Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 188.

6]

Das Duell.

Roman von A. Kuprin .

Mittwoch, den 27. September.

( Nachdruck verboten.)

Einzig autorisierte Uebersetzung von Adolf He ß. " Ich kann nicht, kann nicht hier bleiben, Romotschka! Begreifen Sie das doch! Hierbleiben bedeutet für mich geistiges Verwahrlosen, eine Regimentsdame werden, Ihre wüsten Abende besuchen, flatschen, intrigieren, sich über Dienst- und Wegegelder zanken... über die paar Groschen... brrr mit Freundinnen der Reihe nach die beliebten Tanzabende" veranstalten, Wint( Kartenspiel) spielen... Sie sagen, es ist bei uns gemütlich. Ja, sehen Sie sich doch um Gottes willen dieses bürgerliche Wohlergehen ein wenig näher an! Dieses Filet- Guipure, das ich selbst gestickt habe, dieses Kleid, das ich selbst gearbeitet, diejen ekelhaften rauhen Teppich aus fleinen Lappen... Scheußlich, scheußlich! Be­greifen Sie doch, lieber Romotschka, daß ich Gesellschaft brauche, große, wirkliche Gesellschaft, Welt, Musik, Anbetung, zarte Schmeichelei, verständige Freundinnen. Sie wissen, Wolodja hat das Pulver nicht erfunden, aber er ist ein ehrenhafter, fühner, fleißiger Mann. Wenn er nur in den Generalstab kommt, so schwöre ich, ich bewirke ihm eine glänzende Karriere. Ich verstehe Sprachen, weiß mich in jeder Gesellschaft zu benehmen und befize ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll, so viel geistige Regsamkeit und Beweglichkeit, daß ich mich überall zurechtfinde, mich allem anpassen kann... Endlich, Romotschka, sehen Sie mich einmal an, sehen Sie mich aufmerksam an. Bin ich als Mensch wirklich so uninteressant und als Frau so wenig hübsch, daß ich mein ganzes Leben in dieser Einöde, in dieser eklichen Ortschaft, die auf keiner Landkarte verzeichnet steht, vertrauern muß?"

-

Und sie bedeckte schnell das Gesicht mit dem Taschen­tuch und brach plötzlich in böses, eigenwilliges, stolzes

Weinen aus.

Ihr Gatte, der nichts verstand, eilte beunruhigt mit zer­sirentem Ausdruck sofort zu ihr hin. Aber Schurotschka hatte fich schon wieder in der Gewalt und nahm das Tuch vom Gesicht. Tränen gab es nicht weiter, wenn auch die Augen in bösem, leidenschaftlichen Feuer leuchteten.

Laß nur, Wolodja, laß, Liebster," wehrte sie ihn mit der Hand ab. Dann wandte sie sich schon wieder lächelnd Romaschow zu, nahm ihm abermals den Faden aus der Hand und fragte mit kapriziösem und kokettem Lächeln:

1905

Gleichzeitig blickte er von der Seite unmerklich, aber un­verwandt auf ihren gesenkten Kopf und sprach, kaum die Lippen bewegend, in leisem Flüstertone, als wenn er mit Schurotschka ein intimes, zärtliches Gespräch führte, in sich hinein:

Wie verwegen hat sie gefragt: Bin ich hübsch? O, Di bist schön! Liebe! Hier size ich und sehe Dich an welches Glück! Hör doch: Ich will Dir erzählen, wie hübsch Du bist. Söre. Du hast ein blasses, brännliches Geficht voll Leiden­schaft. Und in ihm sind rote, brennende Lippen wie müssen die küssen! Und Augen, von gelblichen Schatten umgeben... Wenn Du geradeaus blickst, ist das Weiße Deiner Augen fast blau, und in den großen Pupillen schimmert ebenfalls trübes, tiefes Blau. Du bist nicht brünett, aber haft etwas Zigeuner­artiges an Dir. Dafür ist Dein Haar so rein und zart und hinten mit so affuratem, naiven und erfahrenen Ausdruck in einen Knoten geschlungen, daß ich es leise mit den Fingern berühren möchte. Du bist klein, Du bist leicht, ich könnte Dich mit der Hand aufheben wie ein Kind. Aber Du bist ge­schmeidig und hast eine starke Brust wie ein Mädchen; Deine ganze Gestalt ist stürmisch beweglich. Auf dem linken Ohr unten hast Du ein kleines Muttermal wie vom Ohrring das ist reizend!...

Haben Sie in der Zeitung nichts vom Offiziersduell gelesen?" fragte plötzlich Schurotschka.

Romaschow fuhr zusammen und riß mit Mühe den Blick von ihr los.

" Nein, ich habe nichts gelesen. Aber gehört. Was soll das?"

,, Natürlich haben Sie wieder mal nichts gelesen. Wirk­lich, Jurij Alerejitsch, Sie verkommen. Meiner Meinung nach ist da wieder ein Skandal passiert. Ich verstehe: Duelle zwischen Offizieren sind unumgänglich und höchst vernünftig".

Schurotschka preßte überzeugt ihre Stickerei gegen die Brust. Aber warum diese Tattlosigkeit? Denken Sie doch: Ein Leutnant hat einen anderen beleidigt. Die Beleidigung ist schwer.. Das Ehrengericht bestimmt ein Duell. Dann aber fommt der Unsinn und Blödsinn. Die Bedingungen sind einfach eine Hinrichtung: Fünfzehn Schritte Distanz, Sugelwechsel bis zur schweren Verwundung eines der beiden Gegner... Wenn beide noch auf den Füßen stehen, wird weitergeschossen. Das ist ja die reine Schlächterei, das ist Ich weiß nicht was! Aber warten Sie, es fommt noch besser. Auf den Plat, wo der Zweikampf stattfindet, kommen alle Offiziere des Regiments, beinahe sogar die Regimentsdamen, und im Gebüsch sitzt irgendwo ein Photograph. Das ist ab­scheulich, Romotschka! Und der unglückliche Unterleutnant oder Fähnrich wie Wolodja sagt, so in Ihrer Art-noch dazu der Veleidigte und nicht der Beleidiger erhält beim dritten Kugelwechsel eine fürchterliche Wunde in den Leib und stirbt am selben Abend unter entsetzlichen Qualen. Dann stellt sich heraus, daß er eine alte Mutter und eine Schwester, ein ältliches Fräulein, hat, die bei ihm lebten, wie bei unferent Michin... Nun sagen Sie doch nur: Warum, weshalb war es nötig, aus dem Zweikampf eine so blutige Poffe zu Sie find sehr hübsch! machen? Und beachten Sie wohl, das geschieht in der ersten Schurotschka drückte die Augen fest zusammen und Zeit, nachdem die Duelle bei uns erlaubt sind. Und glauben schüttelte mutwillig den Kopf, so daß das Haar sich löste und Sie mir, glauben Sie!" rief Schurotschka, mit brennenden ihr in die Stirn fiel. Augen: sofort erheben die sentimentalen Gegner von Offi­ziersduelleno, ich kenne diese verächtlichen, liberalen Hasen­füße sofort erheben sie ein lautes Geschrei: O, diese Barbarei! O, diese Ueberbleibsel aus dem Mittelalter! O, dieser Brudermord!

,, Antworten Sie doch, ungefüger Romotschka: bin ich hübsch oder nicht? Wenn ein Weib um ein Rompliment bittet, ist es schon mehr als unhöflich, ihr nicht zu ant worten!"

" Schurotschka, schämst Du Dich nicht?" meinte Nikolajew seinerseits bedächtig.

Romaschow lächelte gezwungen- verlegen, antwortete aber plötzlich mit ganz wenig zitternder Stimme ernsthaft und traurig:

11

Romotschka, was sind Sie lächerlich!" sang sie mit dünner Kinderstimme. Der Unterleutnant aber errötete und dachte seiner Gewohnheit gemäß

rissen

Sein Herz wurde von grausamen Schmerzen zer­

11

Alle schwiegen. Schurotschka rührte schnell die Nadel. Wladimir Jefimitsch, der aus Toussaint und Langenscheidts Selbstunterrichtsmethode deutsche Säge überfekte, brummte leise vor sich hin. Man hörte, wie die Flamme in der Lampe unter dem gelben, seidenen, kappenförmigen Schirm Inisterte und zischte. Romaschow nahm wieder den Faden und 30g ihn leise, kaum daß er es selbst merkte, aus den Händen der jungen Frau. Es bereitete ihm einen ganz besonderen, zarten Genuß, zu fühlen, wie Schurotschkas Hände seinen vor­fichtigen Anstrengungen unbewußt Widerstand leisteten. Es schien, als wenn ein geheimnisvollverbindender und erregender Strom an diesem Faden entlang floẞ.

-

,, Sind Sie aber blutdürftig, Alerandra Petrowna!" flocht Romafchow ein..

Das bin ich nicht-nein!" erwiderte sie scharf. Ich bin mitleidig. Ich nehme das Insekt, das mich am Halse fißelt, ab und bemühe mich, ihm nicht weh zur fun. Aber es versuchen Sie einmal, es zu verstehen, Romaschow handelt sich um einfache Logit. Wozu sind die Offiziere da? Für den Krieg. Was ist für den Krieg vor allem erforderlich? Kühnheit, Verwegenheit, unerschrockenheit vor dem Tode. Wo kommen diese Eigenschaften am deutlichsten in Friedenszeiten zum Ausdruck? Bei Duellen. Das ist die Sache. Wie mir scheint, ganz klar. Für franzöfifche Offiziere ist das Duell nicht unumgänglich notwendig weil Ehrbegriffe, noch dazu

-