Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 190.

8]

Das Duell.

Roman von A. Kuprin .

Freitag, den 29. September.

( Nachdrud verboten.)

Einzig autorisierte Uebersegung von Adolf Heß.

über nach.

1905

schmutziger Dinge machen. Ich denke oft an zarte, reine, schöne Frauen, an ihre hellen Tränen und ihr reizendes Lachen, denke an junge, feusche Mütter, an Geliebte, die um ihrer Liebe willen in den Tod gehen, an schöne, unschuldige, stolze Mädchen mit schneeweißer Seele, die alles wissen und nichts fürchten. Solche Frauen gibt es nicht. Uebrigens habe ich unrecht. Sicher gibt es solche Frauen, Romaschow, aber wir beide werden sie niemals sehen. Sie sehen sie vielleicht noch, ich aber nie."

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Es ist die Zeit meiner Freiheit, Romaschow, meiner geistigen, Willens- und Verstandesfreiheit! Ich lebe dann ein bielleicht sonderbares, aber tiefes, wunderbares Innenleben in­tensivster Art. Alles, was ich gesehen, gelesen oder gehört habe wird in mir lebendig, alles gewinnt ein ungewöhnlich helles Gesicht; aus dem träumerischen Ausdruck seiner Augen aber Er stand jetzt vor Romaschow und blickte ihm gerade ins Licht und tiefen unergründlichen Sinn. Dann gleicht mein und dem unbestimmbaren Lächeln, das um seine Lippen Gedächtnis einem Museum seltener Gegenstände. Wissen Sie und dem unbestimmbaren Lächeln, das um seine Lippen ich bin Rothschild ! Nehme das erste, was mir in den spielte, fonnte man merken, daß er seinen Partner nicht fah. Beg kommt, und denke lange, durchdringend mit Genuß dar- Noch niemals, selbst in seinen besten nüchternen Minuten nicht, Ueber Personen, Begegnungen, Charaktere, war Nasanstis Gesicht Romaschow so schön und interessant Bücher, Frauen- Ach, Ach, besonders über Frauen und Liebe!... erschienen. Sein goldenes Haar fiel in dichten, vollen Locken Bisweilen denke ich an verstorbene große Männer, Märtyrer um seine hohe, reine Stirn; der dichte, viereckige, fleine der Wissenschaft, an Weise und Helden und ihre wunderbaren Blondbart lag in gleichmäßigen Wellen, wie gauffriert, und Worte. Ich glaube nicht an Gott, Nomaschow, dente aber sein ganzes massives, schönes Haupt, mit dem entblößten, bisweilen an heilige Gottesmänner, streiter und Märtyrer vornehm geformten Halse glich dem Kopfe eines jener griechi­und rufe mir heilige Gesänge und Kirchenlieder ins Ge- schen Helden oder Weisen, deren herrliche Büsten Nomaschom dächtnis zurück. Ich bin nämlich, mein Lieber, im geistlichen irgendwo in Stichen abgebildet gesehen hatte. Die klaren, Seminar auferzogen und habe ein erstaunliches Gedächtnis. ganz wenig feuchten Augen blickten lebhaft, verständig und Ich denke über alles nach und empfinde bisweilen so plötzlich Gesichtes überraschte durch den zarten, feinen rosa Ton, und sanft drein. Sogar die Farbe des hübschen regelmäßigen und intensiv fremde Freude und fremden Schmerz oder die unsterbliche Schönheit irgend einer Handlung, daß ich beim Wandern ganz allein, so wie jetzt... weine... leiden­schaftlich, bitterlich weine.

Romaschow stand leise vom Bette auf und setzte sich in das geöffnete Fenster, so daß sein Rücken und die Fußsohlen sich gegen den Fensterrahmen stemmten. Von hier, von dem erleuchteten Zimmer aus, erschien die Nacht noch dunkler, noch tiefer, noch geheimnisvoller. Ein warmer, stoßweiser, aber unhörbarer Wind bewegte unter dem Fenster die schwarzen Blätter irgendwelcher niedrigen Büsche. Und in dieser weichen Luft voll eigenartiger Frühlingsdüfte, in dieser stillen Dunkel­heit und den übermäßig hellen, gleichsam warmen Sternen spürte man eine Art geheimnisvoller, starfer Gärung, erriet man die Sehnsucht nach Mutterschaft imd die verschwenderische Wollust der Erde, Pflanzen, Bäume der ganzen Welt.

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Najanski aber ging immer im Zimmer auf und ab und redete, ohne Romaschow anzusehen, gleichsam mit den Wänden und den Zimmereden:

Die Gedanken eilen in solchen Stunden launijch, bunt und unerwartet dahin. Der Verstand wird scharf und hell, die Phantafie ergießt sich wie ein Strom! Alle Dinge und Personen, die ich rufe, stehen so plastisch und so entzückend deutlich vor mir, als wenn ich sie in einer Camera obscura| sähe. Ich weiß, ich weiß es, mein Freund, daß dieser Ueber­schwang der Gefühle, diese ganze geistige Erleuchtung nichts anderes ist als die physiologische Wirkung des Alkohols auf das Nervensystem. Anfangs, als ich diese wunderbare ge­steigerte Tätigkeit des Innenlebens zuerst bemerkte, glaubte ich, es sei Begeisterung. Aber nein: Es ist nichts Schöpferi­sches, nicht einmal etwas Dauerhaftes in ihr. Es ist einfach ein krankhafter Prozeß. Es sind einfach plötzliche Ergüsse, die immer mehr und mehr den Boden unterwühlen. Ja. Aber trotzdem ist dieser Wahnsinn süß, und... Sum Teufel mit der zarten Echonung, und zum Teufel auch mit der verrückten Hoffnung, hundertundzehn Jahre zu leben und als seltenes Beispiel von Langlebigkeit in die Zeitung zu kommen.. Ich bin glücklich damit basta!"

Nafanski frat wieder zum Wandschrank, trank und schloß die Tür sorgfältig. Nomaschow stand träge, fast unbewußt auf und tat dasselbe.

An was haben Sie vor meinem Kommen gedacht, Wassili Nilytsch?" fragte er und setzte sich wie vorhin auf das Fenster brett.

nur ein sehr erfahrenes Auge konnte in dieser anscheinenden Frische, neben der bereits eine gewisse Aufgedunsenheit der Züge einherging-die Wirkung einer alkoholischen Ent­zündung des Blutes entdecken.

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Liebe! Zum Weibe! Welch ein Abgrund von Geheim­nissen! Welch ein Genuß, und welch scharfes, süßes Leiden!" rief Nafanski plötzlich entzückt. Er griff sich erregt mit deit Händen ins Haar und wandte sich wieder zur Zimmerede, blieb dort angelangt aber stehen und kehrte sich mit dem Gesichte Romaschow zu. Liebe! Wer versteht sie? Man hat sie zum Thema schmutziger Operetten, schamloser Bilder, frecher Witze, abscheulicher Verse gemacht. Das haben wir Offiziere getan. Gestern war Diez bei mir. Er saß auf demselben Fleck, wo jetzt Sie figen. Er spielte mit seinent goldenen Pincenez und sprach vom Weibe. Romaschow, lieber Freund wenn Tiere, zum Beispiel Hunde, die menschliche Rede verständen und einer von ihnen gestern Diez gehört hätte bei Gott, er wäre vor Scham aus dem Zimmer gelaufen. Sie wissen, Diez ist ein guter Mensch, und alle Menschen sind gut, Romaschow schlechte Leute gibt es nicht. Aber er schämt sich, anders von Frauen zu sprechen, schämt sich, aus Furcht, sein Renommee als Zyniker, Wüst­ling, Weiberheld zu verlieren. Dahinter steckt ein ganz all­gemeiner Betrug, eine Art falscher männlicher Forschheit, prahlerische Verachtung der Weiber. Und alles das kommt daher, weil für die Mehrzahl in der Liebe, im Besit des Weibes, verstehen Sie im endgültigen Besitz grob Tierisches, etwas Egoistisches, heimlich Niedriges, Un­züchtiges und Schimpfliches verborgen ist zuni Teufel, ich kann das nicht ausdrücken. Deswegen folgt bei der Mehrzahl auf den Besitz Kälte, Abscheu und Feindschaft. Deswegen haben die Menschen für die Liebe die Nacht be­stimmt, wie für Diebstahl und Mord.. Hier, lieber Freund, hat die Natur dem Menschen einen Hinterhalt gelegt mit Köder und mit Schlingen."

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etwas

Das ist wahr," stimmte Romaschow leise und traurig bei. ,, Nein, nicht wahr!" rief Nasanski laut. Ich sage Ihnen, es ist nicht wahr. Die Natur ist, wie in allen Dingen. auch hier genial verfahren. So kommt es eben, daß für Diez auf die Liebe Efel und leberfättigung folgt, für einen Dante aber die ganze Liebe ein reizender Zauber, ein Frühling ist! Nein, nein, Sie glauben es nicht: Ich spreche von der Liebe im alleroffensten, törperlichen Sinne. Aber die ist das Erb­Aber Najansli hörte seine Frage fast nicht. teil Auserwählter. Da haben Sie ein Beispiel: Aue Menschen Welch ein Genuß zum Beispiel, von Frauen zu träumen!" haben musikalisches Gehör, aber bei Millionen ist es, wie beiur rief er und ging bis zum entferntesten Wintel nnd wandte Stockfisch , oder wie beim Stabshauptmann Wassiltschenko, und fich mit einer weitausholenden, überzeugenden Geste gegen nur einer von diesen Millionen ist ein Beethoven. So ist diese Zimmerece.- Nein, feine schmußigen Gedanken! es in allem: In der Poesie, in der Kunst, in der Weisheit Warum? Man darf einen Menschen niemals, felbst nicht in Und auch die Liebe, sage ich Ihnen, hat ihre Höhen, die mur Gedanken, zum Teilnehmer des Bösen, noch viel weniger wenigen von Millionen zugänglich sind."