Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 196.
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Sonntag, den 8. Oktober.
( Nachdruck verboten.)
Einzig autorisierte Uebersetzung von Adolf Heẞ.
Gelbe Dublette in der Ecke," sagte Bel- Agamalow. Er fonnte infolge seines niedrigen Wuchses schlecht ankommen und mußte sich mit dem Leib über das Billard legen. Vor Anstrengung rötete sich sein Gesicht und auf der Stirn schwollen, wie bei einem V zwei am Nasenrücken zusammenlaufende Adern an.
" Ojeh!" foppte ihn Olisar. Das bringe ich nicht einmal
fertig."
Das Queue Agamalows glitt mit trockenem naden an der Kugel hin, diese bewegte sich aber nicht von der Stelle. „ Ein Kids!" schrie Olisar vergnügt und tanzte einen Cancan um das Billard herum.„ Schnarchst Du wohl beim Schlafen, Liebste?"
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Agamalow stieß mit dem dicken Ende des Queues auf den Fußboden.
Red mir nicht immer ins Spiel drein!" rief er, mit feinen schwarzen Augen blizend, sonst hör' ich auf!" Reg Dich nicht auf, das schadet nur. Modistin in der Ecke"!.
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An Romaschow trat eine der Ordonnanzen heran, die im Borzimmer poſtiert waren, um den Damen beim Ablegen der Mäntel behülflich zu sein. „ Herr Leutnant, ein Fräulein bittet Sie in den Saal." Im Saal gingen bereits drei soeben angekommene Damen langsam auf und ab. Alle drei waren nicht mehr jung. Die älteste, die Frau des mit der Wirtschaft betrauten Offiziers, Anna Iwanowna Migunowa, wandte sich in strengem und affettiertem Tone, die Endsilben der Worte kapriziös dehnend und mit mondäner Wichtigkeit mit dem Kopf nickend, an Romaschow:„ Unterleutnant Romasch- ow, lassen Sie etwas zur Unterhaltung spie- ielen, bitte se- ehr..."
Sehr gerne, meine Damen."
Romaschow verbeugte sich und trat zum Musikanten fenster. Sissermann," rief er dem Kapellmeister zu, spielen
Sie etwas auf!"
Durch das offene Galeriefenster drangen die ersten Klänge der Ouvertüre aus dem Leben für den Zaren", und im Takte dazu zuckten die Lichtzungen auf und nieder. Die Damen versammelten sich allmählich. Früher, vor einem Jahre, liebte Romaschow diese Minuten vor dem Balle über alles; wenn er in seiner Eigenschaft als Tanzordner im Borzimmer den eintretenden Damen entgegenging. Wie geheimnisvoll und reizend erschienen die Damen ihm dann, wenn sie vom Licht, von der Musik und Tanzerwartung er regt, sich mit fröhlicher Geschäftigkeit ihrer Kapuzen, Boas und Pelze entledigten. Gleichzeitig mit dem weiblichen Gelächter und hellflingenden Gesprächen füllte sich der enge Flur plöglich mit dem Duft von Frost, Parfüm, Puder und Glacé handschuhen und mit dem unfaßbaren, tief erregenden Duft geputzter hübscher Frauen vor einem Balle. Wie glänzend und verliebt erschienen ihm ihre Augen im Spiegel, vor dem sie schnell ihre Frisur in Ordnung brachten. Wie lieblich klang das Rauschen und Knistern ihrer Röcke. Welch wunderbarer Zauber lag in der Berührung ihrer kleinen Hände, ihrer Schärpen und Fächer!...
1905
Lurus. Man verwandte fette weiße und rote Schminke, aber ohne Verständnis und plump bis zur Naivität. Bei manchen Damen nahmen infolge dieser Mittel die Gesicher einen bösen bläulichen Schimmer an! Am unangenehmsten war für Romaschow aber der Umstand, daß er, wie alle im Regiment, die hinter den Kulissen sich abspielende Geschichte jedes Balles, jedes Kleides, fast jeder foketten Redensart fannte; er wußte, was sich dahinter verbarg: traurige Armut, übermäßige Anstrengungen, Listen, Geflatsch, gegenseitiger Neid, mächtige provinziale Sucht nach großstädtischem Leben und endlich langweilige, gemeine Liebesverhältnisse
Es kamen Hauptmann Talmann nebst Frau: beide sehr große, stattliche Gestalten; sie eine zärtlich aufgelöste Blondine, er mit braunem Räubergesicht, beständigem Husten und schriller Stimme. Romaschow wußte schon vorher, daß Talmann sofort seine gewöhnliche Redensart machen würde, und jetzt frächzte er wirklich, während seine Zigeuneraugen im Saale herumliefen:
Nä, Unterleutnant, wird im Kartenzimmer schon Wint
gespielt?"
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,, Nein, noch nicht. Sind alle im Eßzimmer."
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Noch nicht? Weißt Du, Sonetschka, dann gehe ich Bzimmer den Invaliden" durchsehen. Sie, lieber Romaschow, behüten Sie... Es gibt ja wohl irgendeine Quadrille."
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Dann flatterte Familie Lylatschew in den Flur ganzes Nest hübscher, lachender, lispelnder Fräulein unter Obhut der- Mutter, einer kleinen, lebhaften Dame, die mit vierzig Jahren unermüdlich tanzte und beständig Kinder gebar zwischen der zweiten und dritten Quadrille wie der Regimentswigbold Artschakowski von ihr sagte. Die Fräulein lispelten, lachten und unterbrachen sich gegenseitig, während sie auf Romaschow eindrangen. Warum sind Sie nicht zu uns gekommen?" Beser, Beser, Beser!
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Szlechter, Szlechter, Szlechter!"
Bejer, Beser!... Bitte, tanzen Sie mit mir die erste Quadrille."
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Mes Dames! Mes Dames!" sagte Romaschow, der wider Willen zum liebenswürdigen Kavalier wurde und nach allen Seiten dienerte. In diesem Augenblick sah er zufällig nach der Eingangstür und erblickte hinter der Scheibe das magere, dicklippige Gesicht Raisa Alexandrowna Petersons unter einem weißen, muldenförmig über den Hut geschlungenen Tuche. Romaschow verschwand jungenhaft schnell im Gastzimmer. Aber so kurz dieser Augenblick auch gewesen war, und wie sehr der Leutnant sich auch einredete, Raisa hätte ihn nicht bemerkt so empfand er dennoch Unruhe. In dem Ausdruck der kleinen Augen seiner Geliebten spürte er eine gewisse nene, beängstigende, grausame, bösartige und überzeugte Drohung.
Er ging ins Eßzimmer. Hier war schon viel Bublifum versammelt; fast alle Plätze an dem langen Tisch mit Wachstuch waren besetzt. Blauer Tabaksqualm schaufelte sich in der Luft. Es roch nach heißem Fett aus der Küche. Zwei oder drei Offiziersgruppen hatten schon zu essen und zu trinken begonnen. Ein Offizier las die Zeitung. Dichtes, buntes Stimmengewirr verschmolz. mit dem Klirren der Messer, dem Klappen der Billardfugeln und dem Knallen der Küchentür. An die Füße wehte es falt aus dem Flur herein.
Romaschow suchte Leutnant Bobetinski und trat zu ihm. Bobetinsti stand am Tisch, hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt, schaukelte sich auf den Hacken und Fußspigen und blinzelte infolge des Zigarettenrauches mit den Augen. Romaschow berührte ihn am Aermel.
Jetzt war dieser Zauber vergangen, und Romaschow wußte, daß das für immer war. Er begriff jetzt, nicht ohne eine gewisse Scham, daß vieles von diesem Zauber aus der Lektüre schlechter französischer Romane geschöpft war, in denen unabänderlich geschrieben wird, wie Gustav und Armand beim Balle in der russischen Gesellschaft das Vestibül Aeh?" wandte sich jener um, zog die Hand aus der durchschreiten. Er wußte sogar, daß die Regimentsdamen Tasche, drehte, ohne mit Augenblinzeln aufzuhören, mit jahrelang ein und dasselbe schicke" Kleid trugen und fläg- ganz besonderem Ausdruck den Tangen, blonden Schnurrbart, liche Versuche machten, es zu besonders feierlichen Abenden schielte auf ihn herab und ließ den Ellbogen in der Luft aufzuarbeiten, und die Handschuhe mit Benzin reinigten. hängen. Aehäh! Sie sind das? Sähr angenähm. Rächerlich und prätenziös erschien ihm die allgemeine leiden- Er sprach stets in diesem abgerissenen, gefünftelten Tone schaftliche Vorliebe für Federn, Schärpen, große falsche Steine und ahmte dabei, wie er selbst glaubte, die jeunesse dorée und Bänder. Darin äußerte sich ein sehr geschmackloser, der Garde- Offiziere nach. Er hatte eine hohe Meinung von familienmäßiger, schließlich auf bunte Lappen gerichteter sich, hielt sich für einen Pferde- und Frauenkenner, einen