Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 208.

26]

Das Duell.

Roman von A. Kuprin .

Mittwoch, den 25 Oktober.

( Nachdruck verboten.)

Einzig autorisierte Uebersetzung von Adolf Heß.

Endlich brach der 15. Mai an, an welchem laut Bestim­mung des Korpskommandeurs die Besichtigung stattfinden sollte. An diesem Tage ließen die Unteroffiziere die Mann­schaften aller Rotten, mit Ausnahme der fünften, um vier Uhr aufstehen. Trop des warmen Wetters zitterten die müden, gähnenden Soldaten in ihren dünnen Hemden. Im freund­lichen Licht des rosigen, wolkenlosen Morgens sahen ihre Gesichter grau, blank und kläglich aus.

1905

Schnur berühren- darauf beruhte die besondere militärische Schneid. Aber das war noch nicht alles es wurde verlangt, daß der Gewehrkolben dicht am rechten Fuß, die Kolbenspitze mit der Fußspize auf gleicher Höhe stände und daß die Haltung aller Oberkörper genau die gleiche war. Die Rottenkomman­deure gerieten außer sich, schrien:" wanow, mit dem Ober­förper vor! Sieroschtan, die rechte Schulter zurück! Die linke Fußspike zurück! Noch mehr!

#

Um halb elf Uhr kam der Regimentskommandeur. Er faß auf einem riesigen, stattlichen, braunen, dunkelgefleckten Wallach, dessen Veine bis zu den Knien weiß waren. Oberst Schulgowitsch gewährte zu Pferde einen achtunggebietenden, fast majestätischen Anblick und saß fest, wenn auch sehr infanteriemäßig mit allzu kurzen Steigbügeln im Sattel. Er begrüßte das Regiment und schrie mit eingebildet lustiger Um sechs Uhr erschienen die Offiziere bei den Rotten. Die Stimme: Stellzeit des Regiments war auf zehn Uhr festgesetzt, aber ,, Guten Tag, wackere Burschen! nicht einem Rottenkommandeur, mit Ausnahme Steltowskis, Romaschow dachte an seinen vierten Zug und besonders kam der Gedanke in den Kopf, die Leute vor der Besichtigung an die schwächliche Knabengestalt Chlebnikows und konnte ausschlafen und sich ausruhen zu lassen. Im Gegenteil, an sich eines Lächelns nicht erwehren. In der Tat, wackere diesem Morgen wurde ihnen mit besonderer Hartnädigkeit und Burschen! besonderem Eifer die Literatur" und die Schießinstruktion eingetrichtert, besonders dicht flogen gemeine Schimpfworte durch die Luft, und heftiger als gewöhnlich wurden Stöße und Ohrfeigen ausgeteilt.

Um neun Uhr stellten" die Rotten fünfhundert Schritt vor dem Lager. Hier standen schon in langer, gerader Linie eine halbe Werst voneinander entfernt sechzehn als Points befohlene Unteroffiziere mit bunten Richtfähnchen am Gewehr. Der Adjutant, Leutnant Kowafo, einer der Haupthelden des Tages, jagte zu Pferde diese Linie auf und nieder, richtete fie aus und sprengte mit verrücktem Geschrei und schlaffen Zügeln, die Müße auf dem Hinterkopf, in Schweiß gebadet und rot vor Aufregung hin und her. Sein Säbel schlug dem Pferde verzweifelt gegen die Rippen, und das weiße, magere, bei seinem Alter dicht mit grauen Flecken übersäte, auf dem rechten Auge starblinde Pferd schlug krampfhaft mit dem Stummelschwanz und gab im Taft zu seinem unförmlichen Galopp kurze, abgerissene, knallende Töne von sich. Heute hing von Leutnant Kowało sehr viel ab: nach seinen Boints mußten sich sämtliche sechzehn Rotten des Regiments in tadelloser Linie aufstellen.

Genau zehn Minuten vor zehn kam die fünfte Rotte aus dem Lager. Mit festen, kurzen, schnellen Schritten, von denen der Boden gleichmäßig zitterte, gingen diese hundert Soldaten, lauter ausgesucht junge, geschickte, stattliche Burschen mit frischen, reingewaschenen Gesichtern, die Mützen ohne Schirm, die verwegen auf das rechte Ohr geschoben waren, angesichts des ganzen Regiments vorüber. Kapitän Stelkowski, ein fleiner, sehniger Herr in sehr weiten Beinkleidern, ging nach­lässig und nicht im Schritt etwa fünf Schritt seitwärts vom rechten Flügel, neigte luftig blinzelnd den Kopf bald auf die eine, bald auf die andere Seite und achtete auf die Richtung. Der Bataillonskommandeur, Oberstleutnant Lech, der sich wie alle Offiziere von frühmorgens an in einem nervösen Zustande grundloser Erregung befand, wollte wegen des späten Er­scheinens auf dem Plage mit Geschrei auf ihn losfahren, Stelkowski aber zog faltblütig die Uhr, sah nach ihr und erwiderte kühl, fast nachlässig:

" Im Befehl ist die Stellzeit um zehn Uhr bestimmt, jezt ist es drei Minuten vor zehn. Ich halte mich nicht für be­rechtigt, die Leute noch extra zu drangfalieren."

Reden Sie nicht!" heulte Lech, schwenkte die Hand und hielt sein Pferd an. Bitte, schweigen Sie, wenn man Ihnen dienstliche Bemerkungen macht!

"

Er begriff aber trotzdem, daß er unrecht hatte, ritt sofort davon und stürzte sich grimmig auf die achte Rotte, in der die Offiziere den Inhalt der Tornister nachsahen:

He, was ist das für ein Blödsinn! Wollen Sie einen Bazar eröffnen? Einen Kramladen? Daran hätten Sie früher denken sollen! Ans Ankleiden!"

Um viertel elf begann man die Rotte auszurichten. Das war ein langwieriges, heifles und mühsames Geschäft. Von einem Point zum anderen wurden an Pflöcken lange Bind­faden gezogen. Jeder Soldat des ersten Gliedes mußte mit mathematischer Genauigkeit mit den Enden der Fußspißen die

Unter den Klängen der Regimentsmusik, die den Prä­sentiermarsch spielte, wurden die Fahnen gebracht. Es begann eine Zeit quälender Erwartung. Weit vorne bis zum Bahn­hof, auf dem der Korpskommandeur erwartet wurde, zog sich eine Postenkette hin, die die Ankunft des Vorgesetzten melden sollte. Mehrmals erhob sich falscher Lärm. Schnell wurden die Pflöcke mit Bindfaden herausgezogen. Das Regiment richtete sich nochmals aus, schloß sich zusammen und verharrte in Er­wartung. Aber es vergingen einige schwere Minuten, und man ließ die Leute sich wieder rühren, nur durfte die Stellung der Füße nicht verändert werden. Vorn, dreihundert Schritt vom Regiment, schimmerten in hellen, bunten Farben Damen­Kleider, Sonnenschirme und Hüte: dort standen die Regiments­damen, die sich versammelt hatten, um die Parade anzusehen. Romaschow wußte sehr gut, daß Schurotschka in dieser glän­zenden, gleichsam festtäglichen Menge nicht zugegen war, aber wenn er hinsah, spürte er jedesmal ein faltes Gefühl im Herzen und mußte infolge grundloser, eigentümlicher Erregung schnell atmen.

Plötzlich flog wie der Wind ein hastiges, kurzes Wort erschreckt die Reihen entlang: Er kommt, er kommt!" Allen wurde mit einemmal klar, daß die richtige, ernste Minute da war. Die seit dem frühen Morgen geschundenen und von der allgemeinen Unruhe erfaßten Soldaten nahmen ganz von selbst schnell Richtung, zogen die Uniformen zurecht und räusperten sich unruhig.

Regiment stillgestanden!" kommandierte Schulgowitsch. Romaschow schielte nach rechts und sah in der Ferne am Ende des Feldes einen kleinen, dichten Knäuel kleiner Reiter, die in leichten, gelben Staubwolfen sich schnell dem Regiment näherten. Schulgowitsch ritt mit strengem und begeistertem Gesichtsausdruck von der Mitte des Regiments eine( mindestens viermal größere Entfernung vor, als nötig war. Mit der schweren Kunst des Tempo fofettierend, hob er seinen silbernen Bart hoch, blickte die schwarze, unbewegliche Masse des Regiments mit drohendem, frohverzweifeltem Blick an und schrie mit langgedehnter, über das ganze Feld hinschallender Stimme:

Rregiment, Achtung! Prä- sen- tiert- das..." Er machte absichtlich eine lange Pause, wie wenn ihm seine ungeheure Macht über diese Hunderte von Menschen einen besonderen Genuß bereitete und als wollte er diesen kurzen Genuß noch verlängern, und brüllte dann plötzlich ganz rot vor Anstrengung, während seine Adern am Halse schwollen, aus voller Brust:

Gwärr!

"

Eins zwei! Klatschten die Hände an den Gewehrriemen und klapperten die Riegel am Koppelschloß. Vom rechten Flügel flangen lustige, abgerissene Klänge des Präsentier­marsches herüber. Wie scherzende, lachende Kinder liefen in einem Haufen mutwillige Flöten- und Klarinettentlänge; mit triumphierender Feierlichkeit riefen und sangen die hohen Trompeten; dumpfe Trommelschläge trieben die glänzende Schar zur Eile, und die schweren Posaunentöne, die nicht recht mitkommen konnten, brummten mit ihren tiefen, ruhigen,