dreißig Knabenherzen dieser Ephiaites von Trachis abgetan war für ewige Zeiten. Ms die gros-e Pause begann, stürmten die begeisterten Jungen wilder als sonst nach draußen. Das Butterbrot wurde verschlungen, ein Engpaß von Thermopylä fand sich bei einiger Phantasie schnell, und obwohl natürlich jeder Spartaner sein wollte und niemand Perser, war die Schlacht bald in vollem Gange. Hannes Brandt, der längst Zuckerbäcker geworden ist, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Turnhalle, fuchtelte wild mit den Armen und schrie mit funkelnden Augen jeden an, er wolle im Schatten fechten. Niemand kümmerte sich um ihn. Das kränkte den streitbaren Helden.„Feige Perser!" höhnte er wild, und mit einem kühnen Sprung ins Jndianerhafte: „Squaws seid Ihr, keine Krieger!" Da sah er Heinrich Hccker stehen, der neugierig-ängstlich dem wilden GeWoge der Männerschlacht zuschaute und gerade das letzte Nestchen seines Butterbrotes in den Mund steckte. Heinrich Hccker drückte sich von allen Kämpfen; er wischte stets um die Ecke. Die frischen Jungen mochten ihn deshalb nicht leiden, hänselten ihn oder ließen ihn laufen. Heute aber ließen die Lor- beeren des historischen Leonidas den derben Hannes Brand, nicht ruhen; seine Begeisterung war zu groß. Und va sich kein miderer ihm stellte, denn die anderen kämpften bereits alle ihr Thermopylä, stürzte er mit dem Schlachtruf„T e r x e§" auf Heinrich Hecker zu. „X e r x e s I... X e r x e s l" Wie ein Geheul ging es über den ganzen Schulhof. Tie übrigen Kämpfer ließen Waffenstillstand eintreten. Einen Augenblick lang blickte alles auf Hannes Brandt, der hinter dem schreiend davonlaufenden Heinrich Hecker daherjagte — dann plötzlich, wie auf Kommando wurde der Ruf„Xerxes " von allen Seiten aufgenommen; die eben noch gekämpft hatten, liefen jetzt jubelnd gleichfalls dem einen nach, und im Handumdrehen war dieser eine umringt, übergelegt und verhauen, wobei jeder es für seine Ebrenpflicht hielt, wenigstens einen Hieb dem dafür geschaffenen Körperteil zu versetzen. Es war sozusagen eine Art Volksgericht. Niemand hätte ün Grunde zu vermelden vermocht, was ihm dieser Heinrich Hecker eigentlich getan hatte. Doch aber hatten die Quintaner seit langem nicht mit so fröhlichem Herzen und gutem Gewisien geprügelt wie heute. Sie gaben einer instinktiven Regung nach. Das war kein Kamerad, das war ein Jammerlappen, ein Stubenhocker, ein Schwäch- ling, ein Gräuel. Gar kein Benehmen hatte er für einen Jungen. Setzte sonst jeder seinen Stolz darein, sich schtveigend martern zu lassen, so brüllte der, als ob er am Spieße steckte, schrie um Hülfe, versprach Bonbons und Zigaretten, strampelte, zerrte, stieß. Mit einem Worte: Terxes! Dieser Name befreite noch mehr als die Prügel; er bannte jetzt alle die geringschätzigen Empfindungen in zwei Silben; er haftete; er war mit Jubel wiederholt worden, und es war mit einem Male selbstverständlich, daß Heinrich Hecker nicht anders heißen konnte. Und halb unbewußt korrigierten die Quin- tancr auch die Weltgerechtigkeit, die nach ihrem Erachten bei Ther- mopylä versagt hatte, und rächten den alten Leonidas an einem neuen Jerzes. Ein später Akt ausgleichender Gerechtigkeit. Aber die Nebermacht der Perser zeigte sich schliesslich auch hier. Xerxes beschwerte sich beim Ordinarius, zeigte den tapferen Leonidas Brandt an und erreichte es, daß manch heldenmütiger Spartaner nachsitzen mußte. Groß war die Entrüstung über den„Petzer ", den Verräter. Es wurde vorgeschlagen, ihn„Ephialtes" zu nennen. Schließlich blieb es doch bei Terxes. So ging es langsam die Fahre und die Klasien hindurch. Immer war Xerxes der am tvenigsten beliebte Schüler, und die Knaben ließen sich zur Not begreifen, wenn man ihn ansah. Mit seiner schlotternden, krunnngezogenen Gestalt forderte er den Spott gerade- zu heraus, und die breit«, klobige Nase, der häßliche Mund mit den stockigen Zähnen, die abstehenden Ohren machten den ersten Ein- druck nicht sympathischer. Es kam dazu, daß der Junge, der als einziges Kind seiner Eltern sehr verwöhnt war, mit einer gewissen Absicht alle die guten Dinge, die er geschenkt erhielt, in der Schule verzehrte oder vorzeigte. Seltene Früchte, 5luchen, Schokolade— damit imponierte er in den unteren Klassen. In den oberen zog er ganz nebenbei wohlgefüllte Zigarettensckiachteln aus der Tascke, an denen die Blicke aller in dunkler Sehnsucht hingen. Aber es war zuletzt niemand mehr da. der ihn um dies oder das gebeten hätte. Denn man wußte, daß er niemals etwas abgab. So rächte er sich für die allgemeine Geringschätzung. Das beste war, daß in diesem Menschen ein Stück schöner Seele wohnte. Weil er durch seine Feigheit, Aengstlicbkeit und Un- gewandtheit von den wilderen Spielen und Streichen seiner Alters- genossen ausgeschlossen war, phantasierte er sich allerband zurecht, begann in geschwollenen Phrasen zu dichten, hielt sich im stillen für ein Genie und deklamierte, wenn er dazu aufgerufen wurde, mit einem hohlen und rollenden Pathos zum heimlichen Vergnügen der Klasse wie des Lehrers. Er verschlang auch alle Erzählungen, deren er habhaft werden konnte, und weil er gerade in das gefährliche Alter getreten war, begann er bald die Mädchen der Stadt mit liebenden Augen zu betrachten. Das wirkte auf seinen äußeren Menschen stark ein. Er achtete nun sehr auf seine Kleidung und Haltung, begab sich sogar in Be- Handlung des Zahnarztes, operierte mit allen erdenklichen Bart- Wuchsmitteln, so daß er wirklich bald ein paar entsetzlich struppige und fuchsrote Härchen über der Oberlippe zupfen konnte, und ward nun häufig beobachtet, wie er in lull ch e vor den Fenstern viel- begehrter Schönen tiefsinnig und zwecklos auf und ab promenierte. Es lvar keine Fraga daß er sich schön, elegant un? bedeuten!, borkam und daß er hoffte, sich ebenso in den Augen kiebessehnsllchtiger Mädchen zu spiegeln. Was seine Mitschüler roh verlachten, würde bei dem zarteren Geschlecht verständnisvolle Bewunderung finden. und er schwelgte schon in dem köstlichen Gedanken an eine Wahl. verwandte. Am schönsten dünkte ihm eine Wahlverwandte mit blonden Zöpfen. Zu seinem Unglück geriet er dabei in das Gehege eines mit ge. waltigen Körpcrkräften gesegneten Klassenkollegen, der zivar genau so wenig rechtliche Besitztitel auf die angebetete jung« Dame hatte wie Xerxes , der dem schlotternden Nebenbuhler aber erklärte, er würde ihn zu Karbonade schlagen, wenn er ihn noch einmal bei Fensterpromenaden beträfe. Zähneknirschend wich Heinrich Hecker der brutalen Gewalt, riß sich die erträumte Wahlverwandle aus dem blutenden Herzen und suchte von neuem. Schließlich fand er auch— es gibt immer Evas» töchter, die sich gern finden lassen. Im Mondschein hinterm Kloster traf man sich; Xerxes dckka- mierte selbstgemachte Verse und schließlich ließ er das Pincenez mit kunstvollem Ruck von der Nase abschnellen, um die heftig atmende und sich gewissenhaft, doch mit Vorsicht sträubende Wahlverwandte zu küssen. Es gelang; sie widerstand nicht mehr, und in einem größenwahnsinnigen Taumel ging Xerxes heim. Er schien zu wachsen. er schien frecher und kühner zu werden, er warf blitzende Blicke umher und suchte auch äußerlich nach einem symbolischen Ausdruck seiner neugewonnenen Bedeutung. Dies und jenes bedachte und ver- warf er, bis er mit sich einig war: er trug von jetzt ab Sprung- riemen an den Hosen wie ein Reiteroffizier. Es machte sich komisch, da sich nun die Kniescheiben seiner langen, gleichsam geknickten Beins im Stoff durchdrückten. Der Liebesfrühling dauerte gerade anderthalb Wochen. Dann passierte folgendes: zwei Gymnasiasten trafen das im Mondschein tvandelnde Pärchen; sie schlugen geradezu Lachsalven an, riefen den Spitznamen und konnten sich vor Vergnügen nicht beruhigen. Xerxes schäumte vor Wut, wollte das Lachen überhören, deklamierte noch rollender als sonst— aber plötzlich blieb das Mädchen stehen und begann mit den beiden Schülern um die Wette zu lachen, dem un- glücklichen Galan in? Gesicht hinein. Sie war eü> munteres ge- fälliges Ding, mit viel Lust an Putz und Tanz,«der ganz ohne poetische Veranlagung. Sie hatte sich bei seinen Deklamationen schon manckzen Abend gelangweilt, sah den Zweck solcher Mondschein- Partien nicht recht ein und konnte sich bei dem wiehernden Gelächter plötzlich selber nicht mehr halten. Alle ihre zwiespältigen Emp- findungen lösten sich in diesem Lachen; es war die Reaktion ihrer gesunden, munteren und leichten Natur gegen die verschrobene Art dieses merkwürdigen Techtelmechtels. Sie lachte Tränen, aber da sie um alles in der Welt keine Erklärungen geben und keine Szenen haben wollte, stutzte sie und lief dann, noch immer lachend, davon. Die beiden Gymnasiasten hinterdrein. Und Xerxes sah gerade noch, daß sie seine lachend protestierende Wahlverwandte lachend entführten. Er raste vor Wut; er hatte den einen der Missetäter erkannt; er hätte die Welt, die ganze Welt vergiften und vernichten mögen. Seine Hände verkrampften sich; alle seine Muskeln spannten sich und arbeiteten. Ter wilde Gedanke durchschoß ihn: jetzt hinterher- rasen, die Schufte niederschlagen, das Mädchen wie einen jungen Hund schütteln, ihr die Kehle— ach, die schöne weiße Kehlet— zuschnüren. bis sie wie ein Stock hinschlug. Der Schädel dröhnte ihm. als hätte er einen schweren Schlag darauf bekommen. Und schlimmer noch als das ganze Erlebnis war der Gedanke an morgen. Die ganze Klasse würde es wissen, würde ihn verhöhnen, würde ihren Spott an ihm auslassen. Er fühlte Hon jetzt eine dumpfe, schreckliche Wut. Und als hätte er seine Peimger vor sich, raffte er einen Stein auf und schleuderte. ihn mit aller Kraft weithin, daß er das feine Sausen seines Fluges hörte. In seltsamer Dumpfheit kmn er am nächsten Morgen in die Klasse. Er zitterte innerlich. Ihm lvar, als müsse etwas geschehen — etwas Furchtbares. Er setzte sich; er sah nicht auf; er schien eifrig zu präparieren. Aber ringsum, in die Virgil-Verse hinein, hörte er tuscheln, kichern, lachen; er fühlte, wie alle Blicke aus ihm ruhten. Es war ein brennendes Gefühl am ganzen Körper. Und das schrecklichste: niemand sagte dabei ein freches oder lautes Wort, als ob man noch nicht einig sei, wie man die Marter beginnen und einrichten solle. Das konnte einen verrückt machen, diese dumpfe, nagende, zitternde Erwartung, diese ewige Spannung... In der großen Pause tvar seine Kraft, mit der er an sich hielt, beinahe zu Ende. Und immer noch nichts, und wieder eine Stunde. Er, der Feige, Aengstliche, wäre am liebsten aufgesprungen, hätte dem ersten Besten die Faust ins Gesicht geschlagen und geschrien: sa kommt doch... so legt doch losl War während der großen Pause jemand bei seinen Büchern ge- Wesen? Sie lagen anders. Als der Lehrer das Zimmer verließ, wollt' er hinter, ihm drein lyufen: Gehen Sie jetzt nicht— bleiben Siel Aber er blieb starr stehen und sah sich um mit krampfhaft ge« öffneten Augen. Da erhob sich, während die Schüler zusammenrückten. Axel Klein, die Linkpot',— er war es, der gestern die Szene veranlaß« hatte. Und unter ungeheurem Jubel führte er sie hier vor ver- sammelten» Kriegsvolk noch einmal auf. Er verdrehte die Augen» er sprach mit vollendetem Pathos, er sagte:„Teures Weib, ich hak, v" i'-••
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22 (27.10.1905) 210
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