gelten lassen. Darum schrieb er die den Dichter tief verstimmende Distichen gegen Stifter: Wißt, ihr. warum euch die Käfer, die Butterblumen so glücken- Weil ihr die Menschen nicht kennt, weil ihr die Sterne nicht seht I Schautet ihr tief in die Herzen, wie könntet ihr schwärmen für Käfer? Säht ihr das Sonnensystem, sagt doch, was wär euch ein Strauß? Aber das mußte so sein: damit ihr das Kleine vortrefflich Liefertet, hat die Natur klug euch das Große entrückt. Stifter hat dann in der Vorrede zu den„Bunten Steinen" seine Auffassung von klein und groß in den besonderen Beziehungen der Natur und des Menschen dargelegt, nicht sehr stichhaltig allerdings. Es ist alles einfach, was sich in den Geschichten zuträgt, Liebe und Ehe— und meist ist der Abschluß für alles eine glückliche, eine recht glückliche und gesegnete Eli«. Märchen auch darin, und darin wieder das stärkste des Dichters eigener Anteil, das. was von ihm Teil ist.„Und wie bedeutungslos ist diese Geschichte; sie geht nur zum Großvater oder Urgroßvater zurück und erzählt oft nichts als Kindtaufen, Hochzeiten, Begräbnisse, Versorgung der Nachkommen— aber welch ein. unfaßbares Maß von Liebe und Schmerz liegt in dieser Bedeutungslosigkeit," heißt es in der„Mappe meines Ur- grotzvaters". Die Menschen sind dann darin auf eine immer gleiche Grundform— oder Formel sogar— zu bringen, auf: das Gutsein und das sanfte Gesetz der Schönheit.„Es ist ein sanftes Gesetz der Schönheit, das uns zieht," sagt Brigitta zu ihrem Gatten. Es ist das Gutsein, das gereinigt und zusammengeführt, darin die Menschen geprüft werden, das den Menschen wert macht und ihn erkennen läßt. Das Gutsein berechtigt und sühnt, im Gutsein liegt alle Kraft des Wirkens, liegt des Menschen Eigenart, die freilich keine andere sein soll, als die der ganzen Natur, keine andere als das„Gesetz der Schönheit, die im Herzen liegt. Darin wurzeln die Kräfte, die nach dem Bestehen der gesamten Menschheit hinwirken." „Es ist das Gesetz dieser Kräfte, das Gesetz der Gerechtigkeit, das Gesetz der Sitte, das Gesetz, das will, daß jeder geachtet, geehrt, ungefährdet neben dem anderen bestehe, daß er seine höhere mensch- liche Laufbahn gehen könne, sich Liebe und Bewunderung seiner Mitmenschen erwerbe, daß er als Kleinod gehütet werde, wie jeder Mensch ein Kleinod für alle anderen Menschen ist." In diesen liebenswürdigen, herzwarmen Mopismus des Gutseins klingt es sast hart, wenn es einmal heißt:„Wer zuweilen nicht den Stein- block der Gewalt schleudern lamr, der vermag auch nicht vom Ur- grund aus zu wirken und zu helfen." Wie er sich selbst ganz in dieser Art fühlt, oder wenigstens zu dieser Vollkommenheit sich be- müht, so erkennt er auch die Menschen. Im Manne bewertet er: „sein eigenes einfältiges, metallswrkes, goldreines Männerherz". im Weibe„Liebe— und Verzeihen".„Denn die reinigendste, die allerschönste Blume der Liebe, aber nur der höchsten Liebe, ist das Verzeihen, darum wird es auch immer an Gott gefunden und an Müttern. Schön« Herzen tun es öfter— schlechte nie." Im Ver- zeihen und Gutsein beruht die Stärke, sie sind die Stärke:„Haß und Zank zu hegen oder zu erwidern, ist Schwäche— sie übersehen und mit Liebe zurückzuzahlen, ist Stärke." Märchendichter, der die Wirklichkeit in goldenen Schimmern sieht, der die Edelmetalle, die glänzenden, reinen, klaren, aus den Schächten des Lebens schürft und sich mit Kinderaugen an ihnen ergötzt. Kinderaugen des Er- götzens, Trunkensein des Träumers— Manneswille seines schöpferischen Wirkens I„Diese Seele griff immer weiter um sich, der Himmel des Erschaffens senkte sich in sie; grüne Hügel schwellten sich, Quellen rannen, Reben flüsterten, und in das öde Steinfeld war ein kraftvoll weiterschreitend Heldenlied gedichtet. Und die Dichtung trug, wie sie tut, auch ihren Segen." Die Dichtung, die erst ein Fest war, das sich der Dichter selber gibt, ist eine Forderung geworden. Diese anscheinend und in ihrer ganzen Art so vom Leben losgelöste Kunst, sie sieht gerade im Leben ihren Zweck, sie hat ihren Zweck für das Leben. Aus daS Wachsende und Fördernde, auf das Ganze und Allgemeine geht ihr Sinn: darum fügt es sich auch ganz selbstverständlich in diese verschönte Ausgeglichenheit ein. wenn wir gelegentlich harte und klar«, sachliche, ja sogar streitbare Worte der Beurteilung und Verurteilung des Bestehenden lesen, wie etwa über die Strickstrumpf- und Kochherdfrauen—- Jean Pauls Stimme klingt wieder ein wenig mit— über den Krieg, über das soziale Verhältnis der Menschen zueinander, über die sozial« Frage und so weiter. Es ist auch dies hergeleitet aus dem Sinn« der Natur— im freien und vollwichtigen Verständnis des Lebens— und ist hingeleitet in den Sinn der Natur— zur Erhöhung und Veredelung, zur Verschönerung und Würdigkeit unseres Seins, in den Grenzen unseres eigenen Wesens, in den Beziehungen zueinander. Die Natur ist dann schließlich der Schlüssel zu allem, der Ouess, der labt, die Heilkraft, die Größe, die Füll«, die Ganzheit. Der Mensch löst sich nicht von ihr los, er ist ein Ganzes mit ihr. Ein Teil von ihr— und ein Ganzes erst durch sie. Eine Selbstverständlichkeit in ihr. Der Mensch ist die Natur selbst, wie jede Pflanze und jeder Stein sie selbst ist.„O, Titus! Mir ist seltsam im Umgang dieser zwei Menschen, die so einzig trefflich sind. Emil ist überall hoch und schön, wie eine große, ruhevolle Alve: sie säugt Kräuter und Blumen, trägt wehende Wälder am Busen und das leuchtende Gletschersilber." Ein solcher Vergleich bleibt bezeichnend für einen Dichter, wenngleich in der Diktion der Einfluß eines anderen, Jean Pauls, wieder zu spüren ist. C. i'1 Verwandtschaft mit GocthcS Pantheismus,»ur ist er bin:.et von der Größe, der Nundung und Vollendung, lvic bei Goethe. Dieser, wenn er ins Kleine geht, lebt im Gefühle des Großen ständig— Stifter lebt sich ganz im Kleinen aus, um zum Großen hinzugelangen. Dem einen ist das Große und Ganze von vornherein Besitz, dem anderen Ziel seines Erwerbens. Aber welche Feinheiten der Naturschilderung hat nicht diese Artung bei Stifter hervorgebracht! Alle seine Dichtungen Hingen davon wider— auch Hebbel hat es an- erkannt— hier lieblich, zierlich, zart, dort schwelgend, voll, phantastisch, überall verinnerlicht in der Liebe, lebendig und bewegt in klarer Anschauung, in vollendeter Wirklichkeit. Und ganz und gar süddeutsch, ganz und gar öfter- reichisch. Man muß schon wieder auf den Lyriker zurückkommen. Da tut sich der Gegensatz von Nord und Süd deutlich auf. Ver- gleicht man etwa mit Storm— Storni löste aus dem Dämmer seiner wirklichen Welt in ihrer grauen Gleichmäßigkeit das Leben seiner Dichtung ins Klare, Wechselreiche und Bunte durch eine lyrische Erhöhung, die sein Erleben ist und seine besondere Eigenart ausmacht— Stifter taucht die klare, bunte, mannigfaltige und beut- liche Wirflichkeit seines Lebens in den Dämmer, in den Dufthauch, in die glänzenden Schleier seines lyrischen Empfindens und macht sie sich dadurch erst recht zu eigen und macht sie wirksam. Und dieses ist das Lesterreichischc: es behält alles eine gewisse Sachlichkeit dabei. Man hat Stifter mit alten holländischen Malern verglichen. Man kann einen näheren Vergleich finden: man stellt ihn neben seinen jüngstverstorbenen Landsinann Alt. Wie bei diesem geht auch sein Aquarellpinsel jeder Kleinigkeit und Kleinheit nach— wiederholt sich am selben Gegenstande— zählt auf. setzt nebeneinander, Ding um Ding, Stück um Stück, berichtend geradezu— und setzt plötzlich einen Strich hinein, einen Ton, eine Farbe, eine Gestalt, eine Szene— ganz nebenbei, und das Ganze lebt plötzlich dadurch und ist mehr als ein Ausschnitt der Natur, gesehen— durch die camera obscura. Hier höre man das aus dem Verb:„Ein lachendes Gewölbe sprang über die Welt und die grünen Bäume wiegten ein Meer von Glanz und Schimmer"— hier aus den Gegensätzen: „Da waren die lichten, klaren, glänzenden Lüfte mit den wunder- lichen Aprilwolken voll Sonnenblicken— das Zittern der an» brütenden Lenzwärme über den noch schwarzen Feldern— die schönen, grünen Streifen der Wintersaat dazwischen;— dann Iva reu die rötlichen, fahlen Wälder, die an den Bergen hinanziehen, m. dem sanften, blauen Lufthanch darüber, und überall aus der färb- losen Erde die geputzten Menschen wandelnd, die so gern die ersten Strahlen der schwachen Lenzsonne und der reinen Luft genießen wollten." Und hier nun fühle man es in dem innigen Versenken treuer Meisterangen, die das kleinste Detail beachten, damit lächelndes Beglücktsein und genießende Liebe das Werk bis ins kleinste durchdringe:„Stille Täler, ganz abgeschieden— Waldeinsamkeiten mit ganzen Wolken von Vögeln, die den blauen Himmel ansingen— Aussichten ins Hochgebirge— selbst Schluchten mit flinken Wässerlein, als wärest du in der Wildnis, nicht etwa eine bis zwei Meilen von einer der lebhaftesten Hauptstädte der Welt"— oder noch einmal diese Beschreibung der Umgebung Wiens:„Oder ich lese eine Nacht aus, in der ich auf einen der Westberge Wiens steige, um den Tagesanbruch über der großen Stadt zu sehen, wie er erst sachte, ein schwacher Lichtstreifen im Osten aufblüht, längs der Donau weiße Nebelbänke schimmern, dann die Stadt sich massenweise aus dem Nachidufte hebt, teilweise anbrennt, teilweise in einem trüben Goldhauche kämpft und wallt, teilweise in die grauesten Ferntöne schreitet, und wie der ganz« Plan durchsäet von goldnen Sternen ist, die da von Fenstern blitzen, von Mctalldächern, Turmspitzen, Wetterstangen, und wie draußen daS blaßgrüne Band des Horizonts schwach und sanft durch den Himmel gehaucht ist." Um aber einen vollen Begriff zu bekommen, lese man das„Heidedorf", den„Hochwald", die„Narrenburg", „Brigitta", den„Hagestolz", um Böhmerland, Böhmerwald , um des Dichters Heimaterde in unübertrefflichen Schilderungen, in malerischer Wirklichkeit, in vollendeten, aus liebendem Vollbesitz ge. schaffen«» Bildern zu schauen. Wer den Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen— Kenner des Landes mögen einen noch größeren Genuß hier haben, als wir Fremde. Aber das ist'S ja gar nicht, worauf lä ankommt. Wichtiger ist. daß man sich selbst bei der Lektüre Stifters genießt. Seine Erzählungen machen uns die Jugend lebendig, man genießt sich selbst in ihnen, man genießt mit jtzinderaugen und imvcrkümmerter Herzenssreudigkeit. Eine grüne Wiese und ein Sommertag, ein Wald und eine strahlende Bläue, so wie man's einmal erlebt hat. Im eigenen Lande ist man im Lande des Dichters— man ist im Lande der Dichtung. Da», ist das Bleibende in Stifters Schaffen, daß man von seinen besten Schöpfungen von diesem Zauber umsponnen wird. Dann lauscyt man dem Instrumente, das er spielt, man lauscht seiner tönend Orgel. Kein Brausen der Leidenschaft ist darin, aber eine schöne Erregung, nichts Majestätisches und Ueberwältigendes, aber die sanfte Großhcit des Herzens und die verweilende Herzlichkeit, die Mclodischkeit der Liebe und die nie schweigende Melodie der Innig, keit. Ein« Engelitimme klingt darin. Kinderlaute drängen sich vor, eine ländliche Flöte begleitet leise mit. und manchmal schlägt sie einen scher-enden Triller. Die starke Stimme aber ist die Stiimr des Menschlichen, die nie in die düsteren Tiefen sinkt, sondern ft stets auf einer freudigen Höhe hält, auf der auch Trauer und L sich lösen in einem befreienden Lebenssinn. Es ist eine Harmon, schönbildender, verschönender Weltbejahung, der man lauscht, arch wo die Welt ihren Pessimismus in einem härteren Rbvthmus ein- klingen läßt. Die Schönheit formt die befriedigende Kadenz. Wilhelm Holzamer
Ausgabe
22 (20.10.1905) 205
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