Rauch) und fog(Nebel). Daraus wird seine Bc- deutung bereit? genügend klar, denn es bezeichnet einen� schwarzen Nebel, wie er sich in Städten mit lebhafter Industrie während der kälteren Jahreszeit häufig bildet, für London   aber geradezu berühmt oder vielmehr berüchtigt ist. Das dreiaktige SchauspielMoschus" von E r n st vom Hofe ist vom Raimund-Theater in Wien   erworben worden. Die OperDaS ewige Feuer" von Richard Wetz  kommt in diesem Winter im Stadt-Theater zu Hamburg   zur ersten Aufführung.   ie. Argentinien   hat die gesamte Ausstattung der ein- gegangenen Wetterwarte aus dem Ben Newis, dem höchsten Gipfel Großbritanniens  , angekauft. Die südamerikanische Republik oe- absichtigt, eine Reihe antarktischer Stationen für meteo­rologische und magnetische Beobachtungen zu schaffen. Verantw. Red. Heinrich Wetzker, Groß-Lichterfelde  . Druck und Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u. Verlagsanstalt Paul Suigec S-Eo.. Berlin   L�V.