Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 210.
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Freitag, den 27. Oftober.
( Nachdruck verboten.)
Einzig autorisierte Uebersetzung von Adolf Heß. Eine nach der anderen zogen die Halbrotten ab, und mit jedem Male wurden die Klänge des Regimentsmarsches immer deutlicher, unternehmender und fröhlicher. Jetzt zog die letzte Halbrotte des ersten Bataillons ab. Oberstleutnant Lech rückte auf seinem fnochigen Rappen in Begleitung Olifars vor. Man hörte das ruhige und wie stets nachlässige Kommando Stelfowskis. Hoch über den Bajonetten bewegte sich der Fahnenschaft hin und her. Hauptmann Sliwa gekrümmt, aufgedunsen, die Front mit seinen wässerigen, vorstehenden Augen überblickend, langhalsig, einem großen, alten, verdrießlichen Affen ähnlich, rückte vor.
„ Eerste Halbrotte... frei weg!"
Mit leichtem, fühnem Schritt tritt Romaschow mitten vor seine Halbrotte heraus. Ein beglückendes, schönes, stolzes Gefühl regt sich in seinem Innern. Schnell überfliegen seine Augen die Gefichter des ersten Gliedes. Der alte Haudegen überflog die Reihen seiner Veteranen mit einem Faltenblick," blitzte eine schwülstige Phrase durch seinen Kopf, während er selbst fühn und singend in die Länge zog.
Zwei- te Halbrotte..
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„ Eins, zwei!" zählte Romaschow in Gedanken und trat mit den Fußspitzen Taft. Muß mit dem Zinken antreten. Binks, rechts." Und mit glücklichem Gesicht, den Kopf zurückgeworfen, ruft er in hohem, über das ganze Feld hinflingendem Tenor:
" Frei weg!"
Und schon hat er sich wie federnd auf einem Fuß um gewandt und fügt, ohne sich umzusehen, fingend und zwei Töne tiefer hinzu:
,, Au- gen rechts!"
Die Schönheit des Moments berauscht ihn. Einen Augenblick scheint es ihm, daß die Musik ihn mit blendenden, brennenden Richtwellen überströmt und daß die kupfernen, triumphierenden Klänge von oben vom Himmel, aus der Sonne herabfallen. Wie kürzlich bei der ersten Begegnung läuft süß- zitternd Kälte über seinen Körper, macht seine Haut rauh und erhebt und sträubt sein Haar auf dem Kopf.
Unisono im Taft zur Musik schreit die fünfte Rotte ihre Antwort auf das Lob des Generals. Befreit aus dem lebendigen Gefängnis menschlicher Körper und gleichsam erfreut über ihre Freiheit, laufen die hellen Marschklänge lauter und lustiger Romaschow entgegen. Jetzt sieht der Unterleutnant ganz deutlich vorn, rechts von sich, die schwere Gestalt des Generals auf dem grauen Pferde, die unbewegliche Suite hinter ihm, und noch weiter hin den bunten Haufen von Damenkleidern, die im brennenden Mittagslicht wie eine Art flammender Zauberblumen erscheinen. Links aber glänzen die goldenen, fingenden Trompeten der Kapelle, und Romaschow fühlt, daß sich zwischen dem General und der Musik ein unsichtbarer Zauberfaden hinzieht, der gleichzeitig schwer und fröhlich zu überschreiten ist.
Aber die erste Halbrotte ist schon über diese Linie hinaus. ,, Gut, Kinder!" ertönt die zufriedene Stimme des Korpsfommandeurs.
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„ A- a- a- a!" erwidern die Soldaten mit hohen, glücklichen Stimmen. Noch lauter stürmen die Klänge der Musik vorwärts.„ O, Lieber," denkt Romaschow voll Rührung über den General..„ Der Verständige!"
Jetzt ist Romaschow allein. Eben und elastisch, mit den Füßen kaum den Boden berührend, nähert er sich der verhängnisvollen Linie. Sein Kopf ist kühn zurückgeworfen und mit stolz herausforderndem Ausdruck nach rechts gewandt. In seinem ganzen Körper ist ein Gefühl von Leichtigkeit und Freiheit, als sei ihm plöglich die Fähigkeit zum Fliegen verliehen. Er fühlt sich als Gegenstand allgemeinen Entzückens, als schönen Mittelpunkt der ganzen Welt, und spricht in einer Art regenbogenfarbenen, verzückten Traumes:" Seht, seht da geht Nomaschow. Die Augen der Damen leuchteten vor Entzücken. Eins, zwei, links!... Vor der Halbrotte schritt
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mit graziösem Gang der hübsche junge Leutnant. Links, rechts! ,, Oberst Schulgowitsch , Ihr Romaschow ist einfach reizend," sagte der Korpskommandeur,„ ich möchte ihn wohl zu meinem Adjutanten machen." Links.
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Noch eine Sekunde, noch einen Augenblick, und Romaschow überschritt den Zauberfaden. Die Musik tönte wahnsinnig, heroisch, feurig und triumphierend. Gleich lobt er mich," denkt Romaschow und feine Seele ist voll feiertäglichen Glanzes. Man hört die Stimme des Korpskommandeurs, jetzt Schulgowitsch' Stimme und noch jemandes natürlich lobt der General ihn, aber warum antworten die Soldaten nicht? Hinten ruft jemand aus der Reihe... Was ist passiert?
Romaschow wandte sich um und wurde blaß. Seine ganze Halbrotte bildete statt zwei gerader gutgerichteter Linien einen unförmlichen, nach allen Richtungen gefnickten, wie eine Herde Schafe sich zusammendrängenden Haufen. Das war daher gekommen, daß der von seinem Entzücken und seinen hellen Träumen berauschte Leutnant nicht bemerkt hatte, wie er Schritt vor Schritt sich von der Mitte nach rechts herüberbewegte, sich gleichzeitig der Halbrotte näherte und sich endlich auf ihrem rechten Flügel befand, wodurch er die allgemeine Vorwärtsbewegung hinderte und verwirrte. Alles das sah und begriff Romaschom in einem furzen, gedankenschnellen Augenblick, wie er auch den Gemeinen Chlebnikom sah, der sich allein, zwanzig Schritte hinter der Front, dicht vor den Augen des Generals, nachschleppte. Er war gefallen und suchte jest, über und über bestäubt, seine Halbrotte wieder einzuholen, wobei er sich unter der schweren Ausrüstung frümmte und gleichsam auf allen Vieren lief, das Gewehr in der Mitte mit einer Hand gepackt hielt und mit der anderen sich hilflos die Nase wischte.
Romaschow schien es, als wenn der strahlende Maitag sich mit einem Male verfinsterte, als wenn eine tödliche, schwere, einem riesigen Sandberge ähnliche Last sich auf seine Schultern legte und als wenn die Musik traurig und dumpf spielte. Und er selbst fühlte sich klein, schwach, häßlich, mit müden Bewegungen, schweren, ungeschickten, sich verwickelnden Beinen.
Schon flog in Karriere der Regimentsadjutant auf ihn zu. Das Gesicht Fedorowskis war rot und wutverzerrt, die untere Kinnlade zitterte und er feuchte vor Zorn und infolge des schnellen Reitens. Schon von weitem begann er wütend zu schreien, wobei er sich verschluckte und die Worte zerriß:
,, Unterleutnant... Romaschow... der Regimentskommandeur erteilt Ihnen... einen strengen Verweis Sieben Tage... auf Hauptwache... zum Divisionsstab Schande, Skandal. Das ganze Regiment schimpfiert! Jüngling!"
Sekt
Romaschow antwortete ihm nicht, wandte nicht einmal den Kopf zu ihm herum. Natürlich hatte jener ein Recht zu schelten! Da hörten auch die Soldaten, wie der Adjutant auf ihn einschrie. Ach was, mögen sie es hören, meinetwegen," dachte Nomaschow mit scharfem Haß gegen sich selbst. ist alles für mich verloren. Ich erschieße mich. Ich bin für alle Zeiten blamiert. Alles, alles ist hin. Ich bin lächerlich, flein, habe ein blasses, häßliches Gesicht, das widerwärtiger ist als alle anderen menschlichen Gesichter. Alles ist hin. Die Soldaten gehen hinter mir gucken mir auf den Rücken und lachen und stoßen einander mit den Ellbogen an. Vielleicht bedauern sie mich? Nein, ich erschieße mich ganz bestimmt!"
Die Halbrotten gingen ziemlich weit vom Regimentskommandeur vor, machten nacheinander eine Schwenkung links und kehrten auf ihren Ausgangspunkt zurück. Hier wurden fie mit umgekehrter Front wieder aufgestellt. Während die hinteren Teile herankamen, wurde den Soldaten gestattet, sich zu rühren, die Offiziere gingen von ihrem Platz, um sich zu bewegen und ein paar Züge zu rauchen. Nur Romaschow blieb mitten in der Front auf dem rechten Flügel seiner Halbrotte. Er stocherte mit dem Ende des bloßen Säbels hartnäckig in der Erde zu seinen Füßen herum und erhob zwar den gesenkten Kopf nicht, fühlte aber dennoch, daß von allen Seiten neugierige, spöttische und verächtliche Blicke auf ihn gerichtet waren.
Hauptmann Sliwa ging an Romaschow vorüber und brummte, ohne stehen zu bleiben und ohne ihn anzusehen,